Hamburg. Sie führen die Koalitionsverhandlungen für die Grünen: Was Heinold und Touré über grüne Risikospiele und ein Tempolimit denken.

Die eine ist seit zehn Jahren als Finanzministerin eine der zentralen politischen Figuren in Schleswig-Holstein, die andere saß 2017 bei den Koalitionsverhandlungen zur Bildung des Jamaika-Bündnisses noch als Vertreterin der grünen Jugend mit am Tisch: Monika Heinold und Aminata Touré. Die beiden waren nicht nur die Spitzenkandidatinnen im erfolgreichen Wahlkampf der Grünen – die Partei kam auf 18,3 Prozent –, sie prägen jetzt auch für ihre Partei die Koalitionsverhandlungen mit der CDU.

Die gehen in dieser Woche so richtig los. In gut drei Wochen soll schon das erste schwarz-grüne Bündnis in Schleswig-Holstein stehen. Ziel ist, Daniel Günther noch vor der Ende Juni startenden Sommerpause des Landtags als Ministerpräsidenten zu bestätigen. Das Abendblatt sprach mit Monika Heinold und Aminata Touré über grüne Risikospiele, Gemeinsamkeiten beim Klimaschutz und Trennendes in der Inneren Sicherheit, den Bau der Autobahn 20, die seit Jahren bei Bad Segeberg endet und nicht weiterkommt, und Schwarz-Grün im Norden als Blaupause für den Bund.

Frau Heinold, Frau Touré, zocken lohnt sich anscheinend doch. Jedenfalls ist das grüne Risikospiel aufgegangen, und Sie verhandeln jetzt mit der CDU über die Bildung einer Zweierregierung.

Monika Heinold: Wir haben nicht gezockt. Wir hatten Sondierungsgespräche. Erst eine Zweiersondierung nur mit der CDU, dann eine Dreiersondierung auch mit der FDP, und wir haben für uns festgestellt, dass die Zweiersondierung deutlich stimmiger war. Deshalb haben wir uns für Schwarz-Grün ausgesprochen und gehen entsprechend optimistisch in die kommenden Wochen.

Ein Risiko war’s schon. Daniel Günther und die CDU hätten sich auch für die FDP entscheiden können. Dann hätte die Union mehr eigene Programmatik durchgesetzt und auch mehr Ministerposten bekommen. Das ist nicht das schlechteste Argument für eine Landes-CDU, die deutlich konservativer ist als ihr Vorsitzender ...

Aminata Touré: Das hätte die CDU machen können. Wir haben für uns entschieden, der CDU das Angebot einer Zweierkoalition zu machen. Es ist ganz klar: Die CDU hat 43 Prozent geholt und ist in der Verantwortung, die Entscheidung zu treffen. Das hätte natürlich auch Schwarz-Gelb sein können. Durch unsere Festlegung wollten wir elf oder zwölf Tage nach der Wahl eine Entscheidung herbeiführen.

Wahlen Schleswig-Holstein: Fokus lliegt auf Klimaschutz

Wo sehen Sie nach den Sondierungen die größten Schnittmengen mit der CDU?

Touré: Die sehen wir definitiv im Anspruch, den Klimaschutz voranzutreiben und dabei noch ehrgeizigere Ziele zu formulieren. Das sagt ja auch Daniel Günther. Hier ist die Schnittmenge groß. Und wie viele sozialpolitische Übereinstimmungen wir haben, ist bislang unterschätzt worden. Diejenigen in der Gesellschaft, die wenig haben, müssen unterstützt werden. Da haben wir einen sehr ähnlichen Ansatz.

Heinold: Ein konkretes Beispiel sind Kindertagesstätten. Die SPD hat im Wahlkampf der Beitragsfreiheit absolute Priorität eingeräumt. Wir setzen dagegen auf gute Qualität und Verlässlichkeit. Ein qualitativ hochwertiges Angebot ist gerade für die Kinder wichtig, die das dringlich brauchen. Qualität und Quantität geht uns vor Beitragsfreiheit. Da sind wir uns absolut einig mit der CDU.

Sie hatten im Wahlkampf – wie die SPD – die Wiedereinführung der Mietpreisbremse gefordert, um Menschen vor extremen Mietsteigerungen und Vertreibung besser zu schützen. Die dürften Sie jetzt mit der CDU nicht durchbekommen ...

Touré: Wir haben mehrere Forderungen. Zum Beispiel ein Wohnraumschutz­gesetz, eine Landeswohnungsbaugesellschaft, eine Kappungsgrenze und die Mietpreisbremse. Darüber haben wir schon gesprochen. Die CDU möchte die Mietpreisbremse nicht, wir möchten sie gern. Im Ziel sind wir uns aber einig: Wir brauchen mehr sozialen Wohnraum und günstigere Mieten. Und ich bin mir sehr sicher, dass wir das hinbekommen. Wir werden dafür bestehende Instrumente nutzen und weiterentwickeln. Der Anspruch ist da, sich in der Mitte zu treffen.

