Kiel/ Lorient . Susann Beucke steigt am Mittwoch in die Hochseesegel-Ragatta ein – mit dem Abendblatt sprach sie über Stärken und taffe Frauen.
Susann Beucke ist ein wenig im Stress. Noch ist die Tasche nicht fertig gepackt, und die Wohnung nicht aufgeräumt. „Ich bin zu spät dran“, sagt sie am Sonnabendabend am Telefon. Eigentlich sollte sie jetzt schon längst unterwegs sein von Lorient nach Paris zum Flughafen. „Aber wenn man seine Wohnung für mindestens drei Monate zurücklässt, dann ist doch einiges zu tun“, so die Seglerin. Also schnell noch alles aufklaren und dann kann es los gehen, ins vermutlich größte Abenteuer ihres Lebens.
Die Kielerin Susann Beucke steigt morgen ins Ocean Race mit ein, allerdings nicht auf dem Boot ihres Landsmannes Boris Herrmann, sondern auf der Holcim – PRB von dem Franzosen Kevin Escoffier unter Schweizer Flagge. Der hat mit seinem Team die erste Etappe bereits für sich entscheiden können, auf der zweiten Etappe von den Kapverdischen Inseln bis nach Kapstadt ist Susann Beucke nun mit an Bord. „Ich freue mich riesig, genau das ist es, was ich immer gewollt habe.“
Die Seglerin aus Kiel gewann bereits bei Olympia
Die 31-Jährige ist ein absoluter Neuling im Hochseesegeln, im Segelsport an sich ist sie allerdings schon lange eine große Nummer. Zuletzt gewann sie zusammen mit Tina Lutz bei den olympischen Spielen die Silbermedaille im 49er. Ein wichtiger Meilenstein und das nicht nur aus rein sportlicher Sicht. „Mit diesem Ergebnis habe ich den ultimativen Beweis angetreten, dass ich segeln kann“, sagt Susann Beucke. „Ich muss seitdem niemandem mehr etwas erklären.“ Denn das müsse man als Frau gerade im Hochseesegeln leider durchaus noch.
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Und Hochseesegeln wollte die Kielerin unbedingt. Spätestens seitdem sie Anfang des Jahrtausends in Kiel den Zieleinlauf der Illbruck mitverfolgte, die damals das Rennen mit deutscher Beteiligung gewann. „Hochseesegeln war schon immer mein Traum.“ Also zog die junge Frau Anfang 2022 nach Lorient in Frankreich, dem Mekka der Hochseesegelszene. Hier begann Beucke, im Figaro zu segeln, einer der Klassen, in der sich viele der großen Hochseesegler bereits bewiesen haben oder immer noch beweisen.
Das alte Schiff ihres Segelpartners zerbrach im Südpolarmeer
Susann Beucke wollte von den erfahrenen Seglern lernen, sich in der Szene vielleicht beweisen. „Ich bin mit dem Schritt komplett ins kalte Wasser gesprungen, aber irgendetwas musste ich machen und das fühlte sich genau richtig an.“
In Lorient leben viele der weltweit besten Hochseesegler. Darunter auch Kevin Escoffier. Er ist schon länger eine Größe in dem Segelverrückten Land, gehörte 2018 zum Team DongFen, das das Ocean Race gewann. Bei der Vendée Globe 2021 erlangte er allerdings traurige Berühmtheit. Sein Schiff zerbrach im Südpolarmeer und sank innerhalb kürzester Zeit.
Segler-Größe sprach sie an, ob sie mitsegeln wolle
Mehrere Segler beteiligten sich an der Suche nach dem Schiffbrüchigen, unter anderem Boris Herrmann. Sein Landsmann Jean Le Cam konnte ihn schließlich Stunden später aus der Rettungsinsel ziehen. Geschreckt scheint das Erlebnis Escoffier nicht zu haben. Seine Yacht, die Holcim – PRB, ist extra für die Teilnahme an der Vendée Globe 2024 gebaut worden. Recht kurzfristig entschied sich der Franzose, dann auch noch am Ocean Race mit einem Team teilzunehmen. Und hier kommt wieder Susann Beucke ins Spiel.
Lorient ist nicht sehr groß, man lernt sich schnell kennen unter Seglern. So auch Susann Beucke und Escoffier. „Mein Boot lag nicht weit weg von Kevins“, sagt sie heute. Im vergangenen Sommer habe er sie dann eines Tages ganz plötzlich auf dem Steg angesprochen, ob sie nicht Lust habe, eine Runde mit ihm und seinem Team auf der neuen IMOCA zu segeln. „Ich war nur gerade dabei, mit meiner Figaro auszulaufen und hatte wirklich keine Zeit“, sagt Susann Beucke.
Beucke ist bescheiden, kennt aber auch ihre Talente
Keine Zeit? Wenn einer wie Kevin Escoffier fragt? „Ja, ich musste dringend einige Dinge an meinem Schiff ausprobieren, das war mir wichtiger.“ Was auf den ersten Blick also wie eine vertane Chance aussieht, war vielleicht sogar genau die richtige Entscheidung der jungen Frau. Denn Escoffier ließ sich nicht abwimmeln. „Heute denke ich manchmal, vielleicht hat ihn meine Zielstrebigkeit sogar beeindruckt.“ Er fragte erneut nach einem gemeinsamen Training, und im September segelten sie schließlich erstmals zusammen auf der Holcim – PRB.
