Wedel. „Schnitzel-Rabatt“: Mehrwertsteuer steigt zum Ende des Jahres. Viele Wirte befürchten das Aus ihrer Lokale. Das sind ihre Argumente.
- 2024 endet die Reduzierung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie
- Wirte zeigen sich besorgt und fordern eine dauerhafte Senkung auf sieben Prozent
- Politik und Gewerkschaften machen sich ebenfalls für den „Schnitzel-Rabatt stark“
Manchmal trügt der Schein: Die Außenterrasse des Restaurants Mühlenstein in Wedel war bei bestem Sonnenwetter gegen 17 Uhr gut gefüllt. Die Kasse von Geschäftsführer Marcus Fürstenberg könnte klingeln. Zumindest in der Theorie.
Denn: Die gesamte Gastronomie Deutschlands steckt seit Beginn der Corona-Pandemie in einer Krise – und erholt sich nur schleppend, weil Kriege und Krisen auch hier ihre Folgen haben. Nun soll möglicherweise auch die Mehrwertsteuer wieder von sieben auf 19 Prozent angehoben werden. Das kritisieren einige Restaurant-Besitzer aus dem Kreis Pinneberg.
Restaurants im Kreis Pinneberg: Beginnt 2024 das große Gastro-Sterben?
Der Moorreger Christdemokrat Martin Balasus, Landtagsabgeordneter für den Kreis, hatte mit seiner Partei- und Landtagskollegin Birte Glißmann aus Seestermühe zu einem runden Tisch geladen. Letztendlich war es eher eine lange Tafel, an der Sorgen und Argumente ausgetauscht wurde. Viele Gastronomen sind gefrustet, weil es um ihre Existenz geht.
Ein Silberstreif am Horizont war die Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent zum 1. Juli 2020 inmitten der Corona-Pandemie. Die bisherige Vereinbarung läuft jedoch zum Jahresende aus – und treibt auch den Gastronomieleitern im Kreis Pinneberg den kalten Schweiß auf die Stirn, da der Steuersatz zum Jahresbeginn 2024 wieder um satte zwölf Prozentpunkte als Abgabe an den Staat steigen könnte.
Gastronomie: CDU fordert weiterhin sieben Prozent Mehrwertsteuer
Die CDU möchte sich auf Landesebene vehement dafür einsetzen, dass die Sieben-Prozent-Regelung auch in Zukunft gilt, schließlich sei dies auch eine Zusage des damaligen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) gewesen. Solange er regiere, werde es dabei bleiben. Steuer-Angelegenheiten sind Sache des Bundes. Und die Christdemokraten aktuell in der Opposition.
Doch die Lage bleibt unklar. Dem Protest im Sinn der Gastronomen hat sich auch der Verband Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) angeschlossen. Die SPD im Kreis Pinneberg möchte sich ebenfalls für die Gastronomen einsetzen.
Gewerkschaft fordert „Schnitzel-Rabatt“ statt Mehrwertsteuererhöhung
Unterstützung bekommen die Wirte bei ihrem Anliegen auch von der Gastro-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die fordert: Keine überdrehten Preise auf den Speisekarten im Kreis Pinneberg. Der „Schnitzel-Rabatt“ müsse bleiben. Gastronomen könnten sich sonst gezwungen sehen, den „Paukenschlag“ eins zu eins an die Gäste weiterzugeben.
„Ab Januar mal eben zwölf Prozent an zusätzlichen Steuern auf die ohnehin schon kräftig gestiegenen Preise, das werden die meisten Betriebe nicht wagen. Sie haben Angst, dass ihnen die Gäste dann wegbleiben. Also sparen sie lieber am Personal, aber genau das wäre fatal“, sagt Silke Kettner von der NGG Hamburg-Elmshorn.
