Zwei Reporter berichten vier Tage von ihren Erlebnissen. Nordsee oder Ostsee? Es ist auch ein Läster-Duell in Text und Videos.
Das Abendblatt will es wissen. Zwei Reporter berichten vier Tage von ihren Erlebnissen. Nordsee oder Ostsee? Es ist auch ein Läster-Duell in Text und Videos.
Mit der Bahn, einem gepackten Rucksack und einem Budget von jeweils 500 Euro machen sich Matthias Iken, 46, und Juliane Kmieciak, 32, auf den Weg und tauschen vier Tage lang Schreibtisch gegen Strandkorb. Wo ist es schöner? Wo sind die Sonnenuntergänge bunter, die Möwen lauter? Die Strände weißer, der Himmel blauer? Täglich werden sie in Texten, Posts, Fotos und Videos von ihren Erlebnissen im Abendblatt und bei abendblatt.de berichten.
Die Küstenschlacht ist vorbei? Nein, sie geht eigentlich immer weiter. Lesen Sie hier ausführlich, was Juliane Kmieciak und Matthias Iken erlebt haben.
Nordsee, Matthias Iken
Nun also: Mit einem Erdbeben beginnen – und dann langsam steigern. Henri Nannen, der große Publizist, gab diese Losung seinen Journalisten mit auf den Weg. Auch für die Küstenschlacht hat sie nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Sylt stand am Beginn, dann Föhr, schließlich Amrum. Das Beste zum Schluss. Eine Expedition in eine amphibische Welt, ein Marsch durchs Weltnaturerbe, Wandeln über den Meeresboden. Oder etwas nüchterner: eine Wattwanderung.
Start an der Bushaltestelle Norddorf Mitte, gegenüber vom Lichtblick, dem Kino, dessen Name Programm ist. Gestern lief dort „Unter dem Sand“, ein Meisterwerk über junge Wehrmachtssoldaten, die nach dem Krieg zum Minenräumen an der dänischen Küste gezwungen wurden. Ein Film über den dünnen Lack der Zivilisation und den Hass in Europa, ein brillanter Antikriegsfilm. Die Bilder der Strände kennt man, diese Geschichte nicht. Ein aufwühlendes Kinoerlebnis: Frieden ist nicht selbstverständlich.
Heute liegt Amrum unter einem dunstgrauen Himmel seelenruhig da. Die ersten Urlauber sitzen im Lesesaal, Holger Paduch aus Uetersen liest dort im Hamburger Abendblatt – und begrüßt mich mit Namen. Print wirkt.
Wattwanderung von Amrum nach Föhr
Draußen sammeln sich die Schwaben, sie haben mit den Bayern noch Pfingstferien. Wattwanderer erkennt man an den kurzen Hosen. In der Mitte steht Wattführer Steffen, trotz des lichtscheuen Himmels mit Sonnenbrille.
Der Hauptstädter verbindet Berliner Schnauze mit der Sachkenntnis des Amrumers, seit 16 Jahren ist er auf der Insel. In jedem zweiten Satz bekommen die Föhrer ihr Fett weg – zur Freude der Amrum-Urlauber. Sollten sie angesichts des griesgramgrauen Himmels mit dem Urlaubsziel hadern, Steffen vertreibt die dunklen Gedanken.
Wir marschieren zum Vogelschutzgebiet Amrum-Odde, die Rufe der Austernfischer sind unsere Hintergrundmusik. In den Salzwiesen entdecken wir Säbelschnäbler, Grau-, Brand- und Ringelgänse. Kurz vor der Vogelstation biegen wir rechts ab, hinein ins Sandwatt, auf nach Föhr. Die Insel liegt zum Greifen nah, sogar Hörnum scheint in Reichweite zu liegen.
Aber Sylt ist unerreichbar, weil ein Priel den Weg versperrt, selbst die acht Kilometer nach Föhr verlangen Ortskenntnis. „Ins Schlickwatt gehen wir nur, wenn ihr mir auf die Nerven geht“, frotzelt Steffen. „Augen auf beim Wattenlauf – diesen Spruch bekommt ihr heute noch ein paarmal um die Ohren gehauen“, verspricht Steffen und hält Wort. Einerseits gibt es einiges zu entdecken: Muscheln, Krebse, Quallen, ja sogar Fische, andererseits gehen von scharfkantigen Austern auch Gefahren aus.
