Kiel. Oppositionsbank statt Kabinettstisch: Was sich für die Ex-Minister Heiner Garg und Bernd Buchholz (FDP) geändert hat.

Die Landtagswahl brachte die Wende. Statt Jamaika regiert seit Sommer ein schwarz-grünes Bündnis Schleswig-Holstein. Zwei FDP-Politiker, die als Gesundheits- und als Wirtschaftsminister in der Pandemie besonders gefordert waren, machen jetzt Oppositionspolitik. Natürlich würden sie lieber gestalten als kritisieren. Heiner Garg (Gesundheit) und Bernd Buchholz (Wirtschaft) über die neue Zeit.

Hamburger Abendblatt: Sie sind aus der Regierung geflogen und seit dem Sommer statt Minister Oppositionspolitiker. Hat der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering recht? Ist Opposition Mist, Herr Garg?

Heiner Garg: Also: Regieren ist in jedem Fall herausfordernder und hat mir auch mindestens so viel Spaß gemacht. Wer regiert, kann Dinge durch eigene Entscheidungen unmittelbar verändern. Opposition hat eine andere Aufgabe. Ich würde aber nicht sagen, dass es Mist ist. Opposition wirkt, jedenfalls bei dieser Landesregierung. Denn alles, was sie bislang tut, tut sie, weil die Opposition sie auf eklatante Versäumnisse und Fehler aufmerksam macht.

Herr Buchholz, teilen Sie die Einstellung Ihres Parteifreundes?

Bernd Buchholz: Mist ist es nicht, aber zu gestalten ist schöner.

Wie schwer ist Ihnen der Rollenwechsel gefallen?

Buchholz: Ehrlich gesagt: gar nicht schwer. Ich gebe zu, dass ich es nach fünf Jahren als Minister und gut zwei Jahren Pandemiemanagement im vergangenen Sommer durchaus genossen habe, mal durchzuatmen, auf dem Steg zu sitzen und ein Buch zu lesen.

Sie haben mal halb scherzhaft betont, wie gern Sie Bänder durchschneiden und neue Straßen freigeben. Jetzt können Sie nur noch auf Fehlentwicklungen hinweisen. Irgendwie ist das doch Mist – oder?

Buchholz: Durchschneiden und gestalten ist schöner. Wenn man Dinge direkt und unmittelbar antreiben kann, ist das schöner. Das heißt aber nicht, dass man das aus der Opposition heraus nicht auch könnte. Und was habe ich gerade erst gelesen? Ungebetene Ratschläge sind für die Regierung manchmal wie Schläge. Und unsere sind immer hart.

Schauen wir auf die ungebetenen Ratschläge. Herr Garg, was macht die neue Landesregierung, fangen wir mal damit an, gut?

Garg: Zumindest setzt sie das eine oder andere Jamaika-Projekt fort. Das heißt, es ist nicht alles abgeräumt worden, was in der vergangenen Legislaturperiode mit uns erfolgreich aufgebaut wurde. Das ist doch schon mal etwas.“

Nennen Sie bitte ein konkretes Beispiel.

Garg: Gut ist, dass im Gesundheitsbereich der Versorgungssicherungsfonds weitergeführt wird. Ich würde auch dazu raten, ihn mit deutlich mehr Geld auszustatten. Ich finde es auch richtig, dass die Kita-Reform weiterentwickelt werden soll. Ansonsten fällt mir aus meinen ehemaligen Bereichen wenig Positives ein.

Und was fällt Ihnen besonders negativ auf?

Garg: Das elende Gezerre um die Krankenhausinvestitionen. Gerade durch die Pandemie ist doch nochmals klar geworden, wie wichtig eine zukunftsfeste Klinikinfrastruktur für Schleswig-Holstein ist. Und dass an dieser Stelle eine Finanz­ministerin versucht, einen politischen Neuling wie die neue Gesundheitsministerin über den Tisch zu ziehen, das finde ich ungehörig und der Situation nicht angemessen. Das ärgert mich maßlos.

Also: Frau Heinold zieht Frau von der Decken über den Tisch? Woran machen Sie das denn fest?

Garg: Frau von der Decken hat uns im Dezember im Gesundheitsausschuss mit der Aussage überrascht, in der Landesregierung müsste über zahlreiche Krankenhaus-Neubauprojekte neu beraten werden. Die letzte Landesregierung hatte hier sehr klare Vereinbarungen getroffen. Bei so zentralen Punkten darf eine Landesregierung, zumal wenn zwei der drei ehemaligen Partner weiter eine Koalition bilden, nicht alles infrage stellen. Wichtig wäre, eine wirklich zukunftsfeste Versorgung herzustellen. Und da macht die Landesregierung im Moment jedenfalls so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann.