Bis heute weiß Susann Beucke nicht genau, warum am Ende die Entscheidung genau für sie gefallen ist. „Schließlich gibt es einige viel erfahrenere Frauen in unserem Sport“, sagt sie. Um dann aber ein paar Besonderheiten von sich aufzuzählen. „Dadurch, dass ich im Trapez gesegelt bin, habe ich körperlich die Fähigkeiten, die man für das Segeln auf einer IMOCA braucht. Die heftigen Bewegungen kann ich recht gut abfangen.“ Außerdem sei sie seglerisch ein Allrounder, weil sie schon lange und oft alleine gesegelt sei.
Die Teilnahme sieht die junge Seglerin als große Chance
Und sie habe mit der Olympia-Kampagne bewiesen, dass sie auch vernünftig planen könne. „Ganz zu Schweigen natürlich von meinem Ehrgeiz und meiner Hartnäckigkeit.“ Zudem habe die Unerfahrenheit auch einen Vorteil: „Ich will lernen und ich lerne recht schnell. Mich kann man quasi noch formen, was man mit erfahrenen Seglerinnen vielleicht nicht mehr so leicht kann.“
Susann Beucke sieht die Teilnahme als riesige Chance, Angst hat sie keine vor dem, was da draußen auf dem weiten Meer auf sie zukommt. „Ich habe einfach nur ganz große Lust drauf“, sagt sie. Das Team sei super vorbereitet, „wir werden jede Situation meistern, da bin ich mir sicher“. Alle seien extrem motiviert. Und der Sieg der ersten Etappe habe die Motivation noch einmal gesteigert. „Wir wollen wirklich gewinnen.“ Allen voran Skipper Eskoffier, der als extrem ehrgeizig gilt.
Angst vor einer Havarie hat sie nicht
Und wenn so etwas wieder passiert, wie im November 2021 im Südpolarmeer? „Ich glaube nicht, dass das noch einmal passieren kann“, sagt die Kielerin. Nach allem, was sie von dem Vorfall wisse, habe Escoffier extremes Pech gehabt. Zudem sei das Schiff nicht für die Foils gebaut gewesen. „Vielleicht hatte das unten im Südpolarmeer einen gewissen Einfluss auf die Stabilität des Bootes.“
Die neue Yacht hingegen sei genau dafür gebaut worden. „Kevin wird sicherlich alles geben, um zu gewinnen. Aber noch wichtiger wird es ihm sein, heil ins Ziel zu kommen“, so Susann Beucke. Schließlich habe er mit dem Schiff noch große Pläne. Einen ersten Stresstest habe die Holcim – PRB bereits bestanden, die Route du Rhum im November von Frankreich in die Karibik. „Danach wurde das Schiff an einigen Stellen noch einmal verstärkt. Ich glaube, jetzt sind wir wirklich gut für die Weltumsegelung gerüstet.“
Was ihr Sorge macht: Vielleicht das Essen
Nur vor einer Sache hat Susann Beucke übrigens wirklich Respekt, und zwar vor dem Essen. „Ich habe das Gefühl, dass das komplett auf Kevin ausgelegt ist“, sagt sie. Da sei vermutlich nicht viel bei, was ihr wirklich schmecke. „Wenn er dann bei Seegang auf mich zukommt und mir Muscheln oder Sardinen anbietet, weiß ich noch nicht, wie ich genau reagiere.“
Sie hoffe nun einfach, dass ihr unterwegs dann dieses Essen doch ganz plötzlich wunderbar schmecke. „Man weiß ja nie.“ Ach ja, die Luft unter Deck werde sicher auch nicht so toll sein. „Das Cockpit ist sehr klein und auf eine Person ausgelegt. Wenn wir uns da mit fünf Menschen tummeln, wird es eng und stickig.“
Es gibt viele gute Seglerinnen, nur zu wenig, die sich vorn trauen
Das Ocean Race ist für die ehrgeizige Frau übrigens erst der Anfang. Ihr großes Ziel ist die Vendée Globe 2028. Und die Weltumsegelung im Team der Ultimative Stresstest, „schließlich habe ich das alles noch nie gemacht“.
Susann Beucke will mit ihrem Engagement aber auch noch mehr junge Frauen für das Hochseesegeln begeistert. So heißt ihre Kampagne, die sie im Juni vergangenen Jahres gestartet hat, auch: This Race is female. „Wir haben viel zu wenig Frauen im Sport“, sagt sie. Und das liege nicht daran, dass es nicht genug exzellente Seglerinnen gebe, ganz im Gegenteil. „Viele trauen sich nur nicht nach vorne.“
Susan Beucke wünscht sich mehr weibliche Skipper
Das Hochseesegeln sei Männerdominiert und vielen Frauen falle es nicht leicht, sich hier zu beweisen. „Was ich schon für Sprüche gehört habe, das ist wirklich unfassbar.“ Dafür bedürfe es allerdings auch mehr weiblicher Skipper. Susann Beucke will eine derjenigen sein, die das ändert. „Ich möchte den Frauen zeigen, ihr schafft das, ihr könnt das.“ Damit es künftig auf den Yachten, die jetzt um die Welt rasen, pro Team nicht nur eine Frau, sondern vielleicht mehrere gibt. Genauso wie bei der Vendée Globe. Zumindest 2028 wird es vermutlich eine Frau mehr sein. Bei der Durchsetzungsstärke von Susann Beucke wäre es auf jeden Fall nicht verwunderlich.