Helgoland. In den 50er-Jahren entworfen, galt der Baustil der Insel lange als unmodern. Heute ist er wieder chic. Warum Experten schwärmen.

Raum ist Luxus. Das gilt insbesondere auf einer nur 170 Hektar großen Insel mitten in der Nordsee. Helgoland ist in den 50er-Jahren am Reißbrett entworfen worden. In Anbetracht der totalen Zerstörung verzichtete man 1952 beim Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau auf jegliche Versuche, Bauten zu rekonstruieren.

Der Hamburger Architekt Georg Wellhausen setzte sich mit seinem Entwurf von einer kompakten Siedlungsstruktur nach historischem Vorbild durch. Die Versuchswohnhäuser an der Bremer Straße am Fuß des Helgoländer Felsens waren die ersten Neubauten, die 1953 nach seinen Entwürfen entstanden. Charakteristisch sind die asymmetrischen Giebelprofile, die dafür sorgten, dass mehr Licht in die engen Gassen fiel. Das typisch verschachtelte Straßenbild mit seiner kompakten Bauweise wirkt so trotzdem noch hell und luftig. Gegenüber dem Vorkriegszustand wurde das Straßenraster um 90 Grad gedreht. Hauptwege verlaufen nun in Nord-Süd-Richtung. So fällt mehr Tageslicht in die Wohnungen.

Die Grundrisse der Wohnungen sind dagegen nach Ost-West ausgerichtet. Die quadratischen Fenster ohne Sprossen sind an die skandinavische Moderne angelehnt. Auch achtete man auf die Verwendung natürlicher Baumaterialien. Die Dachschrägen betragen genau 32 Grad. Die flach geneigten Pultdächer, die versetzten Baufluchten und die Balkone geben von fast jedem Haus den Blick aufs Wasser frei. Alle Straßenverläufe sind leicht gebogen und die Häuserfluchten versetzt. Dadurch ergeben sich immer wieder Durchblicke. Die verschachtelten Gassen, die Dachformen und die dichte Bebauung brechen zudem den oft sehr starken Nordseewind.

Helgoland wird zur Spielwiese für Architekten

Die Bereiche Wohnen, Tourismus und Gewerbe wurden klar abgegrenzten Baugebieten zugewiesen. Damit folgte die Neubebauung der „Charta von Athen“ von 1933. Unter dem Thema „Die funktionale Stadt“ hatten dort Stadtplaner und Architekten über die Aufgaben der modernen Siedlungsentwicklung diskutiert. Bei den Planungen auf Helgoland spielte die soziale Komponente eine große Rolle. Jeder sollte zu gleichen Teilen profitieren.

Die breite Einkaufsstraße Lung Wai im Unterland mit vielen Geschäften.
Die breite Einkaufsstraße Lung Wai im Unterland mit vielen Geschäften. © Anne Dewitz | Anne Dewitz

Auch einzelne Solitärbauten kamen dazu. Die Biologische Anstalt und das Aquarium etwa wurden von 1955 bis 1959 nach Plänen von Bauhausschüler Gustav Hassenpflug errichtet. Das Aquarium wird nun zwar einem Neubau weichen, doch der lehnt sich eng an die alte Architektur. Hassenpflug hatte das Ensemble als Bindeglied zwischen Unterland und aufgespültem Nord-Ost-Gelände geplant.

Die Architekten Peter Hübotter, Bert Ledeboer und Rolf Romero aus Hannover schufen 1958 bis 1960 die St. Nicolai-Kirche auf dem Oberland. Im selben Jahr öffnete die James-Krüss-Schule. Der Kieler Architekt Otto Christophersen orientierte sich dabei an der dänischen Munkegaard-Schule des Architekten Arne Jacobsen. Das Inselkrankenhaus im Mittelland wurde 1958 in eine Sprengmulde eingebettet. Das Rathaus im Unterland – entworfen von Ingeborg und Friedrich Spengelin – wurde 1960 eingeweiht. Die Jugendherberge sowie das Kurhaus-Ensemble entstanden zwischen 1956 und 1957.

Um die gewollt einheitlich gehaltenen Neubauten aufzulockern – den Architekten schwebte eine gewisse soziale Gleichheit vor – und in die rote Felsenlandschaft zu integrieren, entwickelte der Hamburger Künstler Johannes Ufer eine Farbpalette aus 14 Tönen – die Helgoländer Palette. Sie geben den Helgoländer Häusern bis heute ihre bunte Kolorierung und tragen zum einzigartigen Erscheinungsbild der Insel bei. Bei den ebenfalls farbenfrohen Hummerbuden orientierte Georg Wellhausen sich 1954 an skandinavischen Vorbildern. Sie wurden 1955 fertiggestellt und gelten heute als eines der Wahrzeichen der Insel. Wie ein buntes Band rahmen die kleinen Holzhäuschen den Binnenhafen ein. Einst waren sie Lager und Werkstätten für Fischer. Heute beherbergen sie Kulinarisches, Kunst und Souvenirgeschäfte.