Heinold: Wie immer gilt: Koalitionsverhandlungen werden nicht über die Presse geführt, das werden wir auch heute nicht tun.

Grüne pochen auf Gemeinsamkeiten statt Hürden

Trotzdem müssen wir über Hürden bei der Regierungsbildung sprechen.

Heinold: Journalisten machen sich permanent Gedanken über Hürden. Wir machen uns Gedanken über Gemeinsamkeiten und politische Lösungen. Aus unserer Sicht hat sich in den vergangenen fünf Jahren die Politik verändert in Schleswig-Holstein. Wir suchen nicht die Hürden, wir sehen die Gemeinsamkeiten.

Über Schnittmengen haben wir gesprochen. Aber Hürden sind offensichtlich. Wie im Bereich der Inneren Sicherheit und der Forderung nach Onlinedurchsuchungen und der sogenannten Quellen-TKÜ, also der Abschöpfung von Telekommunikation, bevor sie verschlüsselt wird.

Touré: Wir lehnen Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung ganz klar ab. Nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil es entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH gegeben hat. Es gibt juristische Erklärungen, warum das so nicht geht. In den Koalitionsverhandlungen sprechen wir aber über das Ziel hinter den Maßnahmen.

Was wollen wir damit bekämpfen? Es geht um Schwerstkriminalität. Es geht aber auch um die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sicherheitslücken können wir wie bei der Quellen-TKÜ nicht nutzen oder durch Vorratsdatenspeicherung Massenüberwachung betreiben. Dann müssen wir andere Wege finden. Im Ziel, Kriminalität zu bekämpfen und Sicherheitslücken zu schließen, sind wir uns wieder einig. Wir werden mit der CDU sprechen, wie wir uns diesen Zielen nähern können.

Die CDU fordert Planungsbeschleunigung und Bürokratieabbau, auch um noch ehrgeizigere Ziele bei der Bekämpfung des Klimawandels hinzubekommen. Kann man das hinbekommen, ohne Umweltstandards zu senken?

Touré: Das ist die große Herausforderung, das wollen wir in den nächsten fünf Jahren schaffen. Wir setzen uns sehr stark dafür ein, dass Umwelt- und Naturstandards berücksichtigt werden. So müssen wir beispielsweise im sozialen Wohnungsbau oder bei der Energiewende schneller werden. Daran haben wir Grüne ein eigenes Interesse. Unser Vorteil ist, dass die Bundesregierung dasselbe Ziel verfolgt, nämlich Planungsbeschleunigung und gleichzeitig Bürgerbeteiligung und Naturschutz hinzubekommen.

FDP: Verantwortungslos beim Tempolimit

Heinold: Bei den großen Infrastrukturmaßnahmen ging es jahrzehntelang immer nur um ein Ja oder Nein zum Autobahnbau. Jetzt geht es um ganz andere Themen: um Ansiedlungsprojekte, die wir für die Energiewende brauchen, um Flächen für Wind und Fotovoltaik, um die Frage, ob wir durch eine veränderte Wirtschafts- und Industriepolitik die Klimaziele erreichen können. Und die müssen wir erreichen. Dafür braucht es zwingend dieses neue Denken. Wir wollen mindestens so sehr wie die CDU, dass es vorangeht.

Es geht nicht mehr einzig um den Autobahnbau, aber es geht auch darum. So fordert Ihre Grüne Jugend den sofortigen Planungsstopp für den Weiterbau der A 20. Wie sehen Sie das?

Heinold: Der Bund ist zuständig für die Autobahnen. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung legt fest, dass der Bundesverkehrswegeplan unter Klimaaspekten neu betrachtet und priorisiert wird. Und das, was der Bund dann entscheidet, werden wir als Land selbstverständlich konstruktiv umsetzen.

Wie ist denn Ihre persönliche Position zum Bau der A 20?

Heinold: Wir brauchen eine gute Anbindung der Westküste, wo wir große Ansiedlungsprojekte planen. Aber ich weiß auch, dass wir nicht weitermachen dürfen mit der Flächenversiegelung der letzten Jahrzehnte. Deshalb hoffe ich, dass der Bund in diesem Spagat eine Konzeption findet, die mehr Schiene beinhaltet als bisher.

Die FDP ist raus aus der Landesregierung. Halten Sie ein landesweites Tempolimit jetzt für machbar?

