Kiel. Thomas Losse-Müller spricht darüber, wie die SPD die Regierung angreifen will – und nennt drei Gründe für die eigene Niederlage.

Von jedem großen Politiker gibt es diese Zitate mit Kultstatus. Unvergessen von Willy Brandt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Wer an Franz Müntefering, gleich zweimal Chef der SPD, denkt, denkt an: „Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen.“ Die SPD in Schleswig-Holstein kann das nicht die anderen machen lassen. Da muss sie als die große Verliererin der Landtagswahl selbst ran.

Die anderen – also vermutlich CDU und Grüne – stellen stattdessen die Regierung, die SPD aber hat fünf weitere Jahre „Mist“ vor sich. Über die Rolle in der Opposition, über die „Vermengung“ von Schwarz-Grün und was deren Politik für die Menschen bedeutet, sprach das Abendblatt mit SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller. Für den 49-Jährigen ist es die „erste richtige Standortbestimmung der SPD in der Opposition“.

Was schätzen Sie: Werden sich die Verhandlungspartner einigen, sodass es Schwarz-Grün geben wird?

Thomas Losse-Müller: Ja. Beide Seiten haben sich stark aufeinander zubewegt. Die Frage ist, wie viel eigenes Profil beide Parteien bewahren können. Mein Eindruck ist, dass sich hier eine neue Politikfarbe mischt: Schwarz-Grün.

Wie viel Grün wird denn im Koalitionsvertrag noch erkennbar sein?

Thomas Losse-Müller: Die Grünen haben die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu Recht in der Mitte der Gesellschaft verankert. Das ist ein großer Erfolg. Die Frage lautet jetzt: Wofür steht Grün heute eigentlich noch? Schaffen wir es, die Klimatransformation sozial- und industriepolitisch – und mit der Erfahrung des Ukraine-Krieges – auch geopolitisch abzusichern? Die Grünen haben bei der Energiewende, dem Bau von LNG-Terminals oder bei Waffenlieferungen an die Ukraine viele grundsätzliche Positionen aufgegeben. Sie machen im Bündnis mit der CDU keine soziale und industriepolitisch durchdachte Politik. Mein Eindruck ist, dass es darum auch weniger geht, sondern um den unbedingten Wunsch nach Regierungsbeteiligung. Und damit sind sie der CDU sehr ähnlich.

In vielen Punkten wären die Grünen der SPD deutlich näher als der CDU, wie beim Tariftreuegesetz oder der Mietpreisbremse

Thomas Losse-Müller: Das stimmt. Genau an diesen Forderungen werden wir die Grünen beim Koalitionsvertrag auch messen. Interessant ist, dass sich die CDU, obwohl der FDP inhaltlich viel näher, gegen eine mögliche schwarz-gelbe Regierung und für die Grünen entschieden hat. Die Hoffnung, in dieser Konstellation langfristig Posten zu sichern ist wohl für die CDU attraktiver als der inhaltliche Gestaltungsanspruch.

CDU und Grüne haben eine Zweidrittelmehrheit. Damit könnten sie die Schuldenbremse umgehen oder die Verfassung ändern. Erwächst daraus eine besondere Verantwortung für die Parlamentsmehrheit?

Thomas Losse-Müller: Absolut. Das gilt aber genauso für die Opposition. Unsere Pflicht ist es, sehr deutlich zu machen, welche Menschen in Schleswig-Holstein von Schwarz-Grün nicht vertreten werden. Die Regierung hat zwar zwei Drittel der Parlamentssitze. Sie vereint aber, wenn man die geringe Wahlbeteiligung einberechnet, nur gute 40 Prozent der Stimmen der Wählerinnen und Wähler auf sich. Deshalb muss die Opposition auch eine inhaltlich sehr harte Auseinandersetzung mit Schwarz-Grün führen.

Was sind die größten Angriffspunkte für die Oppositionsführerin SPD?

