Kiel. Das Wunschbündnis von Ministerpräsident Günther ist Geschichte. Die Grünen wollten Jamaika partout nicht - wie es nun weitergeht.

Im Poker würde man wohl sagen, sie gehen All-in. Sie setzen alles auf ein Blatt. Sie sind überzeugt, den Pott gewinnen zu können – die Grünen in Schleswig-Holstein. Und falls sie sich verzocken, und das ist dann der Unterschied zum Poker, sind sie zwar raus aus der Regierung, aber immer noch im parlamentarischen Spiel. Nur dann an der Spitze einer linken Opposition. Am kommenden Montagabend wissen wir mehr, dann entscheidet die CDU, wem sie eine Koalition anbietet: der FDP – oder eben den Grünen. Der Ausgang ist offen.

Doch erst einmal der Reihe nach. Der Wahlsieger Daniel Günther ist mit seinem Ziel gescheitert: Trotz eindringlichen Werbens und Brückenbauens in Richtung von Grünen und FDP sind die Verhandlungen zur Neuauflage von Jamaika im Land zwischen den Meeren geplatzt. Das schleswig-holsteinische Zukunftsprojekt ist Geschichte. Fünf Jahre vertrauensvoller, konstruktiver und harmonischer Zusammenarbeit zwischen Schwarzen, Grünen und Gelben haben nicht gereicht als Grundlage für ein neues stabiles Bündnis. Die Skepsis war einfach zu groß. Deshalb haben am Donnerstagabend die Verhandlungspartner einen Schlussstrich gezogen.

Landtagswahl SH: Vorgespräche verliefen noch harmonisch

Sie waren noch nicht einmal dazu gekommen, die in Sondierungen übliche Textarbeit zu machen, also quasi ein Protokoll über die vereinbarten Punkte zu erstellen und von den Delegationen unterschreiben zu lassen. Das Blatt Papier wäre ziemlich weiß geblieben. Nach rund zweieinhalb Stunden Sondierung, in denen die CDU alles tat, FDP und Grüne zu überzeugen, zogen sich die jeweils vierköpfigen Delegationen zu parteiinternen Beratungen zurück. Kurz darauf beerdigten Daniel Günther (CDU), Heiner Garg (FDP) sowie Monika Heinold und Aminata Touré (beide Grüne) in einer Presserunde das Projekt Jamaika, die erste erfolgreiche Landesregierung von CDU, Grünen und FDP.

Bevor es zum Dreiergespräch gekommen war, hatte die CDU am Dienstag beide Parteien zu getrennten Gesprächen eingeladen. Man wollte ausloten, was inhaltlich und atmosphärisch geht. Die beiden Vorgespräche – morgens mit den Grünen, nachmittags mit der FDP - liefen deutlich harmonischer als die Dreierrunde zwei Tage darauf. In den Vorgesprächen hatten sich keine unüberbrückbaren inhaltlichen Hindernisse aufgetan. Günther, Heinold und Touré hatten nach ihrer Sondierung die Bekämpfung des Klimawandels als zentrales Ziel ausgegeben. Günther und Garg sprachen hinterher von großen Übereinstimmungen bei den Themen Infrastrukturausbau, Bürokratieabbau und Schaffung von Arbeitsplätzen.

Grüne attackierten schon zu Beginn die FDP

Beim Dreiergipfel kamen die Delegationen noch nicht einmal dazu, tiefer in die Inhalte einzusteigen. Die Grünen gingen sehr offensiv ins Gespräch, betonten erneut, dass sie sich als Wahlsiegerin in einem Zweierbündnis mit der CDU sehen und attackierten gleich im Eingangsstatement die FDP als neoliberal, marktradikal und sozial kalt. Ob die sich dann in eine Schmollecke zurückzog oder aber die Kritik sachlich erwiderte, ist nicht ganz klar. Fakt ist jedenfalls: Die Grünen wollten Jamaika partout nicht und haben das klar formuliert. Der FDP wiederum ist es in der Sondierung nicht gelungen, die Verhandlungspartner davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich mit Jamaika weitermachen will. Also konnte man es sein lassen.

Wie unterschiedlich die Blicke auf die Absagen ausfallen, zeigen zwei Zitate von Freitag: „Wir haben als Grüne festgestellt, dass weder FDP noch Grüne eine Zukunft in Jamaika gesehen haben. Wir stehen bereit für ein schwarz-grünes Bündnis, denn die Sondierungen für dieses Zweierbündnis haben uns deutlich gezeigt, dass es funktionieren kann. Jetzt muss Daniel Günther entscheiden“, kommentierte Aminata Touré. „Wir waren offen für die Fortsetzung der erfolgreichen Jamaika-Politik für Schleswig-Holstein. Die Grünen wollen einen Politikwechsel. Jetzt muss Daniel Günther entscheiden, ob er mit uns Kurs halten oder mit den Grünen eine gänzlich andere Politik für Schleswig-Holstein will“, sagte Heiner Garg.

„Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht"

„Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht. Wir haben es ehrlich gemeint und ernsthaft versucht, Grüne und FDP zu gewinnen“, hatte Günther am Donnerstag kommentiert. Und gesagt, dass es seiner Delegation nicht gelungen sei, den „Geist, den wir als CDU für die nächsten fünf Jahre Jamaika gesehen haben, auf alle Gesprächspartner zu übertragen“. Dass Günther es ernst meinen würde, Jamaika fortzusetzen, war seit der Landtagswahl am 8. Mai nahezu täglich von irgendwem angezweifelt worden.

Nur: Er meinte es ernst, wollte mit dem Lieblingsbündnis der Schleswig-Holsteiner weitermachen. Drei von vier Menschen im Land hatten sich in Umfragen bis zuletzt zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit der Arbeit der Regierung gezeigt. Günther ist gescheitert. Das Positive aus seiner Sicht: Zumindest ist es nicht die CDU, die Jamaika hat platzen lassen. Sondern es waren, je nach Lesart: Nur die Grünen oder wahlweise die Grünen gemeinsam mit der FDP. Um zum Kartenspiel zurückzukommen: Der Schwarze Peter liegt so definitiv nicht bei Daniel Günther und der CDU.

Günther tritt fordernd auf

Die sind also jetzt in einer komfortablen Situation: Sie können sich den Partner aussuchen. Theoretisch kämen sogar die auf Platz 3 abgerutschte SPD noch infrage oder der SSW, der vier Mandate und damit nur eins weniger als die FDP erzielt hat. Der CDU nämlich fehlt nur ein Sitz an der absoluten Mehrheit – was Günther fordernder auftreten lässt als nach der Wahl zuvor. 43,4 Prozent bedeuteten eine deutlich stärkere CDU-Handschrift im neuen Koalitionsvertrag, forderte der Ministerpräsident.

Blickt man etwas genauer auf die selbstbewusste grüne Verhandlungsdelegation, so zeichnet sich ab, was von der Partei in der neuen Legislaturperiode zu erwarten sein dürfte: Aminata Touré (29), Lasse Petersdotter (32), Steffen Regis (33) waren neben Spitzenkandidatin Monika Heinold (63) die Verhandlungsführer. Die Spitze ist jung, die Fraktion ist es auch. Gerade in der CDU blickt man gespannt auf die Entwicklung. Vor der Wahl hatten die Grünen Monika Heinold in den Vordergrund gestellt, sie zum Gesicht der Kampagne und zur Herausforderin von Daniel Günther gemacht. Mit der Verkündung der ersten Prognose am Wahlabend drängt Aminata Touré stark nach vorn. Sie bestimmt die Marschrichtung der Partei entscheidend mit.

Verbleib von Monika Heinold unklar

Und so stellt man sich in der CDU die Frage: Was wird aus Monika Heinold, von der es heißt, es sei ein „Stabilitätsanker“ mit ihrer ausgleichenden Art? Aus der Realpolitikerin in der deutlich linkeren Fraktion? Welche Rolle wird sie, die extrem gut mit Günther kann, noch spielen? Und vor allem: Wird sie fünf Jahre sicher dabei bleiben oder sich im Lauf der Legislaturperiode verabschieden?

Wie die CDU Heinold und deren künftige Rolle bewertet, wird eine wichtige Rolle bei der Wahl des Regierungspartners spielen. In der Union ist von einer „extrem schweren und noch offenen Entscheidung“ die Rede. Ein wichtiges Kriterium ist, mit wem man die größte Stabilität für die Koalition erwartet. Wie verlässlich erscheinen Grüne oder FDP, je näher die Bundestagswahl rückt oder wenn sich Konflikte auftun?

CDU steht vor schwieriger Entscheidung

Was für Schwarz-Gelb spricht: Die inhaltlichen Schnittmengen sind groß. 90 Prozent der Unionsziele ließen sich mit der FDP umsetzen, aber nur rund 40 oder 50 Prozent mit den Grünen, schätzen Experten. Was für Schwarz-Grün spricht: Günther hatte immer wieder mit einer Begründung für Jamaika geworben: Die Herausforderungen, die sich aus dem Klimawandel für Gesellschaft und Wirtschaft ergäben, seien so groß, dass die Regierung von einem breiten Bündnis getragen werden müsse. Mit 43,4 für die CDU und 18,3 Prozent für die Grünen und mehr noch mit den Milieus, aus denen die Wähler dieser beiden Parteien kommen, stünde Schwarz-Grün auch ohne die FDP für das breite gesellschaftliche Bündnis, das Günther einfordert.

Die CDU hat die Qual der Wahl: Entscheidet sie nach der großen inhaltlichen Schnittmenge, müsste sie die FDP in die Regierung holen. Zumal, dieses Bündnis neben der stärkeren CDU-Programmatik noch einen zweiten Vorteil für sie hätte: Bei 6,4 Prozent für die FDP könnte die CDU auch klar mehr Ministerposten für sich reklamieren als bei Schwarz-Grün. Entscheidet die CDU aber strategisch, spräche viel für die Grünen. Das hätte aus Sicht der CDU den Charme, einen starken linken Block in der Opposition verhindert zu haben. Für den Fall wird übrigens Aminata Touré als Fraktionschefin und Oppositionsführerin erwartet.