„Schnitzel-Rabatt“ wichtig für faire Löhne in der Gastronomie
Der mögliche Mehrwertsteueranstieg dürfe nicht auf das Personal abgewälzt werden. Das Drücken von Löhnen und Tricksereien bei der Arbeitszeit kämen nicht infrage, so die Gewerkschafterin. Die Gastronomie dürfe gar nicht erst in die kritische Lage kommen. Die NGG appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten, sich für den „Schnitzel-Rabatt“ stark zu machen.
„Davon hängt auch ein fairer Umgang mit dem Personal in der Gastronomie ab“, sagt Silke Kettner. Die Mehrwertsteuersenkung habe Gastronomie und Hotellerie Luft gegeben, mehr ins Personal zu investieren. Dennoch: „Perspektivisch müssen die Löhne weiter steigen, um Gastro-Jobs attraktiver zu machen.“
Corona-Pandemie: 36.000 Gastro-Betriebe gaben auf
In den Jahren 2020 und 2021 hatten von den bundesweit 146.469 Gastronomie-Betrieben insgesamt 36.000 aufgeben müssen – und das trotz finanzieller Unterstützung der Regierung. Das reale Umsatzminus – bundesweit – im ersten Halbjahr 2023 der Branche liegt bei mehr als zehn Prozent im Vergleich zu 2019.
Ein dringend nötiger Rettungsring in sehr herausfordernden Krisenzeiten sei die Fortführung der Sieben-Prozent-Steuer. Eine seriöse Kalkulation in der aktuellen Phase werde immer schwieriger. Oft müsse von Woche zu Woche neu geschaut werden, ob Preise verändert werden müssten.
„Die Bierpreise müsste ich eigentlich auch schon wieder erhöhen“
„Eigentlich müssen wir die Preise ja auch um zwölf Prozent erhöhen. Den Bier-Preis müsste ich eigentlich auch schon wieder anheben, weil die Brauereien dreimal den Preis in den vergangenen eineinhalb Jahren erhöht haben“, sagt Gastronom Fürstenberg.
Kürzlich habe er in einem anderen Wedeler Restaurant ein Weizenbier aus der Flasche für 6,90 Euro bestellt. Das habe er schon als sehr mutig vom Betreiber empfunden. Bei ihm kostet Hamburger Pannfisch aktuell 22 Euro – das Gericht würde mit neuer Steuer dann ein wenig nach oben gerundet 24,70 Euro kosten.
Mit beim Treffen in Wedel waren der Dehoga-Kreisverbandsvorsitzender Christoph Dettling, Miteigentümer der Gaststätte Haselauer Landhaus, Meike Ladiges (Ladiges Gasthof, Holm), Ursula und Stefan Wulff (Jägerkrug Hohenhorst in Haselau), Armin Taebi und sein Sohn Arvin (Steakhaus Gitano in Tornesch), Christoph Karrasch (Elbe 1 in Wedel), Ilias Lazidis (Restaurant Ydrama in Moorrege), Simon Kunze (Elbstil, Hetlingen), Claudia von Stamm (Restaurant von Stamm, in Uetersen) und Christian Kienhorn (Wassermühle in Wedel).
Kreis Pinneberg: Aktuelle Preisentwicklung missfällt den Gastronomen
In einem sind sich alle Beteiligten einig. Die aktuelle Preisentwicklung in der Gastronomie missfällt den Geschäftsführern selbst. „Je teurer alles wird, desto weniger gehen die Leute essen. Das ist einfach so. Dann ist eben die Frage, ob ich vielleicht mir das nur noch einmal im Monat leisten kann oder vielleicht zwei oder dreimal im Monat“, sagt Ursula Wulff. Die Familie führt den Jägerkrug bereits in der vierten Generation.
Mit Beginn der Corona-Krise sei ein Großteil der „Weggehkultur“ verschwunden und nach wie vor nicht zurückgekehrt. Die Menschen seien häuslicher geworden – und seien oft gezwungen, ihr Geld zusammenzuhalten, um lieber sparsam zu Hause zu kochen – oder auch zu trinken. Schließlich sind Getränke in der Gastronomie die Produkte, die für den Unternehmer die höchsten Gewinnmargen bieten.
