Hamburg. Schleswig-Holstein weist im Streit um die Abweisung von Fußgängern und Radlern an der Hamburger Landesgrenze Vorwürfe zurück.
Der "Grenzstreit" zwischen Hamburg Schleswig-Holstein nimmt bizarre Züge an . Am Dienstagmittag betonte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zunächst, dass er nach einem Gespräch mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) nun die „Zusicherung“ habe, dass Spaziergänger und Radfahrer aus Hamburg nicht mehr unter Verweis auf Regeln zur Eindämmung der Coronapandemie an der Grenze zu Schleswig-Holstein abgewiesen werden.
„Ich habe mit Daniel Günther telefoniert und wir sind uns einig, dass es nicht sinnvoll ist, dass wir im Nahbereich an der Landesgrenze Kontrollen von Fußgängern und Radfahrern durchführen“, sagte Tschentscher.
Regierungssprecher sind Grenzkontrollen "nicht bekannt"
Die Kieler Landesregierung offenbarte dagegen ein ganz eigenes Problemverständnis: Auf Anfrage des Abendblatts, ob Schleswig-Holstein nun weiterhin an den Grenzen zu Hamburg Kontrollen durchführen werde, antwortete Regierungssprecher Peter Höver mehr als drei Stunden nach Tschentschers Äußerungen: „Hier ist von ,Grenzkontrollen’ nichts bekannt.“ Die Polizei kontrolliere lediglich „die Einhaltung der mit der Landesverordnung aufgestellten Regeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus“.
Das korrespondierte wiederum nicht mit Angaben der schleswig-holsteinischen Landespolizei. Die konnte zwar auch zwei Tage nach den Wochenend-Kontrollen im Hamburger Umland nicht genau sagen, wie viele Hamburger insgesamt zurückgewiesen wurden. Aber einige präzise Zahlen gab es doch: So mussten am Rader Forst (Kreis Segeberg) 420 Autofahrer, 416 Radfahrer und 53 Fußgänger nach Polizeikontrollen umkehren. In der Haseldorfer Marsch waren es 220 Autos.
Angaben zu Radfahrern und Fußgängern gibt es dort nicht. Im Bereich Geesthacht, so heißt es bei der Polizei, seien „80 Prozent“ der Kontrollierten abgewiesen worden. Eine absolute Zahl, so Sprecherin Wiebke Müller, sei dort jedoch nicht erhoben worden. Mehr als 1100 Einreiseverbote waren es insgesamt aber auch ohne diese Zahl.
Daniel Günther bedankt sich bei der Polizei
Später am Nachmittag folgte dann auch eine ausführliche Stellungnahme des Ministerpräsidenten. Darin bedankte sich Daniel Günther bei den Polizistinnen und Polizisten in Schleswig-Holstein, die „einen großartigen Job“ leisteten: „Sie setzen die von der Politik erlassenen Regelungen um und bewahren dabei Augenmaß“, so Günther, der weiter betonte: „Vor allem die touristischen Ströme müssen wir zum Schutze aller derzeit überwachen. Das gilt in unseren Küstenorten, das gilt genauso in vielen Naherholungsgebieten rund um Hamburg. Deshalb werden wir auch jetzt zu Ostern die Kontrollen so durchführen wie am vergangenen Wochenende.“
Das las sich zunächst so, als würde der Regierungschef den Konflikt mit Hamburg weiter auf die Spitze treiben wollen. Doch dann schränkte Günther immerhin ein, dass die Kontrollen „mit nötigem Abstand zu den Landesgrenzen“ durchgeführt werden sollten und stellte klar: „Fahrradfahrer und Fußgänger sind kein Schwerpunkt, aber besonders Gruppenausflüge werden unterbunden.“ Das, immerhin, deckte sich mit Tschentschers Aussagen.
