Kiel. Einnahmen sinken, Ausgaben steigen: Schleswig-Holstein muss im kommenden Jahr rund 450 Millionen Euro im Etat einsparen – nur wie?
Dem Land Schleswig-Holstein geht es nicht besser als den Menschen, die hier leben: Das Land ist vergleichsweise arm, die Einnahmen beziehungsweise Einkommen sind gering, die Ausgaben steigen dramatisch. Auf gut 33 Milliarden Euro hat sich der Schuldenberg des Bundeslandes inzwischen aufgetürmt – und das bei galoppierenden Zinsen. Die vergangenen Jahre ließ sich das noch mit steigenden Steuereinnahmen kompensieren, nur ist damit jetzt Schluss.
Schleswig-Holstein steht vor großen finanziellen Herausforderungen. Wenn nicht vor einer der größten in der Landesgeschichte angesichts der verbindlichen Schuldenbremse. Haushaltspolitik auf Pump ist inzwischen qua Gesetz verboten. Am Mittwoch hat die schwarz-grüne Landesregierung auf die jüngste Entwicklung reagiert – und erst einmal die Aufstellung eines neuen Etats für das kommende Jahr auf Herbst/Winter verschoben. Beschlossen werden kann dieser Etat für 2024 dann erst im Frühjahr, wenn rund ein Drittel des Jahres schon wieder vorbei ist. Heißt: Schwarz-Grün hat das Problem erst einmal vertagt.
Schleswig-Holstein: Finanzkrise im Norden – 450 Millionen Euro fehlen
Dem Land fehlen, Stand heute, noch rund 450 Millionen Euro, um im kommenden Jahr allen Verpflichtungen und geplanten Investitionen nachkommen zu können und die Vereine, Verbände und Organisationen im Land zu unterstützen. Vermutlich werden diese 450 Millionen Euro auch im November, wenn die schwarz-grüne Regierung den nächsten Versuch einer Haushaltsaufstellung angehen wird, noch fehlen. Möglicherweise wird es dann sogar noch mehr Geld sein. Aber das Prinzip lautet hier: Hoffnung.
Hoffnung, dass die November-Steuerschätzung besser ausfallen wird als die aktuell geltende Hochrechnung vom Mai. Zweimal im Jahr, im Mai und im November, legen Finanzexperten ihre Prognosen für den Bund vor, daraus leiten die Länder dann ihre Schätzungen ab. Zuletzt hatte Schleswig-Holstein mit rund 16 Milliarden Euro Steuereinnahmen kalkuliert, Tendenz fallend. 16 Milliarden – das klingt nicht nur nach viel Geld für ein kleines Land, sondern das ist es auch.
Nur: Von den 16 Milliarden bleiben je nach Lesart maximal 900 Millionen übrig, über die Schleswig-Holstein überhaupt verfügen kann. Der Rest geht für nicht steuerbare Ausgaben und laufende Ausgaben drauf: Löhne, Gehälter, Sozialausgaben. Heißt: Muss das Kabinett 2024 tatsächlich rund 450 Milliarden Euro sparen, bliebe kaum etwas übrig für die Vereine im Land, für Projekte, die dem sozialen Zusammenhalt dienen, für Investitionen in die zum Teil marode Infrastruktur.
Schleswig-Holstein: Kosten müssen dauerhaft runter
Hinter den Kulissen laufen in den Landesministerien deshalb zeitaufwendige Prüfungen, wie sich Kosten dauerhaft reduzieren lassen. So könnten Stellenausschreibungen verschoben werden, Gebühren erhöht. Gingen mehr Kinder in eine Klasse oder besuchten eine Kitagruppe, desto geringer wären die Personalausgaben. Der Auftrag an die Häuser lautet: Die Kosten müssen dauerhaft runter, nicht nur im nächsten Jahr. „Den Rotstift anzusetzen, fühlt sich grundsätzlich falsch an“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther am Mittwoch im Landtag.
Der debattierte auf Antrag der FDP die Bilanz von einem Jahr Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein. Man spüre eine große Verunsicherung der Menschen, sagte der CDU-Politiker. „Es gibt nach rund zwei Jahren Corona mit schwersten Einschränkungen die Sehnsucht nach Normalität.“ Doch durch den Krieg in der Ukraine und die Arbeit einer Bundesregierung, die die Menschen verschrecke statt sie mitzunehmen, gebe es große Sorgen in der Bevölkerung.