Herr Buchholz, wie beurteilen Sie als Ex- Wirtschafts- und Verkehrsminister die Arbeit der neuen Landesregierung?

Buchholz: Was Heiner Garg bereits sagte: Sie arbeitet schon aufgegleiste Themen ab. Ein Beispiel ist die Landesstraßen­strategie. Es fehlt aber an neuen Impulsen. Ein Beispiel ist das Deutschlandticket. Schleswig-Holstein hätte das ja auch als riesengroße Chance begreifen können, mit Hamburg einen ganz neuen Tarifverbund für beide Bundesländer zu ent­wickeln. Aber solche Impulse fehlen.

Bei einem der zentralen Verkehrsprojekte, beim Bau der A 20, sind Sie in fünf Jahren als zuständiger Minister keinen Kilometer vorangekommen. Wird es jetzt besser?

Buchholz: Na ja, jedenfalls liegt jetzt wieder ein Planfeststellungsbeschluss auf dem Tisch. Das ist auch ein Erfolg der letzten fünf Jahre. Wir haben zwar keinen Meter gebaut, aber die Planungsverfahren konsequent vorangetrieben. Wir werden in diesem Jahr noch für weitere Abschnitte die Planung abgeschlossen haben. Dann kann geklagt werden, und man muss sehen, wie es weitergeht.

Wird Ihr Nachfolger Claus Madsen in dieser Legislaturperiode machen können, was Ihnen vergönnt war, nämlich ein Band für einen fertigen A-20-Abschnitt zu durchschneiden?

Buchholz: Das weiß ich nicht. Aber er sollte den Ehrgeiz haben, es zu tun. Manchmal hat man bei Claus Madsen den Eindruck, dass er von der Zuschauertribüne seine eigene Verantwortung beobachtet. Man würde sich aber wünschen, dass er diese Verantwortung auch wahrnimmt und für Dynamik sorgt. Zum Beispiel beim Bau des Fehmarnsundtunnels und der Hinterlandanbindung. Statt mögliche Verzögerungen zu thematisieren, sollte er Ideen entwickeln, Entscheidungen treffen und die Beteiligten in Bewegung setzen. Madsen trägt als Minister die Verantwortung.

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  • Könnte das Land schon weiter sein bei der Ansiedlung der Batteriezellenfabrik von Northvolt in Dithmarschen, wenn Schwarz-Grün sich früher und stärker engagiert hätte?

    Buchholz: Das glaube ich nicht. Durch den Ukraine-Krieg und durch den Inflation Reduction Act von US-Präsident Biden haben sich Parameter verschoben. Dafür kann eine schleswig-holsteinische Landesregierung nichts. Subventionen in der Größenordnung der Vereinigten Staaten kann das Land nicht stemmen. Aber die Landesregierung müsste ihre Hausarbeiten machen und die Bahnstrecke von Hamburg an die Westküste ausbauen, also zum Beispiel die Strecke zwischen Elmshorn und Itzehoe verkürzen. Das müsste die Landesregierung jetzt priorisieren. Aber im landesweiten Nahverkehrsplan steht dieses Projekt immer noch unter Nummer 17.

    Herr Garg, die letzten mehr als zwei Jahre Ihrer Amtszeit waren geprägt durch das Pandemiegeschehen, jetzt ebbt die Belastung durch Corona deutlich ab. Gucken Sie manches Mal ein bisschen neidisch auf Ihre Nachfolgerin, die dadurch Zeit hat für andere Gesundheitsthemen?

    Garg: Nein, Neid ist mir zum Glück völlig fremd. Aber ich finde es schön, dass eigentlich wieder Raum wäre, sich mit dem aus meiner Sicht im Gesundheits­bereich wichtigsten Thema überhaupt auseinanderzusetzen, kreativ zu sein und auch durchsetzungsstark gegenüber der Finanzministerin aufzutreten: bei der Sicherung unserer Gesundheitsversorgung. Wir erleben gerade auf Bundesebene den Versuch, eine der größten Strukturreformen auf den Weg zu bringen.

    Der Anstoß kam 2020 aus Schleswig-Holstein zur Krankenhausvergütungsreform. Vor dem Hintergrund sage ich ganz klar und deutlich: Es hätte mir auch Spaß gemacht, den Prozess aktiv und in Verantwortung zu begleiten, weil ich für den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein, für die Sicherung der medizinischen Versorgung – sowohl ambulant als auch stationär – eine ganze Menge einzubringen hätte.