Schließlich schickte Günther auch ein Friedenssignal: „Die große Zahl der Bürgerinnen und Bürger in beiden Bundesländern geht mit der Lage ganz entspannt um. Das deckt sich so gar nicht mit manchen hysterischen Berichten in diesen Tagen. Hamburg und Schleswig-Holstein ziehen an einem Strang.“
Also alles nur Hysterie? Tschentscher hingegen, der schon die Ausweisung Hamburger Zweitwohnungsbesitzer aus Schleswig-Holstein als „sehr unfreundliche Episode“ kritisiert hatte, räumte ein, dass beide Länder derzeit „nicht das partnerschaftliche Miteinander, dass wir aus den vergangenen Jahren gewohnt sind“, vorleben.
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Politiker beider Länder kritisieren Kieler Regierung
Er bekräftigte zwar die Vereinbarung aller Bundesländer, überregionale touristische Ausflüge zu vermeiden, was insbesondere die Nord- und Ostseeküste betreffe. Zugleich sei aber auch vereinbart worden, dass der Aufenthalt und das Bewegen an der frischen Luft von den Beschränkungen ausgenommen sei, so der Bürgermeister. Sein Plädoyer, dass alle Maßnahmen „verhältnismäßig“ sein müssten, konnte als Seitenhieb auf den nördlichen Nachbarn verstanden werden. „Letztlich geht es ja drum, dass wir in dieser Krise nicht auch noch zu einem feindlichen Miteinander kommen“, so Tschentscher, der mit Blick auf die Hunderttausenden Pendler zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein betonte: „Wir können diese Metropolregion jetzt nicht in Stücke schneiden und künstliche Grenzen errichten.“
Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks begrüßte den neuen Kurs: „Die polizeilichen Kontrollen, wie sie Schleswig-Holstein direkt an seinen Landesgrenzen durchgeführt hatte, halten wir für nicht zielführend. Sie sind weder alltagstauglich, noch sind sie verhältnismäßig.“ Auch der schleswig-holsteinische FDP-Landtagsabgeordnete Christopher Vogt sagte, er begrüße die Einigung der beiden Regierungschefs: „Einzelne Jogger, Spaziergänger und Radfahrer kann man nicht ernsthaft als Touristen bezeichnen und sie stellen auch kein Problem dar.“
CDU-Politiker: Abweisungen sind verfassungswidrig
Aus Sicht des früheren Staatsrats und Chefs der Hamburger Senatskanzlei Detlef Gottschalck (CDU) waren die Zurückweisungen von Hamburgern an oder kurz hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein sogar rechtswidrig. Zwar könne das Grundrecht der „Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“ (Art 11, Abs.1 Grundgesetz), so Gottschalck, zum Beispiel aufgrund eines Gesetzes „zur Bekämpfung von Seuchengefahr“ eingeschränkt werden. „Wie alle Eingriffe in ein Grundrecht unserer Verfassung muss aber auch eine solche Beschränkung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen“, sagt der Jurist.
Der Eingriff müsse „objektiv geeignet und darüber hinaus erforderlich“ in dem Sinne sein, dass kein ebenso geeignetes, aber milderes Mittel zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Virus zur Verfügung stehe. Die Zurückweisung von Radfahrern und Fußgängern sei „offensichtlich ungeeignet, mindestens aber nicht erforderlich“, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. „Aus diesem Grund sind die beschriebenen polizeilichen Maßnahmen nicht nur ein unfreundlicher Akt, sondern schlicht verfassungswidrig“, sagt Gottschalck. Das gelte seiner Ansicht auch für Hamburger, die mit dem Auto kurz hinter die Landesgrenze fahren, um im Wald spazieren zu gehen.
Einen anderen Fall schildert der Hamburger Abendblatt-Leser Helmut Hillebrand, dessen Schiff im Hamburger Yachthafen in Wedel liegt – zurzeit in der Halle. „Vor vier Tagen konnte ich die Halle noch zu Wartungsarbeiten mit einer Bescheinigung anfahren, die mich als Bootsbesitzer ausweist. Heute wurde ich mit gleichen Angaben am Tor abgewiesen. Für Hamburger sei der Hafen geschlossen, hieß es“, sagt Hillebrand.