Wattwanderungen öffnen Augen und Ohren
Die erste Herausforderung wartet kurz hinter Amrum. Ein Priel, dessen Wasser weit bis über die Knie steigt, muss durchwatet werden. „Die zweite Herausforderung ist die Busfahrt auf Föhr“, lästert der Wattführer. Wer keine warme Jacke hat, bei dem frisst sich die Kälte in den nächsten zwei Stunden von den Füßen Zentimeter für Zentimeter aufwärts. Die anderen genießen.
Wattwanderungen öffnen Augen und Ohren, vielleicht sogar Hirne und Herzen. Es ist eine Landschaft des Wandels. Wasser und Wind erschaffen ein Kunstwerk, das schnell entsteht und noch schneller vergeht. Wattwandern macht den Kopf frei. Hamburgs ehemaliger Wirtschaftssenator Gunnar Uldall lud früher regelmäßig Vertraute ins Watt der Hallig Langeneß, Theodor Storm ließ sich zu dem Gedicht Meeresstrand inspirieren (Auszug).
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmerung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.
Ein Nordseeurlaub ist niemals trist
Eine mystische Zwischenwelt: Wo wir trockenen Fußes schreiten, wird in gut sechs Stunden das Wasser zweieinhalb Meter, bei Springflut drei Meter hoch stehen. Zwar ist der Tidenhub hier an der Nordsee eher durchschnittlich, die Landschaft aber außergewöhnlich. „Das gibt es nirgendwo auf der Welt, dass man von einer Insel zur anderen über den Meeresboden wandern kann“, schwärmt Steffen. Er hat seinen Traumjob unter dem grauen Himmel gefunden. „Lieber barfuß durchs Watt als mit dem Mercedes ins Büro.“ Über diesen Satz müssen einige der Schwaben doch etwas länger nachdenken.
Vieles erschließt sich beim Lustwandeln im Watt erst auf den zweiten Blick. Die Farben des Meeresbodens changieren, bizarre Muscheln blinzeln heraus. Wenn jetzt Sonne hinzukäme, es könnte ein perfekter Tag sein. Stattdessen setzt Regen ein, „Der Wind ist unsere Sonne“, sagte einst der friesische Arzt Carl Haeberlin. Dann hätten wir heute weder Sonne noch Sonne.
Aber vielleicht ist das die Botschaft dieser grauen Tage am grauen Meer. Ein Nordseeurlaub ist niemals trist, dafür ist die Landschaft viel zu groß. Hier kann einem das Wetter fast egal sein. Wo sonst kann man so was sage
Ostsee, Juliane Kmieciak
ldenburg in Holstein: Leicht frierend stehe ich hier um kurz vor acht am Busbahnhof. Der ganze Ort offenbar noch im Tiefschlaf. Nach Heiligenhafen will außer mir um diese Uhrzeit wohl niemand. Um nicht im Stehen einzuschlafen, schaue ich mich um und entdecke ein zumindest für mich neues Angebot. „Der Anrufbus – kommt ja wie gerufen.“ Im Internet lese ich, dass man da einfach eine Dreiviertelstunde, bevor man losfahren möchte, anrufen soll. Und dann schickt die Anrufbuszentrale extra einen Bus, egal, wo man gerade ist – und das kostet nur 1 Euro mehr als mit dem normalen Tarif .
Na, kein Wunder, dass ich hier alleine rumstehe ...
Wenig später geht es mit dem ganz normalen Linienbus los nach Heiligenhafen an der Ostspitze der Halbinsel Wagrien. Dort ist im Grunde nicht mehr los als eben noch am Busbahnhof. Auch Heiligenhafen schläft noch. Mir egal. Ich weiß ja schließlich, warum ich so früh aufgestanden bin, und mache mich gleich zu Fuß auf den Weg rüber zur Halbinsel Graswarder.
Denn da, mitten im Naturschutzgebiet, startet gleich eine Führung vom Naturschutzbund. Also nix wie hin. Unterwegs komme ich nicht nur am Yachthafen vorbei, sondern auch an den futuristischsten Reetdachhäusern, die ich je gesehen habe. Bis zum Giebel im HafenCity-Style und auf dem Dach klassisches Reet.