    Die finanzielle Ausstattung der Kliniken war auch vor Corona kaum auskömmlich. Nach der Pandemie belasten die horrenden Energiepreise die Krankenhäuser zusätzlich. Weil viele Pflegekräfte fehlen, müssen ganze Stationen stillgelegt werden. Damit sinken die Einnahmen nochmals. Wie dramatisch ist die Lage der Kliniken?

    Garg: Sie ist hochdramatisch, und deswegen ist es auch allerhöchste Zeit, dass aus Berlin ein klares Signal zur Krankenhausfinanzierungsreform kommt. Erstens brauchen die Kliniken eine Soforthilfe zur Liquiditätssicherung. Zweitens muss dringend die grundlegende Finanzierungs­reform kommen. Drittens braucht es auch eine Vergütungsreform im ambulanten Sektor. Und viertens braucht Deutschland eine Krankenhausstrukturreform. Wir haben, auch gemessen im internationalen Vergleich, zu viele Krankenhausbetten. Das ist auch ein Grund des dramatischen Personalproblems.

    Zu dieser Strukturreform und dem Bettenabbau: Folgt daraus, dass nicht jedes Krankenhaus mehr jede Behandlung anbietet, sondern dass es neben den Kliniken mit Basisversorgung hoch spezialisierte Häuser geben wird?

    Garg: Wir brauchen eine gute Grund- und Regelversorgung, wobei deren Qualität nicht zwingend durch die Anzahl von Krankenhausbetten definiert ist. Ich kann mir vorstellen, dass Grundversorgung auch in einem medizinischen Versorgungszentrum stattfinden kann. Und dann brauchen wir eine Spezialisierung und Konzentration, insbesondere von hochkomplexen Leistungen. Da ist das spanische Gesundheitssystem schon deutlich zukunftsfähiger als das deutsche. Und das macht mir Sorgen.

    Wie sehr genießen Sie beide die wiedergewonnene Freiheit, nachdem Sie jetzt nicht mehr als Minister in Regierungsverantwortung stehen?

    Buchholz: Ich genieße es schon, ein bisschen mehr Zeit für mich und meine Frau zu haben. Ich glaube, vielen Menschen ist gar nicht klar, wie viel Einsatz es bedeutet, als Landesminister unterwegs zu sein. 60, 70 bis 80 Stunden in der Woche sind keine Ausnahme. Und deshalb ist es auch ganz schön, wenn es jetzt wieder um die 40 Stunden sind.

    Herr Garg, kommen Sie auch auf 40 Stunden?

    Garg: Ich habe nicht nachgezählt, aber es geht mir wie dem Kollegen Buchholz. Ich genieße es natürlich, mehr Zeit für meinen Mann, für mich, für den gemeinsamen Hund zu haben. Und ich vermisse auch nicht den Stress der Pandemie. Opposition ist mir nichts Unbekanntes. Ich bin Parlamentarier durch und durch. Die vielen Stunden, die ich jetzt mit meinen Fraktionskollegen verbringe, machen wieder richtig Spaß. Insofern erleben Sie hier zwei ausgesprochen aufgeweckte und ausgeglichene Menschen.

    Buchholz: Ja, ja, ja, ich bin auch sehr erschrocken. (lacht)

    Daniel Günther als Ministerpräsident und CDU-Chef hat sich im Juni 2022 für die Koalition mit den Grünen entschieden. Dabei hätte er genauso gut mit Ihrer FDP regieren können. Waren Sie da persönlich enttäuscht von der Entscheidung des Wahlsiegers Günther?

    Buchholz: Enttäuschung? Ehrlich gesagt ist das für mich keine politische Kategorie. Das kann der Wahlsieger so machen, und das hat er ganz eindeutig so entscheiden. Er hat hinterher auch deutlich gemacht, dass er mit uns beiden zwei Minister verloren hat, die durchaus tragende Säulen des Kabinetts waren.

    Garg: Ich war sehr enttäuscht, weil Daniel Günther sich noch unmittelbar nach der Wahl mir gegenüber anders geäußert hat. Das war eine menschliche Enttäuschung. Aber ich bin seit 27 Jahren in der Landespolitik, insofern nehme ich das sportlich und professionell. Ich glaube nach wie vor, dass es eine falsche Entscheidung war. Aber das müssen Schwarz und Grün jetzt bis 2027 miteinander ertragen.

    Wird die schwarz-grüne Koalition denn durchhalten bis zum Ende der Legislatur­periode 2027?

    Garg: Ja!

    Buchholz: Da bin ich mir sicher.