Hamburg. Der Freidemokrat kritisiert die Abschottungspolitik Schleswig-Holsteins in der Coronakrise. Sie sei unverhältnismäßig.

Wolfgang Kubicki hält das, was da gerade zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg passiert, für unverhältnismäßig und rechtswidrig. Das Interview mit dem Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags und Schleswig-Holsteiner (!).

Am Wochenende hat es an den Grenzen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein seltsame Szenen gegeben. Hamburger, die mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs waren, wurden von Schleswig-Holsteiner Polizisten wieder zurückgeschickt. Muss das wirklich sein?

Wolfgang Kubicki: Was dort am Wochenende passiert ist, halte ich nicht nur für völlig übertrieben und unverhältnismäßig, sondern auch für rechtswidrig. Das Infektionsschutzgesetz erlaubt nur, Menschen an Orten zu halten oder ihnen zu verbieten, an andere Orte zu fahren. Aber dabei darf man nicht nach Meldeadressen sortieren. Es ist auch nicht begründbar, dass die Infektionsgefahr in Schleswig-Holstein etwa durch Radfahrer oder Zweitwohnungsbesitzer aus Hamburg steigt. Für die gelten doch die gleichen Verhaltensregeln wie für alle anderen. Solange sie sich an diese Regeln halten, halte ich eine Differenzierung, wo jemand gemeldet ist, für unzulässig.

Der Streit zwischen Schleswig-Holsteinern und Hamburger geht schon ein paar Wochen. Es begann unter anderem damit, dass Hamburger Ferienhausbesitzer ihre eigenen Häuser nicht mehr nutzen dürfen

Das geht in so einer Situation alles gar nicht. Urplötzlich glauben Menschen, Hamburger vertreiben zu müssen, weil sie die Pfeffersäcke aus der großen, weltoffenen Stadt sind. Ich halte das für nicht hinnehmbar. Wenn Hamburger Ferienhausbesitzer gezwungen werden, ihre Häuser zu verlassen, dient das weder dem Gesundheitsschutz noch dem menschlichen Zusammenleben. Im Gegenteil: Hamburg und Schleswig-Holstein sind in so vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Man muss wissen, dass auch Schleswig-Holsteiner im UKE behandelt werden. Wir wollen nicht hoffen, dass die Hamburger irgendwann auf die Idee kommen, den Schleswig-Holsteinern zu sagen, dass sie zusehen sollen, wo sie behandelt werden, nur eben nicht in Hamburg.

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    Mir macht es große Schmerzen, wenn in dem Ort, aus dem ich komme, Schilder mit der Aufschrift „Bitte bleibt von Strande fern“ stehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass einige Kommunalpolitiker besorgt sind und es gut meinen. Aber es gibt auch Vertreter von Behörden, die sich in der Vergangenheit nicht wertgeschätzt fühlten, die nun mal die Möglichkeit nutzen, zu dokumentieren, was sie glauben, was das Gesetz ihnen erlaubt. Ich bin mir sicher, dass eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, wenn sie in den nächsten Tagen rechtlich angegriffen werden, keinen Bestand haben werden. Das muss man jetzt schnell korrigieren, sonst wird der Überdruss in der Bevölkerung so groß werden, dass niemand sich mehr an Regeln hält.

    Krisenforscher sagen, dass man Menschen in der aktuellen Form höchstens vier bis sechs Wochen „einsperren“ kann…

    Wir müssen insgesamt aufpassen, dass die gesundheitlichen Einschränkungen, die den Menschen aufgrund der Maßnahmen drohen, nicht schlimmer sind als das, was das Virus anrichtet. Wir müssen uns natürlich mit der Frage beschäftigen, wie wir sukzessive wieder zum normalen Leben zurückkehren können – immer unter besonderer Berücksichtigung der Corona-Gefahr. So groß mein Verständnis etwa dafür ist, die Inseln im Moment für den Tourismus zu sperren, so wenig Verständnis habe ich dafür, dass man Strände und Parks sperrt. Es dient doch der Gesundheit, wenn die Menschen rausgehen und Sonnenstrahlen abbekommen können, und somit ihr Immunsystem stärken.

    Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sieht das völlig anders und sperrt ihr Land mehr oder weniger ab – um sich in der Krise zu profilieren?

    Mein Eindruck ist, dass es bei den Ministerpräsidenten einen Überbietungswettbewerb gibt, wer der härteste Hund im Land ist. Ich sehe das bei Herrn Söder und Herrn Laschet auch unter dem Gesichtspunkt, wer der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden könnte. Den Streit zwischen den beiden und Angela Merkel, ob wir jetzt vielleicht über eine Exit-Strategie nachdenken sollten, finde ich lächerlich. Was denn sonst? Wir leben in einer freien Gesellschaft. Jeden Tag müssen wir darüber nachdenken, wie wir wieder ins normale Leben zurückkehren können. Wer das verhindern will, hat die Demokratie und den Rechtsstaat nicht verstanden. Zu glauben, wir können so lange so weiter machen wie im Moment, bis ein Impfstoff da ist, ist aberwitzig. Bis dahin werden alle unsere finanziellen Ressourcen aufgebraucht sein.

    Interessant ist, dass es eine Bundestagsdrucksache aus dem Jahr 2012 gibt, in der eine Pandemie wie die jetzige vorhergesagt wurde. Hat die keiner gelesen?

    Wenn man sich überlegt, dass wir 2012 in Deutschland eine übrigens viel schlimmer verlaufende Pandemie durchgespielt haben, fragt man sich schon, wo das Bundesgesundheitsministerium bis Anfang März eigentlich gewesen ist. Die Aussage von Jens Spahn, wir seien auf alles bestens vorbereitet, war schlicht und schlank gelogen.