Tag 3: Auf Amrum entdeckt Matthias Iken einen Grabstein mit QR-Code, an der Ostsee macht die DLRG Juliane Kmieciak eine große Freude.
Die Reporter berichten im Abendblatt von ihren Erlebnissen. Matthias Iken zieht es am dritten Tag auf die Insel Amrum, Juliane Kmieciak badet in der Ostsee und schließt Freundschaft mit den Mitarbeitern der DLRG-Station am Weissenhäuser Strand.
Hier geht es zum Küstenschlacht-Tagebuch
Nordsee, Matthias Iken
Nichts als Himmel. Ist er bleigrau? Staubgrau? Aschgrau? Mausgrau? Signalgrau? Steingrau? Kieselgrau? Hie und da doch hellgrau? Vielleicht gar lichtgrau? Die 45 RAL-Grautöne reichen für die Nordsee nicht aus. Der norddeutsche Himmel hält mehr Schattierungen bereit.
Solange sie trocken bleiben, will ich nicht meckern. Denn unter diesem Grau liegt ein besonderer Flecken Erde: Amrum – die kleinste der Nordfriesischen Inseln, die zehntgrößte des Landes – und die vielleicht schönste. Sie ist Sylt im Quadrat (bloß ohne Schick) und Föhr in Potenz (mit mehr Esprit). Sie ist wilder, urwüchsiger, unverfälschter. Die Dünen breiter, die Strände weißer, das Land wilder, die Friesen sperriger.
Als Amrum kein Seebad sein wollte
Als Wyk und Westerland längst Seebäder waren, sperrten sich die Amrumer noch gegen den neumodischen Krams. 1885 bat der Architekt Ludolf Schulze aus Waldhausen um eine Badekonzession für die Südspitze Wittdüns – die Gemeindevertretung schmetterte das Ansinnen einstimmig ab.
Die Insulaner fürchteten „den Verderb der guten hiesigen Sitten durch Badeleute, wie Beispiele im benachbarten Wyk und Westerland zur Genüge beweisen“. Es sei nicht Sitte, dass hiesige „Einwohner ins Wirtshaus gehen“ und „auswärtige Kapitalisten ihren Profit machen“.
Gut gebrüllt: Fünf Jahre später kamen die Touristen dann doch. Trotzdem verweigerten sich die Amrumer dem Ausverkauf der Insel. Verrückte Pläne, einen Damm nach Föhr zu bauen, lehnten die Insulaner ab – sie fürchteten eine Verkehrssteigerung.
Man möchte sich nicht ausmalen, wie viele Autos sich sonst über die Insel wälzen würden. Eigentlich bräuchte man sie gar nicht, die Entfernungen sind überschaubar, der Bus fährt alle 30 Minuten. Trotzdem möchten viele auf ihr Mobil kaum verzichten.
Nebel ist das Insel-Idyll
Auch die Fähre, die mich von Wyk nach Wittdün bringt, hat Autos an Bord. Ich verlasse den eher entbehrlichen Hauptort, der den tristen Charme der 60er nicht abgeschüttelt hat, in Richtung Insel-Idyll, nach Nebel. Gleich am Ortseingang liegt die älteste Mühle Schleswig-Holsteins, eine unterhaltsame Mischung aus Dorfmuseum, Antiquitätenhandel und Flohmarkt (Eintritt 2,50 Euro).
In dem Erdholländer von 1771 finden sich Trachten, übergroße Wattstiefel, der Riemen eines gestrandeten schwedischen Schiffes und ein vom Eiswinter aufgesprengter Schiffspropeller. Und das unvermeidliche friesische Glaubensbekenntnis: „Lewer duad üs Slav“.
Warum ein Grabstein einen QR-Code hat
Ganz Nebel wirkt hübsch aus der Zeit gefallen. Prächtige Friesenhäuser in blühenden Gärten, sympathische Cafés und über allem der weiße Turm von St. Clemens. Der Friedhof ist ein Geschichtenerzähler. Der bekannteste Grabstein hat sogar mittels QR-Code Internetanschluss und erzählt kinotauglich vom Schicksal des kleinen Harck Nickelsen, der als Zwölfjähriger zur See fuhr und türkischen Seeräubern in die Hände fiel, die den Amrumer als Sklaven nach Algier verkauften. Nach drei Jahren wurde er freigekauft und schließlich ein reicher Kapitän. Bevor die AfD daraus einen Skandal macht – die Geschichte spielte im 18. Jahrhundert.
