Kiel. Die Juristin soll beschlagnahmte Tiere notveräußert haben, ohne Tierhaltern Gehör einzuräumen. Vier Anklagen und elf Fälle.

Dieser Fall wird Justizgeschichte schreiben: Erstmals muss sich eine schleswig-holsteinische Staatsanwältin vor Gericht verantworten. Der Prozess vor dem Landgericht Kiel wird vermutlich im September beginnen. Es geht um den Verdacht der Rechtsbeugung in zehn Fällen, in einem Fall in Kombination mit dem Verdacht auf Diebstahl. Das geht aus einer Pressemitteilung des Gerichts hervor.

Die Staatsanwältin soll im Zeitraum zwischen Ende 2011 und Anfang 2014 bei tierschutzrechtlichen Ermittlungen gegen Verfahrensvorschriften verstoßen haben. Konkret geht es darum, dass sie beschlagnahmte Tiere notveräußert haben soll, ohne den Eigentümern zuvor rechtliches Gehör einzuräumen.

Staatsanwältin wurde in Bereich Tierschutz versetzt

Die Juristin ist schon vor ihrer Tätigkeit in Sachen Tierschutz auffällig geworden. Sie war Anklagevertreterin im 2009 in Kiel startenden Flirt-SMS-Prozess. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, Kunden um insgesamt 46 Millionen Euro betrogen zu haben. Doch Anfang 2011 musste die Juristin auf Bitte des Vorsitzenden Richters von dem Verfahren abgezogen werden. Sie habe „das Prozessklima durch unablässige Provokationen, Zwischenrufe und Beleidigungen von Verteidigern vergiftet“, schilderte hinterher einer der Anwälte.

Danach wurde die Staatsanwältin in den Bereich Tierschutz versetzt. Folge: Die Zahl der durch die Kieler Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Tiere stieg plötzlich in schwindelerregende Höhen. 2010 und 2011 waren davon nur sieben Tiere betroffen, 2012 und 2013 waren es insgesamt 1194 Tiere. Immer wieder gab es öffentlichkeitswirksame Auftritte der Staatsanwältin. Ein Beispiel: Im Mai 2013 umstellten 60 Polizisten den in Norderstedt gastierenden Zirkus „Las Vegas“. Ein Elefant, zwei Löwen und zwei Tiger wurden abtransportiert und verkauft. Das Amtsgericht Norderstedt stellte später das aus dieser Polizeiaktion entstandene Strafverfahren gegen die Zirkusinhaber ein – wegen Geringfügigkeit.

Doggenzüchterin wurde Opfer Staatsanwältin

Besonders schwerwiegende persönliche Folgen hatte das Vorgehen der Staatsanwältin für die Tierrechtsanwältin und Doggenzüchterin Verena Rottmann. Im April 2013 nahm ihr die Staatsanwältin ihre drei Doggen weg – wegen angeblicher „unhygienischer Tierhaltung“. Die Nachricht verbreitete sich im Internet, Rottmann verlor Aufträge und am Ende ihre Anwaltszulassung. Zwei der drei Doggen starben dort, wo die Staatsanwältin die Tiere hatte unterbringen lassen. Rottmann wurde am Ende vom Amtsgericht Plön lediglich zu einem Bußgeld verurteilt – wegen einer Ordnungswidrigkeit.

Als immer mehr geschädigte Landwirte und Tierhalter Anzeige erstatteten, begann die Staatsanwaltschaft Itzehoe zu ermitteln. Das Material reichte für vier Anklagen und elf Fälle, erhoben 2016 und 2017. Die Verfahrenseröffnung zog sich dann sehr lange hin. Das Landgericht erklärte das damit, dass Haftsachen Vorrang hätten – also Verfahren gegen Verdächtige, die in Untersuchungshaft säßen.

Auch disziplinarrechtlich ist die Staatsanwältin in die Bredouille geraten. Anfang 2017 wurde sie vorläufig des Dienstes enthoben. Dagegen wehrte sie sich mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht – und unterlag. „Eine Beamtin, die ihre Pflicht dadurch verletzt, dass Beschuldigten systematisch verfahrenswidrig Rechtsschutz verwehrt wird, um ihre – die der Beamtin – eigenen Vorstellungen von Rechtmäßigkeit durchzusetzen, und dabei endgültige und nicht umkehrbare Eingriffe in die Rechte der Beschuldigten verursacht, verletzt das in sie gesetzte Vertrauen aufs Schwerste“, hieß es in der damaligen Urteilsbegründung.