Das Abendblatt begleitete den Landesvater im Kommunalwahlkampf. Was die Menschen in Schleswig-Holstein umtreibt.

Schleswig-Holstein hat die Wahl. 13.000 Mandate in Gemeinderäten, Stadtparlamenten und Kreistagen werden bei den Kommunalwahlen am 14. Mai neu bestimmt. Mittendrin im Wahlkampf: Ministerpräsident Daniel Günther. Für 45 Auftritte hat ihn sein Stab verplant.

Aber was treibt den CDU-Politiker an, die Wochenenden am Wahlkampfstand in Fußgängerzonen oder bei Grillfesten der Partei zu verbringen statt mit seinen beiden Töchtern? Das Abendblatt hat Günther im Wahlkampf begleitet und einen Politiker erlebt, der Tage wie die in Rendsburg, Büdelsdorf oder Tüttendorf genießt.

Schleswig-Holstein: Warum Daniel Günther Wahlkampf mag

Hamburger Abendblatt: Herr Günther, was macht Ihnen mehr Spaß? Kommunalwahl in Tüttendorf oder ein Ministerpräsidententreffen in Berlin?

Daniel Günther: (lacht) Mehr Spaß macht auf jeden Fall Tüttendorf. Ich habe unglaublich nette Leute getroffen, die ich zum Teil sehr lange kenne, und mit ihnen gequatscht. Das war schon ein tolles Fest, dass die Tüttendorfer auf die Beine gestellt haben. Aber natürlich gehört beides zu meinen Aufgaben und beides ist wichtig: Im Kreis der Ministerpräsidenten zu verhandeln oder vor Ort mal reinzuschauen.

Bodenständig: Was den Norden von Berlin unterscheidet

Das Leben in Schleswig-Holstein ist unmittelbar. Hier ist mehr Bier und Bratwurst statt Latte macchiato, mehr Feuerwehrfest als hippes Café wie in Berlin. Reales Leben statt Hauptstadt-Blase. Daniel Günther gefällt das so. Ihm genügt Schleswig-Holstein. Er zeigt nicht den Ehrgeiz, sich in Berlin neu beweisen zu müssen. Hier ist er zuhause, geerdet, verwurzelt.

Hier in Schleswig-Holstein hat er auch sein Netzwerk. Viele von denen kommen aus der Jungen Union. Man kennt sich aus der CDU-Jugendorganisation, ist zusammen politisch groß geworden. Man hilft sich, weiß, dass auf den anderen Verlass ist. Auf Landesebene, aber eben auch vor Ort.

Daniel Günther war selbst lange Zeit Kommunalpolitiker

Abendblatt: Was genau mögen Sie an der Kommunalpolitik?

Günther: Dieses Unmittelbare, das Ungefilterte. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker – ich war ja selbst viele Jahre einer – treffen Entscheidungen, die sehr unmittelbar auf die Lebenswirklichkeit der Menschen wirken und diese Betroffenen spiegeln dann auch sehr direkt, was sie davon halten. Auf die Themen wird man direkt angesprochen. Das hat mich damals total gereizt, auch, weil man ganz konkret Probleme lösen und deren Umsetzung direkt verfolgen konnte.

Abendblatt: Wie nehmen Sie im Gegenzug die Bundespolitik wahr? Das, was gern die Berliner Blase genannt wird?

Günther: Das ist das komplette Kontrastprogramm. Politikerinnen und Politiker, die in Berlin Verantwortung tragen, haben als Abgeordnete auch einen Wahlkreis und bekommen so vieles ungefiltert mit. Aber die politische Zusammenarbeit in Berlin nehme ich schon als ziemlichen Kontrast wahr. Gerade in einer Krise wie dieser sollte man beieinanderbleiben, gemeinsame Lösungen suchen, auch Vertrauen geben. Aber ich nehme wenig Gemeinschaftsgefühl wahr – innerhalb der Bundesregierung und in den regierungstragenden Fraktionen. Das ist in Krisenzeiten nicht gut.


Mobilität und Verkehr als Topthemen im Wahlkampf

Der NDR hat ermittelt, dass sich fast zwei Drittel der Schleswig-Holsteiner für die Kommunalwahl in rund einer Woche stark oder sogar sehr stark interessieren. Die größten Probleme, die dringend vor Ort gelöst werden müssten, sehen die Schleswig-Holsteiner laut Umfrage in den Bereichen Mobilität und Verkehr. Danach folgt das Thema Wohnen und Mieten auf Platz 2. Nach dem Thema Heizen ist so explizit nicht gefragt worden. Das aber treibt die Menschen an den Wahlkampfständen um.

