Schleswig. Profis und Freiwillige kämpfen mühsam gegen die Verschmutzung an. Dafür wird nun ein Spezialboot gebaut.

Am Ufer des Schleswiger Wiking Yachthafens hat sich Treibsel aufgetürmt, teilweise kniehoch. Abgesehen von großem Plastikmüll wie alten PET-Flaschen ist von einer gewaltigen Umweltverschmutzung nichts zu sehen. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber zwischen diesem Schwemmgut, zwischen Binsen, Schilf und Reet haben sich millimeterfeine Plastikteilchen verfangen. Nimmt man dieses Treibsel in die Hand, sind unzählige Plastikteilchen zu erkennen, mal bunt, mal durchsichtig.

„Das hier stammt von einer Gurken- oder Tomatenverpackung“, sagt Falko Hohmann, im Landkreis Schleswig-Flensburg für die Umwelttechnik zuständig. Er hält ein feines, transparentes Stück Plastik zwischen seinen Fingern. Nach der Verschmutzung der Schlei durch Plastikpartikel laufen die Reinigungsaktionen auf Hochtouren.

Plastikschnipsel stammen vom Klärwerk

Mit Harken schieben die vier Männer einer Reinigungsfirma die Treibsel zusammen und laden sie in Schubkarren. Der elf Kubikmeter umfassende Container ist innerhalb von dreieinhalb Stunden mit dem Plastikkonfetti gefüllt. Den überwiegenden Teil macht allerdings der organische Müll aus. Wie lange sie mit dieser Arbeit beschäftigt sein werden? Der bärtige Helfer schüttelt den Kopf, er weiß es nicht. Tage? Monate? 50 Mitarbeiter der Stadtwerke und andere Helfer sind täglich rund um die Schlei im Einsatz, dazu Freiwillige.

Die Plastikschnipsel stammen wie berichtet vom Klärwerk in Schleswig. Dort wurden geschredderte Speisereste zusammen mit Plastikverpackungen zur Energiegewinnung unter den Faulschlamm gemischt und gelangten in die Schlei. Die Speise-Plastikreste bekamen die zuständigen Stadtwerke von Refood, einem Zulieferer aus Nordfriesland. Seit Februar nehmen die Stadtwerke in Schleswig die verunreinigten Speisereste nach den Plastikfunden im Januar nicht mehr an. Durch einen Siebfilter würden die restlichen Plastikpartikel, die noch im Umlauf sind, aus dem Ablauf der Kläranlage entfernt.

Karte zeigt verschmutzten Bereich an

Mikro-Plastik aber, das kleiner ist als zwei Millimeter, könne den Filter passieren. „Wir bemühen uns gerade um einen kleineren Filter“, sagt Stadtwerke-Chef Wolfgang Schoofs. Das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Flensburg ermitteln gegen Verantwortliche der örtlichen Stadtwerke. Von der Plastikkatastrophe betroffen ist die Schlei zwischen Schleswig und Arnis, Luftlinie sind das 25 Kilometer.

Während die Reinigungstrupps das Ufer am Wiking Yachthafen vom Plastik befreien, zeigt Thorsten Roos, Leiter des Fachbereichs Umwelt beim Kreis Schleswig-Flensburg, nicht weit vom Hafen entfernt in seinem Büro auf eine Landkarte. Rote, gelbe und orangefarbene Kästchen sind darauf verteilt. „Plastik in der Schlei“ steht über der Karte im Maßstab 1:15.000. Jedes Quadrat markiert einen plastikverschmutzten Bereich.

Im roten Bereich ist es stark verschmutzt, in den orangenen und gelben etwas weniger, und der grüne Bereich ist gar nicht kontaminiert. Es sind viele orange und gelbe Kästchen, vor allem im westlichen Bereich des Ostseearmes, zu sehen. Das Büro von Thorsten Roos, Ingenieur für Landschaftsplanung und Ökologie, ist zur Einsatzzentrale, Roos zum Krisenmanager geworden. Einer, der systematisch und methodisch vorgeht. Besonnen. Abends trifft sich hier die Task Force, bespricht das weitere Vorgehen.

Auch Taucher suchen Plastik im Wasser

Und es gibt gute Nachrichten: „Nach dem heftigen Sturm am vergangenen Wochenende hat die Schlei den ganzen Müll ausgespuckt“, sagt Roos. „Das erleichtert uns die Arbeit.“ Nach Abflauen des Ostwindes haben er und seine Mitarbeiter eine aktuelle Landkarte mit dem Ausmaß der Verschmutzung erstellt. Diese zeigt keine roten Kästchen mehr, nur noch gelbe und orangefarbene und ein paar grüne Quadrate.

