Helgoland. Einheimische Fischer wie Detlef Nitze bemühen sich um schonenden Umgang. Warum die Bestände trotzdem gefährdet sind.
Wenn es das Wetter zulässt, fährt Detlef Nitze mit seinem Kutter täglich raus, um seine Fangkörbe vor Helgoland zu kontrollieren. Vor fünf Jahren hat er noch acht bis neun Tonnen Knieper im Jahr gefangen. „Jetzt ist es nur noch etwa eine Tonne“, sagt der 62-Jährige. Die Bestände sind nicht zurückgegangen. Der Grund liegt viel mehr darin, dass die Körbe meist schon von Hummern besetzt sind, die ihr Futter und ihr Revier gegen Eindringlinge verteidigen. „Mittlerweile fange ich 60 bis 70 Hummer am Tag“, sagt Detlef Nitze.
Helgoland: Wie die Hummer geschützt werden sollen
Er ist einer von drei Nebenerwerbsfischern auf Helgoland. Fischfang gibt es auf der Insel nicht mehr. Dafür müssten die Boote zu weit rausfahren. Zudem sind die Fischbestände zurückgegangen. Sie haben es auf die kostbaren Schalentiere abgesehen, deren Bestände sich in den letzten Jahren dank vielfältiger Bemühungen erholt haben. Im Jahr fängt Nitze schätzungsweise 2,5 Tonnen Hummer. „Früher waren es lediglich 500 bis 600 Hummer im Jahr“, sagt der Fischer.
Nitze hat zwei Jobs. Seit 2018 sorgt er tagsüber als Mitarbeiter des Helgoland Tourismus-Service dafür, dass technische Probleme auf der Insel schnell beseitigt werden. Darin hat er Erfahrung. In den 1980er-Jahren war er Maurer und Fliesenleger in Cuxhaven, bevor er seine Liebe zu Helgoland entdeckte und auf der Insel blieb. Er wurde Börteboot-Kapitän und machte nebenbei mit den Gästen Erklärungsfahrten über die Helgoländer Fischerei. Am späten Nachmittag fährt er raus aufs Meer und holt die Hummerkörbe rein. 50 Stück sind es pro Tag, die er an Bord hievt.
Helgoland: Fischer arbeiten mit den Wissenschaftlern zusammen
Nitze lockt Hummer wie Taschenkrebse mit Köderfischen in die Fangkörbe. „Früher habe ich dafür Fischabfälle aus Cuxhaven bekommen. Das geht nun nicht mehr“, sagt er. Darum muss er Hering und Makrele für drei Euro das Kilogramm kaufen. Auch Benzin ist teurer geworden. Auch wenn seine Kosten steigen, wird er weiterhin solange wie möglich rausfahren. „Es gibt nichts Schöneres“, sagt er.
Von Mitte Juli bis Ende August ist allerdings Schonzeit für die Helgoländer Hummer. In der Zeit streifen sie ihren Panzer ab, sind butterweich und schutzlos. Für die Tiere die gefährlichste Zeit, denn Fressfeinden sind sie ausgeliefert. „Außerdem fressen sie nicht mehr, damit sie sich häuten können“, sagt Nitze. Teile des Brustpanzer fressen sie, weil sie den Kalk brauchen, um einen neuen Panzer bilden zu können.
Sämtliche Krebsarten haben eines gemeinsam: Sobald sie tot sind, verdirbt ihr Fleisch in kürzester Zeit. Deshalb werden Krustentiere entweder lebend, vorgegart oder tiefgekühlt verkauft. Zurück an Land kocht er die Knieper ab und liefert sie ausschließlich an einzelne Helgoländer und Helgoländer Gastronomen aus, wo sie dann frisch zubereitet auf dem Teller der Gäste landen. „Viele Urlauber freuen sich schon das ganze Jahr drauf“, so der Fischer. Auch die Hummer gart Nitze vor und friert sie dann ein, weil der Transport für lebende Tiere puren Stress bedeutet. Die liefert er unter anderem an Spitzenköche in Hannover, Hamburg und Juist.