Heinold: Die FDP ist Teil der Bundesregierung. Und ein Tempolimit ist eine Bundesentscheidung. Mir ist völlig unbegreiflich, warum die FDP in dieser Eskalation der Energiepreise nicht bereit ist, einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen zuzustimmen. Ich finde das verantwortungslos.

Nach Ende der Verhandlungen sollen schon in gut drei Wochen Parteitage über den schwarz-grünen Koalitionsvertrag abstimmen. Sehen Sie die Gefahr, Ihren Parteinachwuchs und auch Ihren linken Flügel nicht von einem Bündnis mit der CDU überzeugen zu können?

Touré: Auf dem Parteitag am vergangenen Dienstag haben 93 Prozent der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU zugestimmt. Das sind nicht alles Realos. Abgesehen davon, dass wir keine Flügel in Schleswig-Holstein haben. Wir stehen in ständigem Kontakt zur Partei, machen nichts vorbei an den Mitgliedern. Die Erwartungshaltung der Partei an uns in der Verhandlungsführung ist ganz klar: Schleswig-Holstein braucht einen Koalitionsvertrag, der konsequenten Klimaschutz und soziale Fragen zusammenführt.

Das Gute ist: Dieselbe Erwartungshaltung haben wir an uns. Wir haben auf dem Parteitag aber auch klargemacht, dass 43 Prozent die CDU gewählt haben und uns 18. Da muss niemand die Vorstellung haben, dass wir im Koalitionsvertrag grüne Politik zu 100 Prozent umsetzen können. Was Politik ausmacht, ist, Kompromisse zu verhandeln.

Heinold: Eine Vertreterin der Grünen Jugend ist Teil der Verhandlungsgruppe, das hat sich schon bei der Jamaika-Verhandlung 2017 sehr bewährt. Das direkte Mitverhandeln ist etwas ganz anderes, als es sich berichten zu lassen.

Touré: 2017 war ich das übrigens.

Schwarz-Grün: Modernisierung und Zusammenhalt

Wenn Schwarz-Grün im ländlich geprägten Norden gelingt – ist das dann auch eine Blaupause für die Zeit nach der Ampel und der nächsten Bundestagswahl?

Touré: Das schauen wir uns in dreieinhalb Jahren an. Die Zeiten verändern sich schnell. Es gab Zeiten, da hieß es, es brauche die SPD nicht mehr. Dann hieß es dasselbe von den Grünen. Im Moment fragen sich die Menschen, braucht es die FDP noch? Es verändert sich immer wieder. Und: Wir machen Politik für die Bedürfnisse und Herausforderungen im Land, wir sind nicht die Vorgruppe des Bundes.

Aber Schwarz-Grün ist durchaus eine neue Machtoption.

Touré: Ja, aber das war auch schon vor Schleswig-Holstein klar.

Heinold: Es verfestigt sich das Bild einer eigenständigen grünen Partei. Wir sind kein Anhängsel von irgendjemandem. Interessant für die anderen Länder ist unser Selbstbewusstsein. Wir sind mit mir als Ministerpräsidentin-Kandidatin in den Wahlkampf gegangen. Es gibt drei große Parteien im Land, und wir sind jetzt die Nummer zwei in Schleswig-Holstein.

Wir spielen bei den Großen mit. Es gab eine Zeit, da war es sehr wichtig für Schleswig-Holstein, Rot-Grün zu machen. Jetzt wollen wir mit Schwarz-Grün das Land modernisieren und dabei den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft hinbekommen. Das ist eine große Chance. Und die wollen wir nutzen.

Der Fahrplan bis zur Regierungsbildung

Der Fahrplan zur Macht ist ambitioniert. CDU und Grüne in Schleswig-Holstein wollen Daniel Günther am 29. Juni erneut zum Ministerpräsidenten wählen. Nach dieser Sitzungswoche verabschiedet sich der Landtag dann in die Sommerpause.

Um in gut drei Wochen zurande zu kommen, haben CDU und Grüne zehn Arbeitsgruppen eingesetzt mit jeweils fünf Experten beider Parteien. Ar­beitsgruppen gibt es beispielsweise zu den Themen Bildung, Umwelt, Energie und Verkehr, Stadt- und Raumentwicklung, Soziales, Innenpolitik, Digitales.

Einmal pro Woche tagt zudem eine Lenkungsgruppe mit den wichtigsten Vertretern beider Parteien. Diese 24 Politikerinnen und Politiker bereiten die Ergebnisse der Arbeitsgruppen auf und versuchen Kon­flikte zu lösen. Damit der ehrgeizige Fahrplan funktioniert, sollen Sonderpartei­tage von CDU und Grünen bis zum 27. Juni den Koalitionsvertrag beschließen. Am 28. Juni soll das Papier dann feierlich unterzeichnet werden.