Schleswig-Holstein/Hamburg. Regierungschefs haben im Grenzstreit Ausnahmen zugesichert. Duvenstedterin wurde dennoch barsch verwarnt.
Von wegen Entspannung: Noch am Dienstagmittag hatte Peter Tschentscher (SPD) betont, dass er von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther die Zusicherung bekommen habe, dass Spaziergänger und Radfahrer aus Hamburg nicht mehr unter Verweis auf Regeln zur Eindämmung der Coronapandemie an der Grenze zu Schleswig-Holstein abgewiesen werden.
Günther sagte am Dienstagnachmittag explizit, dass Kontrollen nur „mit nötigem Abstand zu den Landesgrenzen“ durchgeführt werden sollten und stellte klar: „Fahrradfahrer und Fußgänger sind kein Schwerpunkt, aber besonders Gruppenausflüge werden unterbunden."
Grenzstreit wegen Corona: Hamburgerin wird verwarnt
Eine Leserin des Abendblatts aus Duvenstedt hat einen Tag später aber andere Erfahrungen gemacht. Sie hatte ihr Auto mit Hamburger Kennzeichen am Mittwoch eine Stunde lang kurz hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein auf einem großen Wanderparkplatz hinter dem Gut Wulksfelde abgestellt.
Nach ihrem Spaziergang im Rader Forst heftete ein rosa Zettel des Itzstedter Ordnungsamtes an ihrem Auto. Personen, deren Wohnsitz außerhalb von Schleswig-Holstein liegt, dürften nicht "aus touristischen Zwecken (gilt auch für Spaziergänge) in dieses Bundesland einfahren", steht auf dem Schreiben des Amtes. Ein Bußgeld von 150 bis 500 Euro könne verhängt werden.
Die Hamburgerin findet das Verhalten der Kieler Regierung "unsäglich". Während viele Schleswig-Holsteiner zum Eisessen nach Duvenstedt kämen, zeige Schleswig-Holstein keinerlei Toleranz.
Sachsenwald: Herzogtum Lauenburg weist Hamburger ab
Das strikte Vorgehen Schleswig-Holsteins bekräftigte der Landrat des Kreises Herzogtum Lauenburg Christoph Mager. Viele Hamburger waren für Ausflüge in den Sachsenwald gereist, wie der Landrat mitteilte.
Mager sagte dazu: "Die örtliche Ordnungsbehörde weist darauf hin, dass der Sachsenwald in Schleswig-Holstein liegt und touristische Ausflüge aus anderen Bundesländern eine Ordnungswidrigkeit darstellen."
Hamburger Ferienhausbesitzer anonym bedroht
Auch Ferienhausbesitzer aus Hamburg werden weiterhin aus den Urlaubsorten im Norden vertrieben und sogar anonym bedroht: Dreimal innerhalb von zehn Tagen ist ein älteres Ehepaar aus Wandsbek von seinem Zweitwohnsitz in Schleswig-Holstein nach Hamburg und zurückgefahren. An dem Beispiel des Paares zeigt sich, zu welch dramatischen Verwerfungen die neuen Corona-Regelungen für Zweitwohnungsbesitzer im Norden führen können.
Ursprünglich wollten Claus S. und seine Frau die Coronakrise in ihrem Haus in Gronenberg (Scharbeutz/Kreis Ostholstein) isoliert und zurückgezogen aussitzen.
Hamburger erhalten Drohbriefe wegen Corona
Am 20. März fand der Hamburger Unternehmer, der anonym bleiben möchte, erstmals ein Schreiben an seinem Auto in Gronenberg. Darin hieß es, dass Personen ohne Erstwohnsitz in Schleswig-Holstein das Bundesland verlassen müssten. Erst auf der Rückfahrt nach Hamburg merkte er, dass es sich bei dem Schreiben um kein Offizielles handelte. Schließlich hatte niemand unterschrieben, so S. Das Ehepaar kehrte zurück in seinen Zweitwohnsitz.
Nur zwei Tage später forderte die Polizei das Paar beim Einkaufen auf, Gronenberg zu verlassen. Die Beamten hätten sich nicht diskussionsbereit gezeigt, sagt der Hamburger. Das Ehepaar fügte sich und fuhr erneut zurück in die Hansestadt.