Abendblatt: Wie wir es beobachten, gibt es im Wahlkampf ein dominierendes Thema: Wie soll ich in Zukunft meine Wohnung heizen? Was muss ich für den Umbau zahlen? Was kostet die Energie? Die Menschen wirken reichlich verunsichert.

Günther: Das ist auch meine Wahrnehmung. Das Thema, auf das ich überall angesprochen werde, ist das Thema Heizungsaustausch. Ich spüre eine ehrliche Sorge bei den Leuten, einige sind verzweifelt. Hier merkt man, dass in der Regel kein Vertrauen entsteht, wenn Politik überhastet Entscheidungen trifft und die Menschen kurzfristig vor vollendete Tatsachen setzt. Viele, die die Notwendigkeit der Energiewende vor dem Hintergrund des Klimawandels anerkennen, fühlen sich nicht mitgenommen. Ich versuche, den Leuten diese Sorgen zu nehmen. Wenn man keine Heizung hat, die im nächsten Jahr unbedingt getauscht werden muss, sollte man nicht in Hektik eine Wärmepumpe für teures Geld kaufen. Viel mehr lohnt es sich bei der Kommune nachzufragen, wie es mit der Wärmeplanung steht, oder eine Energieberatung zu machen. Das Thema ist handwerklich und kommunikativ auf Bundesebene wirklich ziemlich schlecht angegangen worden


Umfragen sehen Union mit deutlichen Verlusten

Die schleswig-holsteinische CDU setzt am 14. Mai durchweg auf Sieg. „Wir wollen überall Platz 1 schaffen und landesweit mit Abstand stärkste Kraft werden“, sagt Generalsekretär Lukas Kilian. Bei den Kommunalwahlen 2018 lag die Partei mit 35,1 Prozent klar vor SPD (23,3 Prozent) und Grünen (16,5). Nach einer Umfrage von Infratest Dimap von April haben die Regierungsparteien CDU und Grüne in der Wählergunst verloren.

Wäre am Sonntag Landtagswahl, käme die CDU auf 38 Prozent, 5,4 Punkte weniger als zur Wahl im Mai 2022. Die Grünen landen in der Umfrage mit minus 1,3 Punkten bei 17 Prozent. Trotz der Verluste hält eine große Mehrheit der Schleswig-Holsteiner viel von der Arbeit der Regierung: 65 Prozent zeigten sich zufrieden oder sehr zufrieden.

Warum Kommunalpolitik insgesamt schwieriger wird

Abendblatt: Kommunalpolitik ist unmittelbar, die Einflussmöglichkeiten vor Ort sind recht groß, und trotzdem fällt es den Parteien zunehmend schwerer, Kandidaten zu finden. Was können Sie in Regierungsverantwortung tun, um ehrenamtliches Engagement in der Kommunalpolitik wieder interessanter zu machen?

Günther: Erst einmal muss man sehen, dass gesellschaftlich vieles immer im Wandel ist. Es ist heute an vielen Stellen schwieriger als früher, Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren. Das merkt die Politik genauso wie Vereine und Verbände. Und Wahlperioden in der Kommunalpolitik dauern fünf Jahre, so lange bindet man sich an das Amt. Das bedeutet, dass man für diese Zeit in der Regel am selben Ort leben muss, wenn man das Amt die ganze Zeit wahrnehmen will. Das war in der Vergangenheit leichter, weil viele Menschen wussten, dass sie am selben Ort und beim selben Arbeitgeber bleiben werden. Heute ist das nicht mehr unbedingt so, die Menschen sind mobiler geworden, was Wohnort und Arbeitsplatz angeht. Daher bin ich froh, dass wir als CDU viele Mitglieder motivieren konnten, zu kandidieren. Wir treten mit 6.200 eigenen Kandidatinnen und Kandidaten in fast der Hälfte der Gemeinden in Schleswig-Holstein an. Das schafft keine andere Partei außer uns. Damit wir das aber auch künftig schaffen, müssen wir im Land vernünftige Rahmenbedingungen für die Kommunalpolitik zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise, dass Gremienarbeit künftig sowohl in digitaler als auch in hybrider Form möglich werden soll, dann ist man nicht ganz so ortsgebunden.

Daniel Günther attackiert die Ampel-Bundesregierung

Nach der Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition in Schleswig-Holstein im Sommer 2022 war Daniel Günther wochenlang öffentlich kaum wahrzunehmen. Aber spätestens seit Ende des Jahres schaltet er sich verstärkt in bundespolitische Debatten ein – zuletzt mit einer scharfen Attacke gegen die Ampelregierung, die den Ausbau der A 23 verweigert. Im Landtag erlebt man einen kämpferischen Günther, der vor allem die SPD attackiert. Gut gelaunt ist er vor allem im Kommunalwahlkampf unterwegs. Es scheint dem 49-Jährigen Spaß zu machen, sich nicht auf eine Rolle zu reduzieren.

