Kiel/Itzehoe. Anklagevertreterin des Dienstes enthoben. Jetzt soll sie sich vor Gericht verantworten. Es geht um Pferde und Elefanten.
Es ist ein Fall, der geeignet ist, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu untergraben: Seit 2014 ermittelt die Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen eine Kollegin der Staatsanwaltschaft Kiel. Vier Anklageschriften haben die Itzehoer Ankläger mittlerweile verfasst. Sie werfen der Kieler Staatsanwältin unter anderem Rechtsbeugung in elf Fällen vor. Die Frau soll Tierhaltern in Schleswig-Holstein rechtswidrig Pferde, Rinder, Schweine und Hunde weggenommen haben.
Zu einem Prozess ist es bislang nicht gekommen. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig wirft nun ein neues Licht auf diesen zumindest in Schleswig-Holstein einmaligen Fall. Noch nie hat sich dort ein Staatsanwalt, dessen Aufgabe es ja ist, die Einhaltung von Rechtsnormen zu kontrollieren, wegen Rechtsbeugung vor Gericht verantworten müssen.
Die Staatsanwältin muss sich wegen der Ermittlungen gegen sie auch einem Disziplinarverfahren stellen. Sie wurde zunächst vom Dienst suspendiert, dann im Februar 2017 vorläufig des Dienstes enthoben. Dagegen wehrte sie sich vor dem Verwaltungsgericht. Die Richter wiesen die Klagen im Juni dieses Jahres ab – und fanden in ihrer Begründung klare Worte.
Staatsanwältin hatte schon länger für Probleme gesorgt
„Die rechtsstaatliche Aufklärung von Straftaten sowie die Gewährleistung eines neutralen Verfahrens, das sowohl zulasten als auch zugunsten der Beschuldigten eines Strafprozesses zu führen ist, gehören zu dem Wesenskern der dienstlichen Pflichten einer Staatsanwältin“, heißt es im Urteil.
„Eine Beamtin, die diese Pflicht dadurch verletzt, dass Beschuldigten systematisch verfahrenswidrig Rechtsschutz verwehrt wird, um ihre – die der Beamtin – eigenen Vorstellungen von Rechtmäßigkeit durchzusetzen und dabei endgültige und nicht umkehrbare Eingriffe in die Rechte der Beschuldigten verursacht, verletzt das in sie gesetzte Vertrauen aufs Schwerste.“
Und weiter: „Jeder Eindruck, eine Staatsanwältin würde nicht als neutrale Vertreterin der staatlichen Strafverfolgung tätig werden, sondern ihre eigenen Wertvorstellungen tatkräftig über die des geltenden Rechts stellen, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.“
Kommentar: Vertrauen in den Rechtsstaat: Strafe auch für Staatsanwälte
Die Staatsanwältin, der diese vernichtenden Sätze gelten, hatte schon seit Längerem für Probleme in der Staatsanwaltschaft Kiel gesorgt. Sie war Anklagevertreterin im 2009 startenden Flirt-SMS-Prozess. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, Kunden um insgesamt 46 Millionen Euro betrogen zu haben. Doch Anfang 2011 musste die Juristin auf Bitte des Vorsitzenden Richters von dem Verfahren abgezogen werden. Sie habe „das Prozessklima durch unablässige Provokationen, Zwischenrufe und Beleidigungen von Verteidigern vergiftet“, schilderte hinterher einer der Anwälte.
Danach wurde sie offenbar in den Bereich Tierschutz versetzt. Folge: Die Zahl der durch die Kieler Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Tiere stieg plötzlich in schwindelerregende Höhen. 2010 und 2011 waren davon nur sieben Tiere betroffen, 2012 und 2013 waren es insgesamt 1194 Tiere.
Vier Beispiele für die Beschlagnahmungen der Staatsanwältin: Im April 2013 werden Verena Rottmann ihre drei Doggen weggenommen. Der Vorwurf lautet: „Unhygienische Tierhaltung“. Die Fachanwältin für Tierrecht wird danach im Internet gemobbt. Kunden bleiben weg, sie verliert ihren Ruf und ihre Anwaltszulassung. Am Ende wird sie zu einer Geldbuße verurteilt. Dem Pferdezüchter Hans Beil werden wegen angeblicher Verstöße gegen den Tierschutz 88 Pferde, 66 Schweine und sechs Kaninchen weggenommen.
Alle Tiere werden von den Behörden verkauft. Beils Pferdezucht ist dahin. Im Januar 2014 muss der Todesfelder Landwirt Dieter Scherrer 155 Milchkühe herausrücken. Im Mai 2013 umstellen 60 Polizisten den in Norderstedt gastierenden Zirkus „Las Vegas“. Ein Elefant, zwei Löwen und zwei Tiger werden abtransportiert und verkauft. Das Amtsgericht Norderstedt stellt später das aus dieser Polizeiaktion entstandene Strafverfahren gegen die Zirkusinhaber ein – wegen Geringfügigkeit.
Das rabiate Vorgehen der Staatsanwältin hat eine Bugwelle von Klagen erzeugt, die die Gerichte im Land noch lange beschäftigen werden. Das Finanzministerium rechnet mit Schadenersatzklagen und hat den Etatposten „Entschädigungen, Ersatzleistungen und Abfindungen“ deutlich angehoben – von 450.000 Euro im Jahr 2017 auf fünf Millionen Euro im Jahr 2018.
Wann der Prozess gegen die Staatsanwältin eröffnet wird, ist unklar. Noch ist noch nicht einmal die Entscheidung gefallen, ob die vier Anklagen zugelassen werden. Sie stammen aus dem Juni 2016, zwei weitere aus dem Februar 2017 und eine aus dem April 2017. Sebastian Pammler, Sprecher des Landgerichts Kiel, verwies darauf, dass den Anklageschriften ein „komplexer Sachverhalt“ zugrunde liege. „Zudem handelt es sich hier nicht um eine Haftsache“, sagte er. „Die müssen vorrangig abgearbeitet werden.“