Helgoland. Laut Hotelier Detlev Rickmers behindern Überregulierungen und das Fehlen eines Tourismus-Gesamtkonzepts die Renaissance der Insel.

Wohl kaum eine andere Insel hat eine so bewegte Vergangenheit wie Deutschlands einzige Hochseeinsel. Mit den urwüchsigen roten Felsen, dem weißen Sand der Badedüne, dem blau-grünen Meer ringsum und der unverbrauchten Natur mit ihren seltenen Seevögeln war Helgoland bereits Seefestung und Piratennest, später Europas größtes Warenumschlagszentrum, ab 1826 Seebad, in den Weltkriegen Marinestützpunkt und 1947 Ort der größten nicht nuklearen Sprengung aller Zeiten durch die Engländer.

1952 erhielt Deutschland die Insel zurück und begann mit der Wiederbesiedlung – nach einem Konzept, das sowohl die Architektur der Häuser als auch ihre Farben und Dachneigungen festlegte und sich dabei, etwa bei den Hummerbuden am Hafen, auch an skandinavischen Vorbildern orientierte. Das mochten die Menschen. In den Hoch-Zeiten besuchten im Jahr bis zu 800.000 Touristen das Heilbad, darunter viele Prominente. Doch irgendwann wurde die rund 50 Kilometer vom Festland gelegene Insel unattraktiv.

Nordsee: Helgoland wirkte auf Touristen veraltet

„Die Gäste fanden die Architektur und das kulinarische Angebot veraltet. Und die Fördergelder für den Tourismus waren alle in den Osten geflossen“, sagt Hotelier Detlev Rickmers, Spross der berühmten Rickmers-Familie und gebürtiger Helgoländer. Er will die Insel jetzt wieder nach vorne bringen. Denn die konnte ihr Tief dank des Windkraft-Booms in den Jahren 2013 bis 2016 überwinden, als in der Nähe Helgolands drei Windparks entstanden und die Unternehmen ihre Mitarbeiter in Hotelzimmern und Ferienwohnungen einquartierten.

Das habe Änderungen angestoßen, so Rickmers. Jetzt fahre auch im Winter täglich ein Schiff, die Insel habe sich für Investoren geöffnet, viele Betriebe seien gewachsen. Der Boom habe auch eine Investitionswelle ausgelöst: Mehr als 100 Millionen Euro wurden für neue Schiffe und mehr als 300 Millionen für die Infrastruktur und den Innenausbau von Hotels und Apartments ausgegeben.

Denkmalschutz verhindert zukunftsfähigen Tourismus

„Der Insel könnten Goldene 20er-Jahre bevorstehen“, sagt Rickmers. „Denn die Grundlagen für einen zweiten Lebenszyklus im Helgoland-Tourismus wurden geschaffen.“ Aber jetzt gehe es nicht weiter. Und es sei Helgoland selbst, das seine Entwicklung blockiere. Es gebe keine sinnvolle Weiterentwicklung des Geschäftsmodells aus den 50er-Jahren, das kleine Hotels und Gästehäuser vorsah. Auch fehlten Konzepte für Helgoland als Ganzjahresdestination und zur Überwindung der Saisonbeschränkungen.

Auch der Denkmalschutz, unter dem fast alles auf Helgoland steht, verhindere einen zukunftsfähigen Tourismus. So könnten etwa die drei- bis viergeschossigen Hotels keinen ausreichend großen Fahrstuhl einbauen, weil sie im Inneren des Gebäudes nicht genügend Platz hätten und es außen nicht dürften. Und darüber hinaus drohe Helgoland zu einer rein touristischen Destination zu werden, „eine Kulisse für die Touristen, ohne Einwohner“. Schon jetzt würden viele Stellen im Gastgewerbe dauerhaft durch Polen, Rumänen und Bulgaren besetzt. „Einen Entwurf für die Zukunft der Gemeinde als Gemeinschaft der Einwohner gibt es nicht.“

Einstige Schwäche wird zu Stärke von Helgoland

Der Tourismus läuft wieder an. Es kommen Tagesgäste, die hier zollfrei einkaufen wollen, aber auch viele Übernachtungsgäste, die länger ausspannen, die Nordseeluft und das saubere Wasser genießen wollen. Und die Gästezahlen werden steigen, das steht für Rickmers fest. Denn was mal als Helgolands „Schwäche“ galt – die alten Häuser, die einheitliche Architektur, die Abgeschiedenheit – werde gerade zur „Stärke“ der Insel. Die farbigen, reihenweise angeordneten Gebäudezeilen mit ihren weißen Balkongeländern und ihren asymmetrisch geneigten Dächern würden mittlerweile als historisch wahrgenommen. Auch die von vielen gesuchte Entschleunigung könne hier bestens umgesetzt werden.

