Aufbruch zu neuen Ufern: Nach langer Pause startet das Segelschulschiff heute wieder zu einem Ausbildungstörn in Richtung Kanarische Inseln.

Kiel. Angespannte Blicke richten sich nach oben, als die Marinesoldaten beim Ablegen der „Gorch Fock“ die Takelage hochklettern und in den 45 Meter hohen Masten an den Rahen Segel losmachen. Zwei Jahre nach dem tödlichen Sturz einer Kadettin ging das massiv in die Kritik geratene Segelschulschiff der Deutschen Marine am Dienstag in Kiel erstmals wieder auf Ausbildungsfahrt – die 160. seit der Indienststellung 1958.

Bevor das Kommando „Leinen los!“ ertönt, darf die Presse bei grau-nassem Novemberwetter auf den weißen Dreimaster und umlagert den neuen Kommandanten Helge Risch. Immer wieder Fragen nach der Sicherheit. „Die Gefährdung für die Soldaten, die sich in der Takelage bewegen, ist erheblich reduziert worden – was nicht heißt, dass es risikolos ist“, sagt Risch und fügt hinzu: „Eine risikolose Takelage gibt es nicht und wird es vielleicht auch nie geben.“

Rückblende, November 2010. In einem brasilianischen Hafen stürzt eine Kadettin bei der Segelausbildung in den Tod. Vorwürfe werden laut. Die Ausbilder würden schikanieren, keine Rücksicht nehmen. Zwei Jahre zuvor gab es schon einen Todesfall auf der „Gorch Fock“. Eine Offiziersanwärterin ging nachts in der Nordsee offenbar über Bord, Fragen blieben offen. Der Kommandant musste gehen, das Segelschulschiff wurde als unzeitgemäß infrage gestellt. Eine Kommission überarbeitete die Ausbildung. An Land entstand für mehr als eine Million Euro ein Übungsmast in der Marineschule Mürwik in Flensburg.

„Alle, die in der Takelage arbeiten, haben am Übungsmast geübt - das ist jetzt die bindende Voraussetzung“, sagt Risch. Der 49-Jährige ist selber den 28 Meter hohen Übungsmast hochgeklettert – „ich muss mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt er. Natürlich sei der Mast niedriger und er bewege sich auch nicht wie ein Schiff. „Aber Sie können die Kadetten sehr viel besser vorbereiten auf das, was sie hier erwartet.“ Und in einer Art Laborumgebung lasse sich feststellen, „ob jemand physisch und mental und motorisch in der Lage ist, diese Aufgabe durchzuführen“. Die Ausbilder seien jetzt auch psychologisch besser geschult.

Rund ein Viertel der Teilnehmer bei den Marine-Lehrgängen sind Frauen. Sie müssen auch in Zukunft genauso in die Takelage wie die Männer. „Meine Erfahrung ist, dass die Frauen, die sich für die Marine entscheiden, das auch leisten können“, sagt Risch und fügt hinzu: „Die sind motiviert, anstrengungsbereit, und ich glaube, sie stehen ihren männlichen Kameraden keinen Deut nach.“

Für rund zehn Millionen Euro musste die „Gorch Fock“ unplanmäßig überholt werden, vor allem wegen Rost. Aber auch in die Sicherheit wurde investiert. So kann sich in den Rahen die Segelcrew in eine lange Stahlstrebe einklinken und sichern. Sicherungsmöglichkeiten wurden zudem zwischen den Plattformen in den Masten geschaffen, wenn ein Mitglied quasi über Kopf weiter hinauf musste in die Takelage.

Da und dort manche Träne beim Abschied, innige Umarmungen, Abschiedsküsse. Schiffsversorgungsoffizier Bernd Abshagen (32) und seine Frau Natascha geben sich tapfer. Abwechselnd auf dem Arm tragen Vater und Mutter ihren zweijährigen Sohn Ben, der munter eine kleine Deutschlandfahne zur Blasmusik des Marinemusikkorps auf der Pier schwenkt.

„Es ist für Ben das erste Mal, dass sein Vater ein halbes Jahr fort ist“, sagt Natascha Abshagen. Über Weihnachten und Neujahr werden sie Papa auf Las Palmas auf den Kanaren besuchen – der ersten Station der „Gorch Fock“. Auch Bernd Abshagen hat in Mürwik Klettern geübt, er ist überzeugt von den neuen Sicherungsverbesserungen, auch wenn das Entern der Takelage jetzt etwas länger dauert.

Risch bekennt, wegen der großen Verantwortung angespannt zu sein, aber nicht nervös. Vor den Kanaren wollen sie das Schiff „einsegeln“, wie er es nennt. Vom 20. Januar an sollen dann 220 Offiziersanwärter zur Ausbildung kommen. Die Route wird über die Häfen Horta (Azoren, Portugal), Lissabon und Funchal (Madeira, Portugal) nach London führen. Im Mai ist die „Gorch Fock“ Blickfang beim Hamburger Hafengeburtstag, ehe am 18. Mai 2013 die Bark wieder in Kiel anlegt.

Mit betont herzlichen Worten lobt Schleswig-Holsteins Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) an Bord die „Gorch Fock“ und ihre Besatzung als Botschafter Deutschlands, bekennt sich ohne Wenn und Aber zu dem Schiff. Worte wie „stolz“, „maritimes Wahrzeichen“, „Kameradschaft“, „Hochachtung“ fallen. Schlie weiß auch, wie sehr manche Vorwürfe die Besatzung getroffen haben: „dass es auch in der Marine noch so manche Wunde gibt, die nur schwer heilt“. Das schon obligatorische Mitbringsel, ein 5-Kilo-Glas mit Schoko-Aufstrich („ein bisschen Nervennahrung“) sorgt für Heiterkeit. Fürsorglich dann sein Wunsch, ehe die „Gorch Fock zu den Klängen „I'm Sailing“ ablegt und in der Förde einige Segel setzt: „Passen Sie gut auf sich auf, und kommen Sie gesund wieder nach Hause!“