Günther als Gegenentwurf zu Friedrich Merz

Bei den grünen Vordenkern glaubt man, Günther habe ein strategisches Interesse an einem Bündnis mit ihnen. Er könne zeigen, dass in einem eher konservativen Land eine progressive Regierung funktioniere, er könne sich weiter als moderner, zukunftsorientierter Ministerpräsident geben und als Gegenentwurf zum konservativen Friedrich Merz.

Was Günther als zentrales Projekt für die nächsten Jahre sieht, kann man in etwa so übersetzen: die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Ob es gelingt, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen, daran wird die neue Landesregierung in vermutlich fünf Jahren gemessen. Wenns es um das Thema Klimawandel und Energiewende geht, liegen Grüne und CDU gar nicht so weit auseinander.

Bei vielen Themen trennen beide Parteien Welten

Bei der Inneren Sicherheit oder in der Landwirtschaft – es geht auch um die Frage, wie man die Bauern im Land die nächsten fünf Jahre „bei Laune hält“ – trennen beide Parteien Welten. So hatte Günther nicht nur im Wahlkampf auf das Thema Innere Sicherheit gesetzt, sondern auch in Vorbereitung auf die anstehenden Sondierungen betont, wie wichtig der CDU es sei, ihre Handschrift im Koalitionsvertrag wiederzufinden. Dabei geht es unter anderem um Onlinedurchsuchungen – stark verkürzt also um einen Hackerangriff der Polizei auf Verdächtige – oder um die sogenannte Quellen-TKÜ, bei der die Kommunikation zum Beispiel Terrorverdächtiger abgeschöpft wird, bevor sie, wieder extrem vereinfacht, von Software verschlüsselt wird. Die Grünen sagen dazu Nein.

Im Wahlkampf – in dem die Grünen Monika Heinold zur Herausforderin von Daniel Günther gemacht hatten mit dem Ziel, die erste grüne Ministerpräsidentin eines Bundeslandes zu stellen – hatte es zuletzt reichlich Sticheleien gegen die CDU gegeben. Günthers Partei sei eine konservative Truppe und er nur dank der Grünen ein guter Ministerpräsident, hatten Heinold oder auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerne mal betont. Inwieweit schmälert die Politik der Sticheleien und Kritik sowie die Weigerung, Jamaika fortzusetzen, die Chance der Grünen auf die Teilhabe an der Macht? Beobachter winken ab: Günther sei nicht nachtragend, sondern hoch professionell und an der Sache orientiert. Er blende solche Nickligkeiten einfach aus, heißt es. Auch die Grünen sehen das entspannt, Günther sei Profi genug, das abzuschütteln.

Grünen für jedes Szenario gut gewappnet

Die Grünen wissen, dass sie mit ihrer Jamaika-Absage ein Risiko eingehen. Sie pokern. Klappt das mit Schwarz-Grün – von der Zweiersondierung mit der CDU heißt es, sie sei seriös und kompromissorientiert gewesen – regieren sie inhaltlich und personell gestärkt weiter. Erwählt die Union aber die FDP, wünscht man Günther „viel Spaß“ mit einer starken linken Opposition.

Für beide Szenarien sehen sich die Grünen gut gewappnet. Aber lieber wollen sie regieren: „Was braucht das Land – alte Lagerkämpfe oder starken Zusammenhalt?“, wirbt man bei den Nord-Grünen in etwa so intensiv um die CDU wie die Union in Nordrhein-Westfalen, wo eine Woche nach Schleswig-Holstein gewählt wurde, um die dortigen Grünen buhlt. Bahnt sich jetzt in beiden Ländern mit recht jungen CDU-Politikern und -Hoffnungsträgern das gleiche Bündnis an?

Landtagswahl SH: FDP sieht sich im Vorteil

Die FDP sieht sich im Vorteil. „Jamaika ist so erfolgreich und populär, weil die Ergebnisse für die Menschen in Schleswig-Holstein gut waren. Wenn man das jetzt zurückdrehen will, dann wäre das das Gegenteil eines fortschrittlichen Jamaika-Kurses.“ Das sagte FDP-Chef Heiner Garg am Freitag. Aus Sicht von Liberalen würde Daniel Günther erklären müssen, warum er auf CDU-Inhalte und -Posten verzichte, nur um ein Bündnis mit den Grünen einzugehen. An den Schnittmengen mit der FDP könne das dann jedenfalls nicht gelegen haben.

Das Aus für eine Jamaika-Neuauflage ist aus Sicht des Kieler Politikwissenschaftlers Wilhelm Knelangen jedenfalls gut für den Parlamentarismus. „Offenbar war der Vorrat an Gemeinsamkeiten kleiner, als es die Jamaika-Parteien lange behauptet haben“, sagte Knelangen. „Dass es keine übergroße Koalition geben wird, ist aus Sicht des Landesparlamentarismus eine gute Nachricht.“ Jede gute Regierung benötige eine starke Opposition. „Eine übergroße Mehrheit schränkt die Möglichkeit der Opposition stark ein.“