„Aber wir können die Nachfrage nicht bedienen, weil es auf der Insel zu wenig Zimmer gibt“, klagt der Hotelier. Der 61-Jährige, der 1988 das elterliche Hotel Insulaner und ein paar Jahre später das heutige Hotel Helgoländer Klassik übernahm, ist mittlerweile zum Großvermieter geworden. Seit 2010 konnte er sein Immobilienportfolio auf heute 250 Hotel- und Ferienzimmer erweitern, eine Umsatzsteigerung von 1,5 auf 10 Millionen Euro. Sein Konzept: „Wir bieten den Eigentümern, die sich aus Alters- oder anderen Gründen davon trennen möchten, die Fortsetzung der Betriebe in verschiedenen Varianten an.“ Allein in der CoronaPandemie übernahm er sechs Objekte.

Rickmers nutzt eine Gesetzes­lücke

Damit schlägt er der von ihm skeptisch betrachteten Wohnraumerhaltungssatzung, die seit 2018 für Helgoland gilt, ein Schnippchen. Diese soll, so Rickmers, nicht nur die Umwandlung von Wohnraum in Ferienunterkünfte reglementieren, sondern auch die Weiternutzung einer Ferienimmobilie nach einem Verkauf. Dadurch, dass er die Immobilien zunächst pachte, nutze er eine Gesetzes­lücke und verhindere, dass der Insel wichtige Unterkünfte verloren gingen. Rickmers warnt: „Die Bettenzahl wird durch die Bestimmung in den nächsten Jahren von rund 2000 um etwa 700 sinken.“

Was die Weiterentwicklung der Insel auch blockiere, sei, dass allein für die Kommune mehr als 130 Menschen arbeiten – also mehr als jeder zehnte der knapp 1300 Einwohner. „Um Entscheidungen zu treffen, muss man also lange suchen, bis man jemanden findet, der nicht befangen ist.“ Ihm selber wurde etwa der Betrieb eines Elektrofahrzeugs untersagt.

Neues Konzept für Ferienimmobilien

Er habe den Plan gehabt, das gastronomische Angebot der autofreien Insel zu erweitern und in einer der Hummerbuden Knieper und Hummer anzubieten, erzählt der Hotelier. Für den Transport wäre er auf ein E-Fahrzeug angewiesen gewesen. Vom Kreis Pinneberg, der aber nach Vorgabe der Gemeinde handelt, wurde ihm gesagt, es gebe schon zu viele solcher Fahrzeuge auf der Insel. „Als mir die Verantwortlichen vorschlugen, den Transport doch per Handkarren zu machen, habe ich das Projekt aufgegeben.“

Dabei geht er selber mit gutem Beispiel voran. „Wir machen auf Unternehmensebene das, was für die ganze Insel erforderlich wäre, um ihr die Chance einer Renaissance zu ermöglichen“, sagt er selbstbewusst. Und dazu gehört ein völlig neues Konzept für seine Ferienimmobilien. In zwei „Neuzugängen“ – nebeneinander liegenden Häusern am Lung Wai – hat er sowohl eine Dependance seines Hamburger Reisebüros Helgoländer Botschaft sowie die neu eingeführte zentrale Rezeption seiner fünf Hotels und seines Appartementhauses, die für alle Gäste von morgens bis abends einen Conciergeservice bietet. Eine Lounge an der Siemens-Terrasse als Aufenthaltsraum und ein großzügiger Seminar- und Tagungsraum in zwei zusammengelegten Hummerbuden am Hafen sind weitere neue Angebote.

Nordsee: Rickmers Häuser auf Helgoland bleiben einzigartig

Damit die aus einer Hand betriebenen Häuser Rickmers weiterhin unverwechselbar bleiben, erzählt jedes „eine eigene Geschichte“. Im Hotel Insulaner geht es um die Insel- und Familiengeschichte, im Hotel auf den Hummerklippen (nach dem bekannten Buch von Rickmers Onkel James Krüss) um Literatur über Helgoland; Hotel und Appartementhaus Helgoländer Klassik sind mit Originalen aus den 50er-Jahren eingerichtet, das Haus Rood Weeter im nordischen Stil und das Haus Felsen-Eck mit inseltypischen Fotomotiven.

Insgesamt zwölf Millionen Euro hat Detlev Rickmers in den letzten drei Jahren in seine Häuser gesteckt. So gibt es auf den Zimmern jetzt Tablets, die neben Hotel- und Inselinformationen die Möglichkeit bieten, Frühstück oder eine Zwischenreinigung zu bestellen. Um auch ein jüngeres Publikum anzusprechen, hat er schon Lesungen von Nachwuchsautoren und Street-Art-Ausstellungen organisiert.