Naturschutzgebiet Graswarder
Aber wo sind die Menschen? Fehlanzeige. Erst, als ich im Naturschutzgebiet ankomme, fühle ich mich nicht mehr einsam. Bin ich auch nicht. Um mich herum quiekt und quakt es nur so. Austernfischer, Lachmöwen und, äh, ja, da hört es bei mir auch schon auf. Meine ornithologischen Kenntnisse fangen ungefähr bei der Taube an und hören beim Papagei auf – und mit beiden komme ich nicht weit.
Da kennt sich Kay Lange vom Naturschutzbund Nabu deutlich besser aus. Etwas weiter hinten im Naturschutzgebiet arbeitet er derzeit als Vogelwart. Eigentlich ist er Krankenpfleger in Heiligenhafen. Doch zwei Wochen seines Jahresurlaubs gibt er schon seit 1999 immer für den Graswarder-Dienst ab. „Zum Runterkommen“, sagt der Hobbyornithologe.
In dieser Zeit zieht er aus seiner Wohnung ins Nabu-Holzhaus auf dem Graswarder und zeigt den Touristen den aus seiner Sicht schönsten Landstrich der ganzen Region (Führungen von Ostern bis Oktober, täglich um 10.30 und 15 Uhr, Erwachsene 5 Euro/Kinder 3). Ich bin pünktlich da und – das scheint sich durch den Tag zu ziehen – die einzige Teilnehmerin. Liegt vielleicht am Nieselregen und Nebel.
Kay Lange ist trotzdem motiviert und legt los. „Der Graswarder ist eine sogenannte Nehrungshalbinsel, die 1968 zu großen Teilen unter Naturschutz gestellt wurde“, so der 50-Jährige. Eine 3,5 Kilometer lange Fläche mit vielen grasbewachsenen Ausläufern, den Nehrungshaken. „Und dazwischen gibt’s nicht nur Lagunen, sondern auch Schlick. Das erwarten viele ja an der Ostsee gar nicht.“ Und der Graswarder wird jedes Jahr größer.
Sturmmöven sind unsere Frühlingsboten
„Abtragungen von der Steilküste in der Nähe werden durch die Strömung an das östliche Ende der Halbinsel getragen.“ So seien in den vergangenen 50 Jahren etwa zehn Hektar dazugekommen. Auf meiner Privatführung erfahre ich vieles über die Vogel- und Pflanzenwelt. Zum Beispiel, dass der charakteristische Vogel des Graswarders die Sturmmöwe ist.
Und die sieht nicht nur toll aus, sondern ist für Heiligenhafen praktisch das, was die Forsythien an der Lombardsbrücke für Hamburg sind. „Die Sturmmöven sind unsere Frühlingsboten. Die ersten kommen meist um den 17. März hier an. Dieses Jahr waren es ein paar Tage später“, sagt Lange.
Prächtige Holzvillen und das Ferienhaus eines Hamburger Architekten
Während wir zum Aussichtsturm den Weg runterlaufen, erzählt er nicht nur von Küstenschwalben, Miesmuscheln und Grasnelken, sondern auch von der Architektur. Prächtige Holzvillen wurden hier auf Sand gebaut, die meisten um die Jahrhundertwende. Das orangefarbene Gebäude ist übrigens das Ferienhaus des berühmten Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan. Den kennt auch hier jeder. Spätestens, nachdem 2005 der Aussichtsturm nach seinen Plänen gebaut wurde – in der Form eines sitzenden Vogels.
Nach der Führung geht es rüber in Richtung Stadt. Noch ein wenig durch die Fußgängerzone schlendern, am historischen Rathaus vorbei, zum Yachthafen und Hafen. Dort gibt es an fast jedem Tag frischen Fisch zu kaufen. Immerhin elf Kutter gibt es hier noch, sagt ein Fischer. Deutlich weniger als früher, aber immerhin. Touristen, aber auch Einheimische kommen schon frühmorgens, um einzukaufen, andere wiederum, um mit den Hochseeanglern rauszufahren.
Die Hotels haben sich darauf eingestellt. Einige bieten ein Anglerfrühstück ab 6 Uhr an. Auch das Hotel Stadt Hamburg gleich um die Ecke. Es ist das älteste Hotel Heiligenhafens (von 1850) und war früher, so erfahre ich, der „Utspann“ für die Kaiserliche Postkutsche auf der Strecke Lütjenburg–Heiligenhafen–Hamburg.
Hamburg? Da war doch was. In einer knappen Stunde fährt zwar nicht die Postkutsche, aber mein Zug. Nach vier Tagen Ostsee geht’s zurück nach Hamburg. Schade? Sehr sogar!