Wenige Schritte entfernt in einem üppigen Garten steht das Haus des Gastes, ein sehenswertes Relikt der Sommerfrische vergangener Tage, sogar mit Lesesaal. Hier arbeitet Christine Beyer für Amrum Touristik. Ihr Lieblingsstrand liegt bei Nebel, sie empfiehlt die Mühle, das Öömrang Hüs und den Blick vom Leuchtturm.
Beyer ist erprobt, Gästen Mut in Sachen Wetter zu machen: „Wenn es anfängt zu fluten, steigen die Chancen auf Wind und damit auf Sonne.“ Wer zweifelt, findet an der Kasse der Post (!) Einwegponchos für 2,50 Euro. Ich glaube ihr und gehe nach Norddorf, erst entlang der Salzwiesen und des Watts, dann durch den dichten und urwüchsig anmutenden Wald.
Die Insel ist heute die waldreichste. Nach dem Krieg wurden Kiefern, Fichten und Birken auf der Heide gepflanzt, heute verstärkt Laubhölzer.
Nordsee, 13 Grad: Das Gefühl nach dem Bad ist großartig
Der Wald macht Amrum besonders – und natürlich der Kniepsand. Diese riesige Sandbank, die angeblich einstmals bis zu 15 Kilometer weit in die See ragte, hat sich inzwischen zärtlich an die Insel geschmiegt. Ein verwaltungstechnisches Niemandsland, eigentlich Meer, doch zugleich trockenes Land, ein Reich der Freiheit und die größte Sandkiste der Republik. Den Kniepsand muss man durchqueren, um zum Meer zu gelangen.
Heute plätschert die Nordsee nur, kaum ein Wind geht. 14 Grad misst die Luft, 13 Grad das Wasser. Was kalt klingt, ist keine große Sache. Sie kostet nur Überwindung. Sobald das Wasser an den Schenkeln steht, muss ich mich entscheiden: zurück oder den Kopf ausschalten. Hinein in die Fluten, schnell drehen, losschwimmen. Eine Wahl habe ich ohnehin nicht, schließlich haben wir vor der Küstenschlacht gewettet.
Kleine Kinder haben mit kaltem Wasser keine Probleme, Erwachsene hingegen große. Seltsam. Denn das Gefühl nach dem Bad ist großartig: Man erntet verständnislose Blicke und fühlt sich erfrischt, erholt, lebendig. Das Urlaubsgefühl, wofür Reisende oft viel Geld ausgeben, gibt es hier kostenlos.
Ostsee, Juliane Kmieciak
Ob ich die Einzige bin, die hier badet? Irgendwann sehe ich die Menschen auf der Seebrücke am Weissenhäuser Strand nur noch im Augenwinkel. Dann gar nicht mehr. Nur noch Himmel und Sonne und um mich herum Wasser. Was für ein Moment! Allerdings ist außer mir sonst ziemlich genau kein anderer in der 15 Grad kalten Ostsee. Und so bin ich – zumindest für die Leute auf der Seebrücke – schon zu einer kleinen Touristenattraktion geworden.
Einige haben wohl einfach noch nicht gesehen, dass ich etwas geschummelt habe. Denn über meinem Bikini trage ich einen Neoprenanzug. Ohne den könnte ich es in dem Wasser wohl keine Minute aushalten. So aber könnte ich hier ewig auf dem Rücken rumtreiben und diesen Tag genießen, der sich gegen Mittag entschieden hat, doch noch ein Sommertag zu werden.
Dank Neoprenanzug in die kalte Ostsee
Den Neoprenanzug habe ich von der DLRG-Station direkt neben der Seebrücke. Dort verleihen sie die wärmenden Anzüge zwar nicht vorrangig an Touristen, aber wer nett fragt, dem gibt Abschnittsleiter Reiner Lehmkuhl gerne einen mit. „Ein paar Modelle in unterschiedlichen Größen haben wir immer da.“
Der 65-Jährige gehört längst zum Weissenhäuser-Strand-Inventar. Seit 34 Jahren kommt er jeden Sommer her. Seit der ehemalige Finanzbeamte in Pension ist, bleibt er die ganze Saison über hier. Wenn es demnächst wärmer wird, wacht er mit elf Kollegen täglich von 9 bis 18 Uhr über den 3,6 Kilometer langen Strandabschnitt. Jetzt, in der Vorsaison, sind sie nur zu viert.
