Santa Cruz/Jesteburg. Marcus Bulgrin segelt bis in die Karibik. Jetzt begann für ihn und sein kleines Schiff einer der gefährlichsten und längsten Abschnitte.
Schiffszwieback ist an Bord, na klar. Aber auch frische Lebensmittel und hochkonzentrierte Bergsteiger-Nahrung, die man nur mit heißem Wasser zubereiten muss, wenn es mal stürmisch wird und im Wellengang nicht an normales Kochen zu denken ist: Die Einkaufsliste war schon lang, die sich Marcus Bulgrin da in den vergangenen Tagen bei einem Zwischenstopp in Santa Cruz auf Teneriffa erstellt hat. Für gut 30 Tage soll der Proviant jetzt mindestens reichen, um von dort über den Atlantik bis in die Karibik zu segeln. Der 49-jährige Jesteburger will dieses Abenteuer allein wagen, als Einhand-Segler.
Und das mit einem relativ kleinen und damit langsamen Boot, das nur etwas mehr als neun Meter lang ist. „Ein Kindheitstraum“, sagt Bulgrin, der in Hanstedt aufgewachsen ist und als Ingenieur bei Airbus arbeitet. Klar, er segelt mit seinem Schiff, einer Hallberg Rassy Monsum 31, schon seit zehn Jahren. Oft von Bremen aus, wo es seinen Heimathafen hat. Und im Urlaub auf Nord- und Ostsee. „Doch die Atlantik-Dünung ist schon etwas anderes“, berichtet er bei einem Telefon-Interview mit dem Abendblatt aus Santa Cruz. Hier rüstete er in den vergangenen Tagen seine bereits 1977 gebaute „Ikaika Noa“ für den großen Sprung gerade aus.
Mail des Jesteburgers ans Abendblatt vor dem Start: „4 Wochen just me, myself and I“
Am Donnerstag legte er mittags dann schließlich zu der großen Tour ab: „4 Wochen keine Rechnungen, Nachrichten, Nachbarn, oder Familie. Just me, myself and I“, mailte er kurz vorher an das Abendblatt.
Der Schiffsname ist hawaiianisch und bedeutet so viel wie „stark“ und „frei“. „Das soll ein bisschen Mut machen“, sagt er. Beides passt aber auch für diesen anspruchsvollen Törn. Ein Jahr Auszeit hat Bulgrin von seinem Arbeitgeber bekommen. Genug Zeit und Freiheit, um sich einen solchen Traum zu verwirklichen, der schon als kleiner Junge entstanden ist, wie Bulgrin sagt. Damals war er mit seinen Eltern oft auf dem Campingplatz an der Ostsee, sah die weißen Segel am Horizont und träumte sich auf eine lange Reise mit einem solchen Segelboot.
Das aber für den Atlantik auch stark sein muss. Was die Hallberg Rassy Monsum ist: das in Schweden gebaute Schiff hat einen klassischen langen Kiel und gilt in Seglerkreisen als sehr stabiles Boot. Keine Rennmaschine; aber sicher, gerade wenn man allein ist. Im gemütlichen Jogging-Tempo mit durchschnittlich 5 Knoten (etwa: 9,3 Stundenkilometer) wird der Jesteburger jetzt Richtung Karibik unterwegs sein.
Der eigentliche Start zu der kompletten Reise war bereits im August
Der eigentliche Start zu der kompletten Reise war aber bereits im August gewesen. Mit seiner Freundin segelte Bulgrin zunächst über die Nordsee bis Plymouth ganz an der westlichen Ecke von Großbritannien. Von dort aus machte er dann den ersten Sprung als Einhandsegler bis zu den Kanaren und musste dabei die berüchtigte Biskaya überqueren, wo die Atlantik-Dünung auf flachere Zonen trifft und gefährlichen Seegang aufwerfen kann.
Doch Bulgrin passte das richtige Wetter ab und hatte auch Glück. „Die Biskaya verhielt sich da recht zahm “, sagt er. Gut 15 Tage nonstop, ohne Ankern, ohne Hafen dauerte diese Etappe. 1600 Meilen, knapp 3000 Kilometer legte er dabei zurück. So lange war er am Stück bisher noch nie gesegelt, „Eine Reifeprüfung“, wie Bulgrin sagt. Und gleichzeitig war es ein Test für Mann und Boot.
Wie verhält sich das Schiff in den Wellen, hält man es aus, wenn man nur in ganz kurzen Abständen von einer Stunde schlafen kann, um nicht großen Schiffen zu nahe zu kommen? Funktioniert die automatische Steuerung mit der Windfahne? Arbeitet der Wassermacher zuverlässig? Schlägt der Radar-Warner rechtzeitig an, wenn sich ein Frachter nähert? Solche und viele anderen Fragen konnte Bulgrin für sich nun mit positiver Antwort bejahen.
Auf Teneriffa wartete er zunächst die karibische Hurrikan-Saison ab
Auf Teneriffa wartete er dann zunächst die karibische Hurrikan-Saison ab, die im Juni begonnen hatte und mit dem Abkühlen des Ozeans bis etwa bis Mitte/Ende November dauern soll. Bulgrin steckt mit Hilfe von Seekarte und GPS den Kurs Richtung Süden ab bis etwa zu den Kapverdischen Inseln. Um dann weiter gen Westen zu segeln und dabei den beständigen Passatwind zu nutzen, der in früheren Jahrhunderten bereits bewährter Partner der alten Windjammer war und meistens achterlichen Wind, also eine Art Rückenwind, bietet. 2700 Meilen, etwa 5000 Kilometer, werden es auf dem Ozean sein, bis die andere Seite erreicht ist. Jedes Jahr im Herbst nutzen auch heute viele Segler diesen Windmotor, doch meist sind es größere und schnellere Schiffe. Und in der Regel werden sie eben von einer Mannschaft gesegelt.
Drei bis vier Wochen, so schätzt Bulgrin, wird es für ihn dauern, bis er mit Grenada in der Karibik erstmals wieder Land sehen wird. Geplant ist dann, dass seine Freundin mit dem Flugzeug kommt und beide dort eine Weile verbringen. Im Mai 2023 will er die Rücktour starten, diesmal nördlicher mit eventuellem Zwischenstopp auf den Azoren. Dieser Abschnitt der Reise wird, das weiß er, noch härter sein, weil es dann auch mal gegen Wind und Strömung gehen kann. Und wieder will er das Abenteuer allein bestehen, gut fünf Wochen wird dieser Teil des Segel-Abenteuers dauern. Viel Zeit, um wieder allein in Gedanken zu versinken, über sich nachzudenken oder einfach nur zu träumen. „Ich kann auch stundenlang nur aufs Wasser schauen“, sagt Bulgrin. Ein Trip also, der auch horizonterweiternd ist, im doppelten Sinn sogar.
Für Familie, Freunde und Interessierte hat der Jesteburger Segler einen Live-Reisetrecker eingerichtet. Damit lässt sich in Echtzeit die Position und aktuelle Windstärke dort verfolgen: https://trackamap.com/sy-ikaika-noa/