Kiel. Die Juristin hatte die Tiere ohne das Einverständnis der Besitzer notverkauft. Diese reagierten mit Protestaktionen.

Ihr tiefer Fall ist eine Herausforderung für die Justiz. Hat eine Kieler Staatsanwältin in Tierschutzverfahren jedes Maß verloren und das Recht gebeugt? Über diese heikle Frage muss von Dienstag (8.10.) an das Kieler Landgericht befinden. Im Falle einer Verurteilung drohen der 44-jährigen Frau Gefängnis und Entlassung aus dem Staatsdienst – und dem Land Schleswig-Holstein Schadenersatzforderungen betroffener Tierhalter in Millionenhöhe. Rechtsbeugung gilt als Verbrechen. Das Gesetz sieht für jede einzelne Tat eine ein- bis fünfjährige Freiheitsstrafe vor.

Heftige Proteste und Strafanzeigen der Tierhalter

Die Ermittlungen gegen die frühere Tierschutz-Dezernentin der Kieler Staatsanwaltschaft kamen durch heftige Proteste und Strafanzeigen der Tierhalter in Gang. Ihr Vorwurf: Die Staatsanwältin habe auf Höfen, in Reitställen und bei Privatleuten in großem Stil Tiere beschlagnahmen lassen und notverkauft, ohne die Besitzer dazu anzuhören und ihnen das Recht auf Widerspruch einzuräumen.

Die medienwirksamen Protestaktionen gegen den Eifer der Anklägerin finden auch im Justizministerium Gehör. Der Generalstaatsanwalt wird eingeschaltet. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe übernimmt „aufwendige Ermittlungen“. 2016 legt sie die erste Anklage gegen die Kollegin aus Kiel vor. 2017 folgen weitere Anklagen. Elf Fälle in den Jahren 2011 bis 2014 tragen die Ermittler gegen die Juristin zusammen.

"Befugnis zur Notveräußerung bewusst" missbraucht

Das Landgericht prüft den brisanten Vorgang zwei Jahre lang, dann eröffnet es das Hauptverfahren. Ab Dienstag geht es um zehn Fälle. Eine der vier Anklagen lässt die Strafkammer nicht zu. Der Anklage zufolge missbrauchte die 44-Jährige beim Verkauf beschlagnahmter Tiere teilweise ihre „gesetzliche Befugnis zur Notveräußerung bewusst“.

Auf diese Weise habe sie verhindert, dass sich die Tiereigentümer, gegen die wegen schwerer Tierschutzverstöße ermittelt wurde, mit Rechtsmitteln wehren konnten. In einem Fall soll sie schlecht gehaltene Tiere eines Landwirts ohne förmliche Notveräußerung eigenmächtig veräußert haben. Hier lautet der Vorwurf „Rechtsbeugung in Tateinheit mit Diebstahl“.

Zirkuselefant "Gitana" nach Belgien notverkauft

Zum Start des Verfahrens wird nach Gerichtsangaben vermutlich nur die Anklage verlesen. Dass die Angeklagte danach die Gelegenheit nutzen könnte, sich zu den Vorwürfen zu äußern, gilt als eher unwahrscheinlich. Für die Wahrheitsfindung legte das Gericht bisher 36 Verhandlungstage bis zum 31. März 2020 fest.

Die Itzehoer Staatsanwaltschaft ermittelt noch in drei weiteren Verfahren gegen die Kollegin. Dazu gehört der spektakuläre Fall des Zirkuselefanten „Gitana“. Die Staatsanwältin ließ sie in einer Großaktion zusammen mit zwei Tigern und zwei Löwen aus einem Zirkus abtransportieren. Die Elefantendame wird kurz darauf nach Belgien notverkauft. Die Tierrechtsorganisation Peta, die Strafanzeige gestellt haben soll, jubelt – die Zirkusbesitzer gehen auf die Barrikaden.

Angeklagte vorläufig des Dienstes enthoben

Auch Rinder, Pferde, Hunde, Kaninchen und Katzen wurden abgeholt und notveräußert - ohne dass die Betroffenen Gelegenheit erhalten, juristisch dagegen anzugehen. Sie müssen zusehen, wie die Tiere verladen und weggebracht werden – unterstützt von einem entsprechenden Polizeiaufgebot. Welche Fälle die Kammer verhandeln wird, darüber hüllen sich Gericht und Itzehoer Staatsanwaltschaft bis zum Prozessbeginn in Schweigen.

Die Angeklagte lässt sich durch die renommierte Hamburger Kanzlei Gerhard Strate und Klaus-Ulrich Ventzke vertreten. Auch von dort gibt es vor Prozessbeginn keine Stellungnahme. Die Beamtin ist längst vorläufig des Dienstes enthoben – ihre Bezüge sind um 25 Prozent gekürzt. Ihre Klage dagegen scheitert als unbegründet.

Düstere Aussichten für die Angeklagte

Mit dieser Entscheidung vom Juni 2018 eröffnet das Verwaltungsgericht Schleswig düstere Aussichten: Angesichts der geschilderten tatsächlichen Ereignisse sowie der Ermittlungen und Beweismittel der Anklage bestünden „keine ernstlichen Zweifel daran“, dass ihre Entlassung aus dem Dienstverhältnis überwiegend wahrscheinlich sei. Dies gelte auch für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und eine Verurteilung im Strafprozess.

Eine Beamtin, die „systematisch verfahrenswidrig Rechtsschutz verwehrt“, um eigene Vorstellungen von Rechtmäßigkeit durchzusetzen, verletze das in sie gesetzte Vertrauen aufs Schwerste und beschädige „das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung“.

Im Justizministerium erinnert man sich für die zurückliegenden 20 Jahren nur an ein vergleichbares Strafverfahren. Es betraf einen Amtsrichter. Dieser wurde 2006 wegen Rechtsbeugung und weiterer Straftaten rechtskräftig zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.