Kiel. Kieler Staatsanwältin soll eine Art Feldzug gegen Zirkusse und Landwirte geführt haben. Gegen sie wurde Anklage erhoben.
So einen Zirkus hat man im Circus Las Vegas wohl noch nie gemacht: 60 Polizisten umstellen im Morgengrauen des 8. Mai 2013 die Wohnwagen und Käfige der Familie Köllner. Die hat ihre Zelte gerade in Norderstedt aufgeschlagen. Nach stundenlangen Untersuchungen verliert das traditionsreiche Unternehmen wichtige Tiere: Ein Elefant, zwei Löwen und zwei Tiger werden wegen angeblicher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz abtransportiert. Sie kehren nie wieder zurück.
Gut drei Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Nun steht nicht mehr der Zirkus im Fokus, sondern die damals zuständige Kieler Staatsanwältin. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat Anklage gegen sie erhoben – ein zumindest in Schleswig-Holstein wohl einmaliger Fall. Es geht um Rechtsbeugung in sechs Fällen, begangen in der Zeit zwischen November 2011 und Januar 2014. Derzeit prüft die 35. Große Strafkammer des Landgerichts Kiel, ob der Prozess eröffnet wird. Zugleich geht der Arbeitgeber gegen die Staatsanwältin vor. „Es gibt ein Disziplinarverfahren“, sagt Axel Bieler von der Kieler Anklagebehörde.
Staatsanwältin ist für viele Großeinsätze verantwortlich
Nach allem, was man weiß, hat die Juristin rund zwei Jahre lang eine Art Feldzug gegen Tierhalter geführt. Eine Reihe von Großeinsätzen geht auf ihr Konto. Nach der Razzia in Norderstedt tauchte sie ein halbes Jahr später in Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern) auf. 70 Polizisten durchsuchten den Circus Monaco. Der Zirkus hatte kurz vorher in Bad Segeberg gastiert und dort Krokodile gezeigt. Angeblich fehlte dem Betrieb dafür die Genehmigung. Die zwölf Krokodile wurden beschlagnahmt.
Am 28. Januar 2014 wurde die Frau im Kreis Segeberg aktiv. Der Todesfelder Landwirt Dieter Scherrer musste 155 Milchkühe herausrücken. Zwei Tage später wurden auf ihren Antrag hin 57 Pferde des Reit- und Fahrvereins Brekendorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) abtransportiert – wegen des Verdachts der Tierquälerei.
Auch der "Flirt-SMS-Prozess" beschäftigte die Frau
Das alles erzeugte eine durchaus nennenswerte mediale Aufmerksamkeit. Und es erzeugte Widerstand. Tierhalter organisierten sich in einem „Arbeitskreis gerechter Tierschutz“. Empörte Landwirte, die sich mit ihrem Kollegen Dieter Scherrer solidarisierten, schalteten den Agrar- und Umweltausschuss des Kieler Landtags ein. CDU, FDP und Piraten forderten einen Bericht des Justizministeriums an. Der kam im November 2014. Die Zahlen waren beeindruckend. Während es in den Jahren 2010 und 2011 nur insgesamt zwei staatsanwaltliche Tierbeschlagnahmungen gegeben hatte, stieg diese Zahl 2012 und 2013 auf je fünf. 2010 und 2011 ging es dabei nur um insgesamt sieben Tiere, 2012 und 2013 wurden hingegen 1194 Tiere beschlagnahmt.
Möglicherweise hatte da jemand eine neue Spielwiese gefunden. Denn die Staatsanwältin, die für die meisten dieser Fälle verantwortlich zeichnete, war bis Anfang 2011 mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Auch dabei sorgte sie für Aufsehen. Sie hatte die Anklageschrift im sogenannten Flirt-SMS-Prozess verfasst, der im September 2009 begann, und war in diesem Verfahren die Vertreterin der Staatsanwaltschaft. Den drei Angeklagten wurde vorgeworfen, mit ihrer Firma mehr als 700.000 Kunden betrogen zu haben. Schadenshöhe: 46 Millionen Euro. Der Trick: Menschen, die auf der Suche nach der großen Liebe waren, bezahlten Geld für Chats mit Menschen, die Liebe nur vortäuschten – also bezahlte Moderatoren.
Staatsanwaltschaft will in sechs Fällen anklagen
Für die Staatsanwältin war der Prozess recht bald zu Ende. Nach mehreren Zwischenfällen bat der Vorsitzende Richter die Anklagebehörde um Ablösung der Frau – ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang. Michael Gubitz, Verteidiger in diesem Verfahren, schrieb damals in einer Pressemitteilung: Die Staatsanwältin habe „das Klima durch unablässige Provokationen, Zwischenrufe und Beleidigungen von Verteidigern vergiftet“. Tatsächlich wurde die Juristin dann von dem Verfahren abgezogen. Danach bekam sie ein neues Betätigungsfeld. Unter anderem sollte sie sich um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz kümmern.
Und da ging sie nicht nur bis an die Grenzen des Rechtsstaats. Glaubt man der Staatsanwaltschaft Itzehoe, überschritt sie diese Grenzen. Rechtsbeugung ist keine Kleinigkeit. Sie gehört in den Bereich der besonders schwer geahndeten „Straftaten im Amt“. Es geht also um den Schutz des Rechtsstaats vor denen, die an der Rechtsprechung mitwirken. Der Rechtsbeugungsparagraf 339 des Strafgesetzbuches ist denn auch von strenger Knappheit: „Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“ Es ist das Strafmaß für einen Fall. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe will die Juristin in sechs Fällen anklagen. Der Vorwurf: Sie soll Tierhaltern unter anderem Pferde, Hunde, Hühner und Kaninchen per sogenannter Notveräußerung entzogen haben, ohne dass die Betroffenen ihre gesetzlichen Rechte geltend machen konnten.
Kein ähnlicher Fall bekannt
Weitere Straftaten könnten noch hinzukommen. Peter Müller-Rakow, Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe, sagt: „Es gibt in dieser Sache Ermittlungsverfahren, die noch laufen, und es gibt Vorprüfungen für die Eröffnung weiterer Ermittlungsverfahren.“ Ermittlungen gegen Staatsanwälte seien sehr selten, sagt er noch: „Mir ist kein anderer Fall bekannt.“
Und was ist mit den Tieren? Landwirt Dieter Scherrer weiß nicht, wo seine 155 Milchkühe sind. „Sie sind wohl verkauft worden“, sagt er. Der Prozess gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz zieht sich seit Jahren hin. Sein Eindruck: „Die Staatsanwaltschaft spielt auf Zeit, die wissen ja nun, dass ihre Kollegin vor Gericht muss.“
Tiere sind verschwunden
Bei der Zirkusfamilie Köllner ging es ein wenig schneller. Im vergangenen Januar stellte das Amtsgericht Norderstedt das Verfahren gegen Giuliano Köllner ein – wegen Geringfügigkeit. Die Tiere blieben verschwunden. Der Elefant wurde nach Belgien verkauft, die Löwen sollen nun in Südafrika sein, die Tiger in Großbritannien.
Auch die Staatsanwältin ist offenbar aus dem Verkehr gezogen worden. Sie sei schon seit Längerem vom Dienst suspendiert, heißt es in Juristenkreisen. Die schleswig-holsteinische Generalstaatswaltschaft will das weder bestätigen noch dementieren. „Die Suspendierung wäre eine disziplinarische Maßnahme, und über eine solche Maßnahme geben wir zum Schutz der Persönlichkeitsrechte keine Auskunft“, heißt es von Sprecherin Silke Füssinger.