Der Sturm hat mit dem starken Hochwasser das Plastik praktischerweise an die Ufer gespült. Dazu kamen der Frost, der das Plastik gebunden hat. Roos: „Das war ein Segen für uns.“ Von einer Entwarnung kann aber keine Rede sein, denn das Plastik ist ja noch da und niemand weiß, wie lange es dauern wird, es zu beseitigen. „Aber uns ist der Müll an Land lieber als im Wasser.“ Die ökologischen Auswirkungen seien an Land überschaubarer.

Neben Reinigungstrupps und Drohnen, die das Gebiet aus der Luft überprüfen, waren am Donnerstag auch Taucher im Einsatz, haben nach Plastik im Wasser und auf dem Grund gesucht. Ergebnis: Es wurden keine Plastikteilchen aufgespürt, die aus dem Klärwerk stammen. „Das ist natürlich erfreulich“, sagt Gewässerbiologe Jan Schröder vom Landkreis Schleswig-Flensburg. „Aber wir haben uns nur einen kleinen Bereich angeguckt, und das ist nur eine Momentaufnahme.“ Er könne daraus nicht schließen, dass nichts auf dem Boden der Schlei liegt. An drei Stellen, unter anderem am Klärwerk, haben die Taucher Proben genommen.

Verschmutzung bedroht Tierwelt

Vögel wie Blesshühner, Gänse, Schwäne und Schilfbrüter könnten Plastikteile fressen, ebenso die Fische. Heringe, Hechte, Flunder, Aal oder Dorsch sind hier heimisch. Die örtlichen Gastronomen bieten fangfrischen Fisch aus der Schlei an. „Fressen die Tiere das Plastik, kann sich ein verfrühtes Sättigungsgefühl einstellen und sie verhungern“, so Roos. Fischer überprüfen ihre Fänge derzeit auf Plastik in den Mägen, noch lägen keine Funde vor. Thorsten Roos will diese Untersuchung intensiver und wissenschaftlich begleiten. Dazu laufen Gespräche mit dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.

Wolfgang Schoofs, der Verantwortliche bei den Stadtwerken, wird am heutigen Sonnabend im Blaumann im Einsatz sein, im Naturschutzgebiet Reesholm und auf den Königswiesen. Freiwillige können gern helfen. Die Stadtwerke kommen für die Reinigung der Schlei auf. Der Meeresarm der Ostsee wird am Ende vielleicht so wenig Plastik im Wasser haben wie nie. Denn die Helfer sammeln nicht nur das
Mikroplastik aus der Kläranlage auf, sondern jeglichen Plastikmüll, der ohnehin in den Gewässern ist. „Wir finden unheimliche Mengen an Plastikmüll, der nicht von uns stammt“, so Schoofs. Lediglich fingerkuppengroße Teile stammten aus dem Klärwerk.

„Wir konzentrieren uns auf die innere Schlei, die Kleine und Große Breite.“ Die Ufer würden komplett gereinigt. Sogar ein Siebschiff haben die Stadtwerke in Auftrag gegeben. Nach Ostern soll es einsatzbereit sein. Mindestens ein Jahr lang soll die Säuberung andauern. Schoofs: „Wir machen den Dreck der letzten Jahrzehnte weg.“ Kosten: mehr als eine Million Euro. Eventuell greift eine Umweltschadensversicherung.

Für Tourismus ist Plastikmüll eine Katastrophe

Für den Tourismus an der Schlei ist die Plastikkontamination natürlich eine kleine Katastrophe. Zwar gab es noch keine Stornierungen, aber täglich rufen Gäste an und wollen Näheres erfahren. Kurz vor dem Ostergeschäft keine gute Sache. Mehr als 3,5 Millionen Übernachtungsgäste jährlich zählt die Region zwischen Schleswig und der Ostsee, dazu noch einmal 3,5 Millionen Tagesgäste im Jahr – der überwiegende Teil dieser Gäste sind Naturliebhaber, sagt Max Triphaus, Geschäftsführer der Ostseefjord Schlei GmbH. Triphaus bemüht sich um Schadensbegrenzung: „Es ist nicht die gesamte Schlei betroffen.“ So ließe die Plastikbelastung östlich von Missunde nach.

Das Naturschutzgebiet Reesholm, das besonders stark verschmutzt war, ist wohl wieder sauber, sagt Werner Kuhr vom örtlichen Naturschutzbund (Nabu). „Bis zum nächsten Sturm, der wieder alles hochschwemmt.“ Für ihn sei das Ganze ein „Umweltskandal ersten Ranges.“ Und dennoch halten sie in dem 25.000-Einwohner-Ort Schleswig zusammen: „Wir müssen alle an einem Strang ziehen“, sagt Kuhr und fordert alle auf mitzuhelfen.

Plastik, sagt Thorsten Roos noch, ist ein chronisches Problem in den Gewässern. Er will diese Krise nutzen und Fördergelder beantragen für den Gewässerschutz der Schlei. Denn die ist nicht nur mit Plastik belastet, sondern auch mit Stickstoff.