Helgoland: Hummer-Bestand hat sich erholt
Dass sich der Hummer-Bestand offensichtlich wieder erholt hat, ist auch dem umsichtigen Verhalten der Helgoländer Fischer zu verdanken. „Wir nehmen nur die Männchen“, sagt Nitze. Die Weibchen gehen zurück in die Nordsee oder wenn sie Eier tragen in die Biologische Anstalt Helgoland. Dort werden die Hummer aufgezogen und später wieder ausgesetzt.
In der AWI-Außenstelle wird seit vielen Jahren am Europäische Hummer (Homarus gammarus) geforscht, und es wurden Hummer für die Auswilderung gezüchtet. Nach den Bombardements im Zweiten Weltkrieg und intensiver Fischerei war die Population vor Helgoland eingebrochen. Seit 2019 wurde die Hummerzucht, der Wiederbesatz und die dazugehörige Begleitforschung an Reefauna ausgegründet. Finanziert vom Netzbetreiber Tennet als ökologische Ausgleichsmaßnahme für die Windparkanlagen.
Helgoland: Hummer sind Kannibalen und gehen sich aus dem Weg
In einem Pilotprojekt setzten die Wissenschaftler 2014 zunächst 2400 einjährige Hummer im Offshore-Windpark „Riffgat“ vor der Insel Borkum aus. Nach einem Jahr hatten die Wissenschaftler die vier Steinfelder überprüft, an denen sie die Tiere ausgesetzt hatten. Mindestens drei Prozent des ausgewilderten Bestands waren an den Stellen geblieben. Das klingt erst einmal wenig. Zum Vergleich: Die natürliche Sterblichkeit liegt innerhalb eines Jahres bei 30 Prozent. Die vorgefundene Bestandsgröße entsprach aber der in natürlichen Habitaten wie vor Helgoland. Und die Tiere sind Einzelgänger. Es ist auch gut, dass sie sich aus dem Weg gehen, denn sie sind Kannibalen. Seither geht die Aufzucht weiter, um die natürlichen Bestände zu unterstützen.
Nitze sieht noch andere Faktoren, die dazu geführt haben, dass der Europäische Hummer zurückgekehrt ist. „Vom Dorsch droht ihnen kaum noch Gefahr.“ Deren Bestände sind weiter Richtung Grönland gezogen, weil die Nordsee zu warm geworden ist. Das hätte auch zur Folge, dass es immer weniger Fischer gebe. „Fast 1000 Fischkutter weniger in der Nordsee“, schätzt der Wahlhelgoländer, der in einer Fischerei-Familie aufwuchs.
Helgoland: Kommerzielle Fischer fangen auch die Weibchen
Da weckt der Hummer, deren große Exemplare in Restaurants für 300 bis 400 Euro das Stück verkauft werden, Begehrlichkeiten. „Einige kommerzielle Fischer haben umgerüstet auf Korbfischerei.“ Sie würden auch Hummer rausfischen, die lediglich 430 Gramm wiegen würden. „Wir nehmen dagegen nur Hummer ab 1100 Gramm Gewicht. Dann haben sie schon sieben- oder achtmal Eier getragen.“
Eine freiwillige Selbstbeschränkung, die die Ressourcen schont. „Die Kinder rauszufischen, hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun“, ärgert sich Nitze. Hummer wachsen sehr langsam, wobei sie sich regelmäßig häuten. Zu Beginn ihres Wachstums häuten sie sich neunmal pro Jahr, später nur noch alle zwei Jahre. Erst mit etwa sechs Jahren werden sie geschlechtsreif. Die Fehler seien von der kommerziellen Fischerei Jahrzehnte lang gemacht worden. „Das geht vielleicht zwei bis drei Jahre gut, dann sind die Hummerbestände wieder am Ende.“ Die Helgoländer Fischer wollen nun beim Fischereiamt erreichen, dass die Mindestgröße auf 1000 Gramm festgelegt wird und alle Weibchen geschont werden. Denn die laichen nur alle zwei Jahre und tragen die Eier zehn bis elf Monate lang unter ihrem Bauch.