Dabei ist inzwischen jede Menge los. Kurz nachdem der Himmel vorhin aufriss, strömten alle wie verabredet aus dem Hotel oder den Ferienwohnungen der Anlage runter an den Strand. Ein paar Jungs spielen in Badehose Volleyball, Kinder bauen Burgen mit ihren Eltern, einige haben es sich mit einem Buch gemütlich gemacht. Nur die geschlossene Strandbar zeugt davon, dass Sonne nicht gleich Sommer ist.
Lachsfischen an der Ostsee
Ob hier viele Unfälle passieren, frage ich Rainer Lehmkuhl. „Ne, nicht viele. Das geht hier ja ganz seicht rein. Auch am Ende der Seebrücke sind es nur knapp 1,70 Meter“, sagt er. Es sei viele Jahre her, dass hier jemand ertrunken sei. Dennoch passiere es immer mal wieder, dass die Menschen die Strömung unterschätzten. „Bei heftigerem Wellengang kann die Unterströmung auch in der Ostsee gewaltig sein. Das vergessen viele“, sagt er.
Nach meinem Badespaß schlendere ich noch ein wenig am Strand entlang. Auf der Seebrücke begegne ich Christoph, dem Angler. Der bearbeitet gerade einen Lachs, sein bisher einziger Fang des Tages. Aber egal. Ist ja Urlaub. Und für den 32-Jährigen heißt Urlaub nun mal Weissenhäuser Strand – seit er ein Kleinkind war.
Jedes Jahr kommt er mit seiner Familie aus dem Harz hierher. Die Aufgabenteilung ist klar geregelt: „Mama und Papa machen Wellness, und ich fange das Abendessen“, sagt er lachend. Wie die meisten hier ist er in der großen Freizeitanlage untergebracht, zu der Ferienwohnungen, ein Hotel, ein Spaßbad und praktisch alles gehört, was im weitesten Sinne Kinderbespaßung ist.
Weissenhäuser Strand – Ferienanlage für die ganze Familie
Das muss man wissen, wenn man hier Urlaub macht. Zwar ist Weissenhäuser Strand auch ein Ortsteil der zum Amt Oldenburg-Land gehörenden Gemeinde Wangels in Schleswig-Holstein, aber im Grunde ist die Ferienanlage der Ort. Mit Supermarkt, Freizeiteinrichtungen, Restaurant, Saunen und Schwimmbädern ist die Anlage so ausgestattet, dass die Gäste sie eigentlich nicht verlassen müssten. Dabei lohnt sich das sehr. Von hier aus lässt sich zum Beispiel wunderbar ein Ausflug entlang der Hohwachter Bucht machen.
Ich entscheide mich für eine kleine Tour auf zwei Rädern. Die Strecke führt direkt am Meer entlang und ist eine schöne Mischung zwischen Steilküsten und Dünen. Mit einem Schlenker gelangt man so auch zum Schloss Weissenhaus.
Wie James Bond mit dem Seabob durchs Meer
Der gebürtige Hamburger Jan Henric Buettner hat aus dem Schloss und dem umliegenden historischen Dorf vor rund drei Jahren ein Luxusresort geschaffen: fünf Sterne, Michelin-Stern für das Restaurant, gediegene Atmosphäre. An der Rezeption frage ich nach einem Prospekt (man darf ja träumen). Kurzer Blick auf die Preise: Kennenlernangebot ab 330 Euro pro Person im Einzelzimmer. Die weiteren Angebote schenke ich mir, bei meinem kläglichen Reisebudgetrest könnte ich mir hier maximal eine halbe Nacht leisten. Also zurück in mein Center-Park-ähnliches Familienparadies. Rainer Lehmkuhl ist immer noch da und winkt mich rüber. Er habe da wohl noch so eine Idee ...
Ein paar Minuten später hab ich den Neoprenanzug wieder an und düse auf einem Seabob durchs Meer. Das ist ein feuerroter Wasserscooter, wie ihn James Bond auch gern benutzt. Jetzt gucken die Leute erst recht. Ich gebe zu: Da hat der DLRG eine ganz große Ausnahme für mich gemacht. Dass ich vorhin noch von der „Küstenschlacht“ erzählt hatte, hat die DLRG-Jungs offenbar angespornt, noch einen draufzusetzen. Auf diesem Wege: Tausend Dank an die DLRG! Und an die Redaktion: Könnte ich morgen eventuell einfach noch mal dasselbe machen?