Mit seiner Arbeit als Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sind die Menschen in Schleswig-Holstein ziemlich zufrieden. 69 Prozent sagen in der jüngsten NDR-Umfrage, Günther mache den Job gut. Vor der Landtagswahl vor einem Jahr war die Zufriedenheit mit seiner Politik allerdings noch größer.

Günther liegt in bundesweiten Umfragen – zuletzt bei Forsa – deutlich vor seinem Parteichef Friedrich Merz. Nach der Erhebung von Mitte April ist der 49-Jährige aus Eckernförde der beliebteste CDU-Politiker und beliebteste Ministerpräsident bundesweit. Er liegt seit Monaten in diesem Ranking auf einem der Spitzenplätze, wenn Forsa fragt, in welche Politiker die Bürger Vertrauen setzen.

Meinungsforscher: „Konsensorientierter Politikstil“ gefragt

Abendblatt: In den regelmäßigen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa landen Sie seit Monaten auf dem Spitzenplatz, und zwar bei der Frage, welchem Politiker die Menschen vertrauen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Günther: Es ist schwierig, über sich selbst zu reden. Aber natürlich ist es ein gutes Gefühl zu hören, dass viele Menschen in mich Vertrauen setzen und meine Arbeit auch für glaubwürdig halten. Ich versuche jeden Tag, dem gerecht zu werden. Denn natürlich weiß ich, dass das Vertrauen in vielen Bereichen leidet, auch in die Politik. Das merken wir in vielen Umfragen. Vertrauen ist die Währung, die in der Politik zählt. Und offenkundig haben die Leute das Gefühl, mir vertrauen zu können. Darauf bin ich ein bisschen stolz, weil ich das wirklich als meinen Anspruch sehe.

Abendblatt: Forsa-Chef Manfred Güllner sagt, dass die Menschen Ihren „konsensorientierten Politikstil“ schätzen und mögen und honorieren.

Günther: Das ist mein Politikverständnis. So arbeite ich auch in der Koalition zusammen. Wir feiern Erfolge gemeinsam, wenn wir sie gemeinsam erzielt haben. Wir gönnen dem anderen seine Erfolge. Und ich äußere mich auch nicht abwertend über andere politische Parteien. Ich freue mich, wenn das bei vielen Menschen gut ankommt.

Abendblatt: Wenn die Mehrheit der Befragten diese Konsenspolitik offensichtlich honoriert: Warum suchen dann so viele Politiker in Ländern und im Bund Konfrontation statt Einigung?

Günther: Es ist immer die Frage, wovon man sich leiten lässt. Natürlich weiß ich, dass es auch in meiner Partei viele Leute gibt, die sich freuen, wenn man dem politischen Gegner eins auf den Deckel gibt. Wenn man auf Facebook austeilt, jubeln die eigenen Fans besonders laut. Nur halte ich das langfristig für keine lohnenswerte Strategie, weil das viele Menschen abschreckt. Man hält so den eigenen Laden zwar beieinander, schärft vielleicht das eigene Profil, bietet aber keine Lösungsmöglichkeiten an und verprellt genügend Menschen außerhalb der eigenen Partei. Deswegen halte ich an der gegenteiligen Strategie fest. Aber das ist manchmal anstrengender, weil man auch intern mehr Diskussionsbedarf hat und viel mehr erklären muss.

Experten loben „geräuschlose Politik“ im Norden

Der Kieler Parteienexperte Wilhelm Knelangen von der Christian-Albrechts-Universität nennt das eine eher „geräuschlose Politik“. CDU und Grüne hätten sich – wie schon die Jamaika-Koalition zuvor – offensichtlich darauf verständigt, Meinungsverschiedenheiten aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. „Deswegen ist es gar nicht so einfach, zu sagen, ob es einen Konflikt gibt und wie weit die beiden Parteien auseinander stehen.

Das heißt aber nicht, dass es diese Konflikte nicht gibt“, sagt Knelangen. Ihm fehlen die klaren Konturen in der Regierungsarbeit. „Schwarz-Grün hat bisher keine großen Duftmarken mit Themen gesetzt, mit denen man sie identifizieren würde. Im Gegenteil: Was die Regierung tun will, um das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, ist eigentlich immer noch offen“, sagt der Wissenschaftler.