Die Verschiebung der Haushaltsaufstellung begründete Günther mit dem Anspruch der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner auf eine sorgsame Haushaltspolitik auf solider Datengrundlage. Und für die müsse man die November-Steuerschätzung abwarten. Dann wisse man auch, wie sich die Tarifabschlüsse für die Landesbeschäftigten auf den Haushalt auswirkten. Günther sprach in seiner Ein-Jahres-Bilanz von „großen Zielen“ seiner Regierung, wie der Klimaneutralität des Landes bis 2045, und einem „kleinteiligen Gemaule“ der Opposition.
Schleswig-Holstein: SPD spricht von chaotischer Haushaltspolitik
Oppositionsführer Thomas Losse-Müller von der SPD, warf Günther „absolutes Chaos“ in der Haushaltspolitik vor. „Morast. Matsch. Sumpf. Deswegen heißt es Schwarz-Grün. Die Farbkombination des Steckenbleibens. Und der Ministerpräsident? Der steht daneben und sorgt für die musikalische Begleitung“, spielte Losse-Müller auf Günthers Sangesdarbietungen im Bayernzelt während der Kieler Woche an. „Uns allen ist klar, dass die Haushaltssituation nicht rosiger wird. Aber das darf keine Entschuldigung dafür sein, dass Staat und Politik ihren Job nicht mehr machen.“ Losse-Müller forderte, nicht gegen die Krise anzusparen, sondern stattdessen zu investieren. „Was passiert, wenn Sie jetzt die Schulen nicht sanieren, die Bahnstrecken nicht bauen und die Wärmenetze nicht in den Boden kriegen? In was für einem Land leben wir dann 2030?“
Die FDP, bis zum Rauswurf vor einem Jahr noch Regierungspartner von Schwarz-Grün in einem sogenannten Jamaika-Bündnis, forderte „deutlich mehr und sehr intelligente Schwerpunkte“ in der Haushaltspolitik ein. „Davon sind Sie noch weit entfernt“, sagte Fraktionschef Christopher Vogt. Den Koalitionsvertrag kritisierte er als sehr umfangreich, aber „eben auch an vielen Stellen sehr vage formuliert oder bereits Makulatur – wenn man zum Beispiel an die versprochene weitere Senkung der Kita-Gebühren oder an die Eigenheimzulage denkt. Hier haben Sie Ihre Versprechen, die sich ja vor allem an junge Familien richteten, die von der Inflation besonders betroffen sind und besonders um ihren Wohlstand bangen, bereits nach kurzer Zeit gebrochen“, warf Vogt der Landesregierung vor.
Schleswig-Holstein: Regierungsfraktion: Die Lage ist dramatisch
Auch die dritte Oppositionspartei im Kieler Landtag, der SSW, kritisierte Günthers Kabinett in der Generalabrechnung am Mittwoch erwartungsgemäß scharf. „Schwarz-Grün hat viele Prüfaufträge vergeben und viele Projekte angedacht, aber ist sie nie angegangen“, sagte Lars Harms. So vermisst er zum Beispiel – wie die DGB-Chefin Laura Pooth, die auf der Tribüne saß – ein Tariftreuegesetz. „Ein Jahr Schwarz-Grün bedeutet, dass das Leben für die Menschen schwieriger geworden ist, dass das Land nichts dazu beiträgt, dass das Leben bezahlbar bleibt, dass der Wohnungsbau stockt und dass die Infrastruktur immer mehr verfällt. Das erste Jahr war ein vertanes Jahr!“
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Neben CDU-Fraktionschef Tobias Koch verteidigte Lasse Petersdotter von den Grünen das schwarz-grüne Bündnis und dessen Haushaltspolitik. „Die Lage ist dramatisch.“ Wenn das Land jährlich mehr als 400 Millionen Euro einsparen müsse, gehe das an die Substanz, so der Grünen-Fraktionschef. „Das Geld wird nicht ausreichen für das, was wir uns für das zweite Regierungsjahr vorgenommen haben.“ Die Einnahmen seien zu gering, die Ausgaben zu hoch, um alles weiterzubezahlen, was man in diesem Jahr finanziere, deutete Petersdotter dramatische Einschnitte an.