Thomas Losse-Müller: Die schwarz-grüne Politik wird große Bevölkerungsgruppen nicht im Blick haben. Mieter, Pendler, Eigenheimbesitzer, die sich keine klimaneutrale Wärme leisten können, Arbeiter, die darauf angewiesen sind, dass die industrielle Transformation so gemanagt wird, dass sie weiter gute Arbeit haben. Familien, die angesichts steigender Preise finanzielle Entlastungen brauchen. Es entsteht eine neue gesellschaftliche Konfrontation.

Ihre Fraktion ist auf 12 Abgeordnete geschrumpft, sie werden nicht mehr jedes Thema intensiv bearbeiten können. Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Thomas Losse-Müller: Wir haben den Anspruch, Schwarz-Grün immer an der Frage zu messen, ob die Regierung die Probleme der Menschen im Land löst. Konkret: Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Wir werden Schwarz-Grün also daran messen, ob sie eine Mietpreisbremse einführen und die jährlich benötigten 3000 Sozialwohnungen bauen. Wir brauchen eine Begleitung der wirtschaftlichen Transformation, die dafür sorgt, dass die Menschen keine Angst um ihren Arbeitsplatz haben müssen. Wir werden die Regierung daran messen, ob sie das Land in die Lage versetzt, die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Und zwar so, dass der Klimaschutz nicht nur für Besserverdiener funktioniert. Wir werden immer fragen: Sind die Maßnahmen geeignet, die drängendsten Probleme im Land zu lösen oder nicht?

Sind Sie froh, wenn es zu Schwarz-Grün kommt? So bleibt der SPD wenigstens noch die Rolle der Oppositionsführerin.

Thomas Losse-Müller: Oppositionsführung ist die schlagkräftigere und sichtbarere Position. Aber: Schwarz-Gelb wäre ehrlicher und für die politische Debatte besser gewesen. Dadurch wäre klarer geworden, wo wir in der Gesellschaft Konfliktlinien bei den sozialen Themen und Zukunftsfragen haben.

Dann hätte es die klassische Rollenverteilung gegeben: konservativ/bürgerlich an der Macht, links/grün in der Opposition …

Thomas Losse-Müller: Genau. Bei der schwarz-grünen Vermengung wird es eine Zeit dauern, bis die breite Öffentlichkeit merkt, dass die echten Probleme nicht gelöst werden.

Noch einmal ein Rückblick: Woran hat die größte Niederlage der SPD bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein gelegen?

Thomas Losse-Müller: Es gab nicht diese eine Sache, sondern drei Hauptgründe, die in der Addition das sehr schlechte Ergebnis erklären. 1. Ich bin gegen einen sehr beliebten Ministerpräsidenten und ein sehr stabiles Jamaika-Bündnis angetreten. Von vornherein war klar, dass eine politische Auseinandersetzung bei der drei gegen einen stehen kaum zu gewinnen ist. 2. Es ist uns nicht gelungen, unsere großen Themen – Mietpreisbremse, gebührenfreie Kita, Tariftreue – so zu vermitteln, dass sie die Menschen von der SPD überzeugt haben. 3. In der medialen Zuspitzung ging es am Ende nur noch um die Frage, ob Daniel Günther mit Grünen oder FDP regiert. Viele Anhänger der SPD haben sich deshalb für die Grünen entschieden.

Im Fall einer Wahlniederlage wollten Sie einfacher Abgeordneter werden. Stattdessen sind Sie als Nachfolger von Serpil Midyatli Fraktionschef der SPD. War sie als Fraktionsvorsitzende nicht mehr haltbar?

Thomas Losse-Müller: Ich war Spitzenkandidat. Und damit fällt die Niederlage in meine Verantwortung. Von daher durfte ich zu keinem Zeitpunkt mit einer solch großen Unterstützung aus Partei und Fraktion nach der Wahl rechnen. Es gab den Wunsch, dass wir zu zweit – Serpil als Parteispitze, ich als Fraktionsspitze – die SPD nach außen vertreten.

Bleibt es dabei? Spricht nicht viel für die Bündelung beider Aufgaben bei Ihnen?

Thomas Losse-Müller: Nein. Das würde ich für absolut falsch halten. Die Aufgaben der SPD in der Opposition, sowohl für die Partei, als auch für Fraktion sind mannigfaltig genug.