Warum Daniel Günther bis ins linke Lager wirkt

Mit Blick auf die Bundespolitik sagt Knelangen, dass es sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zur Aufgabe gemacht habe, die konservative Linie der CDU stärker zu betonen als das unter Merkel der Fall war. Das schaffe Raum für Günther, sich bei Themen wie Zuwanderung, Integration und Flüchtlinge liberal zu positionieren. „Merz fällt auf mit vereinfachten, zugespitzten, manchmal etwas populistischen Formulierungen. Das hat Günther auch gemacht, als er noch Oppositionschef war. Seitdem er eine Regierungskoalition anführt, agiert er anders“, sagt Knelangen. Heute wirke Günther bis weit ins liberale und linke Lager.

Aktuell landet die Union von CDU und CSU bei der „Sonntagsfrage“ zur Wahl eines neuen Bundestages mit klarem Abstand auf Platz 1. Nur könnte das Ergebnis noch deutlich besser ausfallen, glaubt Forsa-Chef Manfred Güllner. Seine Analyse: Die CDU lege nicht wegen Merz zu – sondern trotz Merz. Der Kieler Parteienforscher Wilhelm Knelangen sieht dennoch „keine Hinweise, dass Herr Günther Schleswig-Holstein verlassen wollte.“ Aber immer dann, wenn in der CDU über die Frage gesprochen werde, wer die Partei zu guten Wahlergebnissen führen könnte, „wird Daniel Günther einer sein, über den man reden wird“, sagt er.

Abendblatt: Blicken wir auf Ihre Bundespartei. Sind sie so etwas wie DAS Gesicht einer liberalen Union, während Friedrich Merz eher konservative Wähler anspricht?

Günther: Ich würde sagen, ich bin eines der liberalen Gesichter in der Union. Unsere Bildungsministerin Karin Prien als stellvertretende Vorsitzende gehört dazu, Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen und Boris Rhein in Hessen auch. Und Friedrich Merz als unser Bundesvorsitzender bindet die Flügel gut zusammen und sorgt dafür, dass sich alle Strömungen in der Partei wiederfinden und sichtbar sind. Von daher finde ich das Management von Friedrich Merz als Parteivorsitzendem ausgesprochen gut.

Abendblatt: Aber in Meinungsumfragen sind die Zustimmungswerte für Friedrich Merz eher durchschnittlich.

Günther: Die CDU liegt in Umfragen relativ stabil bei 30 Prozent plus. So weit weg von der nächsten Bundestagswahl ist das nicht ganz schlecht. Persönlichkeitswerte sind für die Opposition nie leicht, insbesondere nicht wenn die nächste Wahl noch auf sich warten lässt. Aktuell stellt sich für viele Leute diese Frage gar nicht. Die beschäftigen sich mehr damit, welcher Partei sie im Moment vertrauen. Und da sind unsere Werte wirklich sehr in Ordnung.

Abendblatt: Trotzdem beschäftigt sich Ihre Partei gerade von sich aus mit der Frage, wer der richtige Spitzenkandidat für den Bundestagswahlkampf ist. Losgelöst von Namen: Was muss ein CDU-Spitzenkandidat oder eine Kandidatin mitbringen?

Was Günther über eine Kandidatur von Friedrich Merz denkt

Günther: Die Person muss möglichst viele Menschen begeistern. Sie muss dafür sorgen, dass die eigene Partei Lust hat, Wahlkampf zu machen. Und sie muss über das Kernklientel hinaus Wählerinnen und Wähler an die Partei binden. Eine Union, die unser Land regieren will, muss im Vergleich zu den aktuellen Umfrageergebnissen möglichst noch einen Tick zulegen. Und dabei spielt natürlich die Frage, wer die Partei in die Wahl führt, eine sehr, sehr entscheidende Rolle.

Abendblatt: Wann ist denn aus Ihrer Sicht der richtige Zeitpunkt für eine Festlegung?

Günther: Ich unterstütze die Zeitplanung von Friedrich Merz, dass das im Lauf des Jahres 2024 geschehen sollte, nicht zu dicht vor der Wahl. Wir haben bei der vergangenen Bundestagswahl gesehen, dass es nicht gut ist, so eine wichtige Frage erst mitten im Wahlkampf zu klären.

Abendblatt: Sollte Ihr Parteivorsitzender die Kandidatur beanspruchen, hat er dann Ihre Unterstützung?

Günther: Bei jedem Wort, was man darüber verliert, fängt die Debatte wieder von neuem an. Das macht im Moment keinen Sinn. Wir konzentrieren uns darauf, uns mit der Politik der „Ampel“ auseinanderzusetzen. Die Personalfragen klären wir, wenn sie anstehen und dafür haben wir einen Zeitplan.