Brunsbüttel. Nach einem verheerenden Sportunfall kann Elke Paatz nicht mehr ins Boot. Nun setzt sie sich emsig für Inklusion ein.
„Seit ich denken kann, bin ich eine Seglerin gewesen“, sagt Elke Paatz. Schon als kleines Kind war die gebürtige Brunsbüttlerin mit der ganzen Familie segeln, mit fünf Jahren saß sie zum ersten Mal allein in einem Optimisten, die anderen Bootsklassen folgten. Irgendwann war Elke Paatz selbst Segellehrerin. Sie entschloss sich, Sportwissenschaft und Latein zu studieren, natürlich in Kiel, die Nähe zum Wasser war ein Muss.
Ihr Leben wäre eines geworden, wie es viele Tausende junge Männer und Frauen im Norden führen, wenn es vor gut zwei Jahren nicht zu diesem Sportunfall gekommen wäre. Die Folgen sind schlimm genug: Ab der Hüfte kann sich die heute 31-Jährige nicht mehr bewegen, seit vier Jahren liegt sie die meiste Zeit des Tages im Bett, selbst im Rollstuhl kann sie es nur kurzzeitig aushalten. Nichts in ihrem Leben ist mehr so, wie es war – außer der Leidenschaft für das Segeln.
Segeln: So kämpft Elke Paatz für Inklusion
Elke Paatz schrieb vom Bett aus für ihre Masterarbeit an einer Studie über die Inklusion im Segelsport, etwas, was es bis dahin noch nicht gab. Sie bekam dafür eine glatte Eins. „Beim Segeln können Menschen ihre Behinderung vergessen. Segeln kann das, was die Behinderung – dem einen mehr, dem anderen weniger – im Alltag nimmt, für ein paar Stunden wieder zurückgeben“, sagt sie. Mit dieser These überzeugte sie nicht nur ihren Professor, sondern auch den Deutschen Segler Verband.
Als sie noch während des Studiums Fördergelder für eine Doktorandenstelle beantragte, kam sie mit dem DSV in Kontakt und erhielt ein Jobangebot. „Ich weiß noch genau, welch tierische Angst ich vor dem Bewerbungsgespräch hatte“, sagt Elke Paatz. Frühere Erfahrungen mit negativen Reaktionen und Vorurteilen bereiteten der Frau Sorgen, doch die Resonanz war dieses Mal positiv: „Wir finden für alles eine Lösung“, habe man ihr beim DSV gesagt, der sie einstellte, um sich um inklusives Segeln zu kümmern.
So fing sie statt ihrer Doktorarbeit im Juli 2021 an, das Inklusionsangebot beim Verband aufzubauen. Kaum vorstellbar, wie die junge Frau innerhalb kürzester Zeit einen komplett neuen Bereich hochzog, mit Website, Online-Seminaren für Trainer, Messepräsenz und bundesweiten Veranstaltungen – und das alles aus dem Bett heraus, das im Haus ihrer Eltern in Brunsbüttel steht, wohin sie sich zurückziehen musste.
Menschen mit Einschränkungen das Segeln ermöglichen
Aktuell kümmert sie sich vor allem darum, wie Vereine Menschen mit Einschränkungen das Segeln ermöglichen können. „Bei der Ausstattung des Bootes gibt es keine Grenzen“, sagt Elke Paatz. „Ich kenne eine Frau, die nur noch ihren Kopf bewegen kann. Sie steuert das ganze Boot durch Schläuche, in die sie Luft pustet beziehungsweise diese einsaugt.“
Und wie bei der Ausstattung der Segelboote gibt es auch im neuen Berufsleben der jungen Frau keine Grenzen. Für jedes Problem hat der DSV bisher eine Lösung gefunden. Besonders originell ist der Roboter „Robbie“. Wie ein Alter Ego macht Robbie das, was Elke Paatz nicht kann, zum Beispiel an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen.
- Was ein Jesteburger vier Wochen allein im Atlantik macht
- Nach 101 Jahren droht Seglern am Holzhafen Moorfleet das Aus
- Trauriges Schicksal: Weltumsegler muss an Land bleiben
„Für mich kam ein Messebesuch zunächst nicht infrage. Aber nach einiger Zeit dachte ich mir, es kann nicht sein, dass es etwas gibt, was ich wegen meines Handicaps nicht machen kann.“ Sie recherchierte und stieß auf das Modell eines sogenannten Telepräsenzroboters, den sie von zu Hause aus steuern kann, auch wenn er Hunderte Kilometer entfernt ist: „Damit war ich im September das erste Mal auf zwei Messen. Ich konnte alles hören und sehen, was um mich herum geschah, Stände besuchen und Gespräche führen. Es war, als wäre ich selbst auf der Messe gewesen.“
Kleinste Erschütterungen sorgen für große Schmerzen
In Zeiten, in denen immer mehr Menschen von zu Hause arbeiten, fällt es zudem weniger auf, dass Elke Paatz nie im Büro ist. Für die Kollegen ist sie eine Kollegin unter vielen anderen, während der Arbeit gehe es nur um ihr Wissen und Können, „niemand interessiert sich für meine Einschränkung – im positivsten Sinne“.
Diese Erfahrung machten auch andere eingeschränkte Segler, wie Elke Paatz in ihrer Studie festgestellt hat. Negative Haltungen und soziale Vorurteile gegenüber Menschen mit Handicap würden durch das gemeinsame Segeln abgebaut. „Sobald man ins Boot eingestiegen ist, bleibt die Behinderung an Land zurück. Das ist pure Freiheit“, sagt sie. Und Elke Paatz selbst?
Da schon kleinste Erschütterungen nicht auszuhalten sind für die junge Frau, kann sie selbst derzeit noch nicht wieder in ein Boot. „Ich arbeite mit einem sehr erfahrenen Mann zusammen, wir sind dabei, eine Möglichkeit zu finden, dass auch Menschen mit derartigen Einschränkungen wie meiner wieder aufs Segelboot können. Ich bin sehr optimistisch, dass wir auch das schaffen werden!“