Kiel. Der SPD-Spitzenkandidat wurde einstimmig gewählt. Er löst Serpil Midyatli ab. Nur noch zwölf Sitze im Landtag bleiben.

Der Plan sah so ganz anders aus. Mit dem unverbrauchten Spitzenteam aus Parteichefin Serpil Midyatli und Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller wollte die schleswig-holsteinische SPD erfolgreich in die Zeit nach Ralf Stegner starten. Das ambitionierte Ziel der beiden Sozialdemokraten lautete, bei der Landtagswahl so viele Stimmen zu holen, dass, egal ob Platz 1 oder Platz 2, es reichen würde, mit den Grünen und der FDP (wahlweise auch dem SSW) die regierende CDU abzulösen.

Losse-Müller sollte Ministerpräsident und damit Nachfolger von Daniel Günther werden, Midyatli dann die starke SPD-Fraktion führen. Soweit der Plan. Bekanntlich ist es ganz anders gekommen: Die SPD stürzte bei der Landtagswahl am 8. Mai dramatisch ab. Jetzt zog die Fraktion erste Konsequenzen.

Landtagswahl SH: Ergebnis geht in die Geschichte ein

16,0 Prozent bedeuteten nicht nur ein Minus von 11,3 Punkten gegenüber dem auch schon nicht guten Ergebnis von 2017. Diese 16,0 Prozent gehen zudem als schlechtestes Ergebnis der Nord-SPD bei Landtagswahlen in die Geschichte ein. Die Folge: Die Grünen landeten mit ihren 18,3 Prozent, dem besten Ergebnis überhaupt bislang, vor der SPD.

Midyatli sprach gestern am Rande einer zweitägigen Fraktionsklausur in Hohwacht von einem „sehr bitteren Ergebnis“. Dessen Aufarbeitung sei noch nicht abgeschlossen. Aber zumindest eine Konsequenz hat die zwölfköpfige Fraktion gezogen: „Ich habe Thomas Losse-Müller als neuen Fraktionschef vorgeschlagen. Er wurde einstimmig gewählt“, sagte Midyatli über ihren Nachfolger.

"Die SPD muss sich breiter aufstellen"

Der Verzicht auf den Posten sei ihr nicht schwer gefallen. „Bei 16 Prozent steht fest: Die SPD muss sich breiter aufstellen, nur hätte ich mir einen weicheren Übergang gewünscht“, sagte die Parteichefin. Noch am Wahlabend hatte Losse-Müller die Absprachen mit Midyatli erneuert: Er freue sich auf die Oppositionsarbeit – als normaler Abgeordneter unter der alten und neuen Fraktionschefin Serpil Midyatli. Es war nicht Losse-Müller, der sich von diesen Absprachen lossagte: Es war die Fraktion, die einen Neuanfang einforderte.

Losse-Müller kündigte am Mittwoch in Hohwacht eine „harte und klare Opposition“ der SPD an. „Wir wollen die neue Regierung herausfordern.“ Als zentrale Themen der Oppositionsarbeit nannte Losse-Müller die Windkraftplanung („Jamaika ist daran gescheitert“), die steigenden Mieten, denen die Menschen im Land schutzlos ausgesetzt seien, und das Fachkräfteproblem in Kitas. „Das Jamaika-Motto ,Weiter so’ wird unser Land nicht nach vorn bringen.“

Losse-Müller blieb bis zum Schluss unbekannt

Mit ihrer Entscheidung für den ziemlich unbekannten Losse-Müller hatte Midyatli im vergangenen Sommer nicht nur die politischen Gegner und Beobachter der Kieler Polit-Szene verblüfft, sondern in weiten Teilen auch ihre eigene Partei. Die Aussage „Thomas Losse-Wer?“ wurde zum geflügelten Wort. Der heute 49-Jährige war erst wenige Monate zuvor von den Grünen in die SPD gewechselt. Noch als Grüner war er im Kabinett Albig (2012 bis 2017) erst Staatssekretär im Finanzministerium der Grünen Monika Heinold, später dann in der Staatskanzlei von SPD-Ministerpräsident Torsten Albig.

Diesen Thomas Losse-Müller machte Midyatli zum Spitzenkandidaten der SPD. Sie ging davon aus, dass die Zeit vom Sommer 2021 bis zur Wahl im Mai 2022 reichen würde, den Vater von zwei Kindern, der mit seiner Familie in Bistensee im Kreis Rendsburg-Eckernförde lebt, im Land bekannt zu machen. Das Problem: Die Wahlkampf-Strategen der SPD haben sich geirrt, der sympathische Losse-Müller blieb bis zum Schluss eher unbekannt. Er reichte nie auch nur annähernd an die Bekanntheits- und Zufriedenheitswerte von Ministerpräsident Daniel Günther heran.

Serpil Midyatli hätte Gegenentwurf zu Günther sein können

Vielleicht lag das auch daran, das der Herausforderer dem Spitzenkandidaten einfach zu ähnlich ist: sympathisch, gewinnend, klug, angenehm im Umgang, zugewandt. Warum also dann den Herausforderer wählen, wenn der ähnliche Amtsinhaber auch noch kandidiert und von einer Wechselstimmung so gar nichts im Land zu spüren ist?

Trotz der Wahlschlappe hat die SPD-Fraktion nicht mit Thomas Losse-Müller abgerechnet, sondern mit der Frau, die sich nicht als Spitzenkandidatin ihrer Partei zur Verfügung gestellt hatte: Serpil Midyatli, die im auf Personen zugeschnittenen Wahlkampf der Gegenentwurf zu Daniel Günther hätte sein können.

Landtagswahl SH: Landesregierung noch unklar

Noch ist unklar, wie genau die nächste Landesregierung aussehen wird. Sollten die Grünen weiter mitmischen in einer Koalition, fiele der SPD die Rolle der Oppositionsführerin zu. Landen die Grünen aber doch noch in der Opposition, bliebe den Sozialdemokraten noch nicht einmal das. Dann müssten sie in den Plenardebatten und großen Aussprachen den Grünen den Vortritt lassen, auf den Ministerpräsidenten, der höchst wahrscheinlich wieder Daniel Günther heißen wird, als erste zu antworten.

Die SPD-Fraktion wählte auf ihrer Klausur Kai Dolgner einstimmig zum Parlamentarischen Geschäftsführer und Beate Raudies zur Kandidatin für die Wahl zur Landtagsvizepräsidentin. Die Stellvertreter-Posten hat die Fraktion noch nicht vergeben, klar ist aber schon jetzt: Midyatli steht dafür nicht zur Verfügung. Als Parteichefin gehört sie dem Fraktionsvorstand automatisch an.