Helgoländer Häuser stehen unter Denkmalschutz

Die Unterbringung der Touristen sollte vorrangig in Ferienapartments innerhalb der Wohnbebauung erfolgen. So sollte den Helgoländer Familien neben dem Fischfang ein weiteres Einkommen ermöglicht werden. Hotels wurden nur an den Außenkanten der Siedlung eingeplant, wo die ein bis zwei Geschosse höheren Gebäude zugleich als Windbrecher für die dahinter liegenden Wohnhäuser dienen sollten. Die meist konkav gebogenen Hotels mit weißen Balkonfronten befinden sich Richtung Südstrand.

Der zollfreie Handel machte in der Nachkriegszeit Butterfahrten nach Helgoland beliebt. Neben Butter wurden Zigaretten und Whisky auf der Straße aus Kartons an Tagestouristen verhökert. Die Insel büßte dabei aber auch ihre Attraktivität als Feriendestination ein. Bis heute klebt Helgoland das Image vom Fuselfelsen an. Das erschwerte lange eine Neuausrichtung des Tourismus. Die eng geschnittenen Grundrisse der Häuser sind ein weiteres Problem. In der Nachkriegszeit wurden sie nach den damaligen Regularien des Sozialen Wohnungsbaus konzipiert. Bis heute ist kein Hotelzimmer länger als drei Meter.

Die versetzten Häuserschluchten ermöglichen auch aus hinteren Reihen den Blick aufs Meer.
Die versetzten Häuserschluchten ermöglichen auch aus hinteren Reihen den Blick aufs Meer. © Anne Dewitz | Anne Dewitz

1992 wurden viele Bauten unter Denkmalschutz gestellt. Der damalige Landeskonservator von Schleswig-Holstein, Johannes Habich, verglich Helgolands Architektur sogar mit der Blauen Mauritius, einer überaus seltenen und kostbaren Briefmarke. Unumstritten ist die Entscheidung, die meisten Häuser unter Denkmalschutz zu stellen, nicht. Denn damit sind bauliche Veränderungen quasi unmöglich geworden – zum Leidwesen vieler Helgoländer. Sie beflaggten die Insel aus Protest gegen die neuen Regulierung sogar mit schwarzen Fahnen.

Die kleinen Ferienapartments der Nachkriegszeit genügten bald nicht mehr den gewachsenen Ansprüchen an den Tourismus. In der Wendezeit steckten Investoren ihr Geld zudem lieber in den Aufbau Ost. Die Insel wurde abgehängt.

Neue Hotelkonzepte waren gefordert. So wurde 1999 am oberen Ende der Kurpromenade das Hotel Atoll gebaut, für das der Kursaal von 1959 weichen musste. In das bauliche Profil der Insel passt es allerdings nicht recht.

Hotelier Detlev Rickmers wirbt mit 50er-Jahre-Flair

Die einzigartige Architektur Helgolands ist aber nicht nur Hemmschuh für die touristische Entwicklung, sondern auch Alleinstellungsmerkmal. „Was über Jahrzehnte Bremsklotz war, ist auf eine Art und Weise gealtert, dass es von einer Schwäche zur Stärke geworden ist“, sagt Detlev Rickmers, dem auf der Insel mehrere Hotels und Apartments gehören. Er ließ das Hotel Insulaner 1985 um eine Etage aufstocken und legte es 1996 mit dem angrenzenden Haus Südstrand zusammen.

Der heutige Hotelbetrieb bezieht sogar die Eigenheiten der Wiederaufbau-Architektur ins Marketingkonzept ein und wirbt bewusst mit dem 50er-Jahre-Flair des Hauses als „Zeitdokument mit vielen Originalen“. Die Innenräume wurden 2010 im Retro-Chic gestaltet und Möbel dafür teilweise neu angefertigt. Für Rickmers mache die Architektur 30 Prozent des Urlaubscharmes aus.

Blick vom Oberland auf Unterland und Düne
Blick vom Oberland auf Unterland und Düne © Anne Dewitz | Anne Dewitz

Der Architekturweg mit seinen 16 Stationen erläutert Helgolands Baukultur. Tafeln weisen den Weg. Bei der Tourist Information gibt es zudem eine Informationsbroschüre samt Karte. Dort können zu ausgewählten Terminen auch städtebaulich-historische Rundgänge gebucht werden.

Spreek Halunder:

Oawen Ofen

Lamp Lampe

Skalter Schalter

Topeeten Tapeten

Kordiinen Gardinen

Futmat Teppich

Taffel Tisch

Stuul Stuhl

Leenstuul Sessel

Skap Schrank

Büln Bilder

Blömkenwoas Blumenvase

Beesem Besen

Skoffel Schaufel

Spoa Spaten

Riuw Harke

Koabel Stromleitung

Spreekfeerer von Mina Borchert u. Kurt Pohlmann