Claus S.: "Das ist unser Zuhause"
Nachdem sich Schleswig-Holsteins Tourismusminister Bernd Buchholz offiziell bei Ferienhausbesitzern in Hamburg entschuldigt hatte und sich die Lage zu entspannen schien, beschloss das Ehepaar am 24. März wieder zurück in ihr zweites Zuhause zu fahren.
Dass die Wandsbeker das offiziell nicht durften, da sie sich zwischenzeitlich in Hamburg aufhielten, war ihnen bewusst. Claus S. steht zu seiner Entscheidung. Er sagt: "Das ist unser Zuhause." Seit sieben Jahren lebt das Ehepaar bereits zeitweise in Gronenberg.
Unbekannte drohen mit Schäden an Haus und Auto
Am 29. März fanden Claus S. und sein Nachbar dann eine persönlich geschriebene Bedrohung an ihrem Auto. Darin heißt es: „Bleibt zu Hause“. Es wird mit Schäden an Auto und Haus gedroht, sollten die Hamburger in ihrer Zweitwohnung bleiben. "Fügt euch", steht in dem Drohbrief an ihre Nachbarn. Angst mache dem Ehepaar diese Drohung nicht. „Das sind Spinner“, so Claus S. Dennoch fuhren sie – diesmal endgültig – nach Hamburg zurück.
Dort führen sie ein mehr als 100 Jahre altes kleines Familienunternehmen, um das sich gekümmert werden müsse. Das sei jedoch auch aus Gronenberg möglich gewesen, da sie Kunden derzeit nur per E-Mail und Telefon kontaktierten. Davon abgesehen lebten viele Kunden in Schleswig-Holstein.
Drohbriefe bringen "Fass zum Überlaufen"
Ihre Abfahrt nach Hamburg möchte der Unternehmer nicht nur auf die Drohbriefe schieben. Das schlimmste sei gewesen, auch von der Polizei gesagt zu bekommen: "Sie haben hier zu verschwinden", sagt der Wandsbeker. Die Nachricht am Auto hätte "das Fass zum Überlaufen" gebracht, sagt S.
"Wir wollen niemanden provozieren und keine Strafe zahlen", sagt der Unternehmer und kündigt an, in Hamburg zu bleiben. Er hofft, dass sich bald alles wieder normalisiert. Auch unter den Nachbarn. Zuletzt seien sie mit ihrem Hamburger Kennzeichen komisch beäugt worden und hätten sich nicht mehr wohlgefühlt.
Anderen Hamburger Ferienhausbesitzern in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ergeht es ähnlich. Sie wurden teilweise beschimpft oder von Nachbarn an die Polizei verraten. Zuletzt nahm der "Grenzstreit" zwischen Hamburg Schleswig-Holstein bizarre Züge an. Fußgänger und Radfahrer wurden an der Grenze zu Schleswig-Holstein kontrolliert und abgewiesen.
Wegen des Drohbriefes hat das Ehepaar Anzeige bei der Polizei erstattet. Auch an die Kreisverwaltung hatten sich S. und seine Frau gewandt – in der Hoffnung eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, die sie im Auto hätten auslegen können – ohne Erfolg. Denn das Ehepaar musste sich zunächst zusätzlich bei der Gemeinde anmelden.
Gute Nachricht in Corona-Zeiten: Auf Hass folgt Schokolade
Der Hamburger hat eine Vermutung, wer ihnen den Drohbrief geschrieben haben könnte. Doch er möchte weder spekulieren noch dramatisieren. Denn in den mehr als 30 Jahren, die sie bereits in der Region verbracht haben, hätten sie auch viele schöne Momente der Gemeinschaft erlebt.
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Selbst in Coronazeiten gibt es gute Nachrichten: Viele Gronenberger zeigten sich gastfreundlich. Auf den Drohzettel, den sein Nachbar mit einer Antwort am Auto ausstellte, wurden Herzen gemalt – sogar Schokolade hatten Einheimische auf dem Auto hinterlassen.