„Die Bierpreise müsste ich eigentlich auch schon wieder erhöhen“
Die Gastronomie – gerade auf dem Dorf – als geselliges kulturelles Zentrum im Kern der Gemeinde, früher oft auch durch viele Familienfeiern abgesichert, dürfe jedoch einfach nicht sterben. Das Speisen im Restaurant dürfe nicht – möglicherweise – zu einer Spaltung in der Gesellschaft führen. Nur besser situierte Menschen können sich Restaurant-Besuche leisten – das möchte niemand.
Doch irgendwie müsse dabei auch ein schwieriger Spagat beim Wirtschaften gelingen – ohne dass die Qualität der Speisen leide. Hohe Preise würden in Großstädten wie Hamburg kein Problem darstellen, seien aber im Kreis Pinneberg – und gerade in den traditionsreichen Dorfgaststätten – nicht vermittelbar.
Kritik der Gastronomen: „Lebensmittelpreise sind I-Tüpfelchen auf den Kostendruck“
„Die aktuellen Lebensmittelpreise sind auf den Kostendruck für uns Gastronomen bezogen sozusagen noch das I-Tüpfelchen“, sagt Karrasch vom Elbe 1. Das Restaurant an der Elbe beschäftigt 18 Festangestellte, hat zwei Azubis und einen Werkstudenten – und möchte auch weiterhin „adäquate“ Löhne zahlen.
Gitano-Chef Taebi, der auch der neue Gastro-Pächter auf der Barmstedter Schloßinsel ist, gibt zu, dass er es auch schon mit kleineren Portionen versucht habe: „Aber die Leute merken es sofort, wenn statt acht Garnelen nur noch sechs auf dem Teller sind.“
Personalmangel ist ein zusätzliches Problem für die Restaurants
Oft würden ihm und auch den Service-Kräften der anderen anwesenden Gastronomen aus Frust Mäkeleien serviert werden. Der grassierende Personalmangel in diesem Gewerbe ist ein zusätzlich riesiges Problemfeld – es sei schwer vernünftiges und zuverlässiges Personal zu finden.
Fürstenberg hofft auf ein Umdenken, da das Personal für diese Entwicklung in der Preisgestaltung einfach nichts könne. „Ich bin ja auch Fußball-Trainer. Niemand hat mehr Lust, Schiedsrichter zu sein, weil die immer nur bepöbelt werden.“ Und dieses Problem gebe es auch auf den Service bezogen.
Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, müssen die Löhne fair bleiben
Auch, weil die Arbeitszeiten in der Gastronomie generell unattraktiv sind. Um als Arbeitgeber attraktiv zu werden oder zu bleiben – die Branche ist nach wie vor Schleswig-Holsteins größtes berufliches Tätigkeitsfeld –, müssten die Löhne fair gestaltet sein.
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Das durchwachsene Sommerwetter habe Geld gekostet. „Es gab so viele Regentage. Und ich habe eine Terrasse mit 150 Plätzen“, klagt Gitano-Chef Taebi. Er blickt auf 41 Jahre Erfahrung in der Gastronomie zurück.
19 statt sieben Prozent Mehrwertsteuer: Gastronomen schlagen Alarm
Die zwölf Prozent Differenz hätten Luft und Spielraum für anderweitiges finanzielles Jonglieren geschaffen. Die CDU-Riege am Tisch forderten die Gastronomen zudem auf, Ministerpräsident Daniel Günther (ebenfalls CDU) möge sich zeitnah auch endlich positionieren zu dem Thema.
Das komplizierte deutsche Steuersystem sei aus Sicht der Gastronomen zu vereinfachen. Ein Catering mit ausschließlich Stehtischen werde schon immer mit sieben Prozent besteuert, kämen Sitzgelegenheiten hinzu – sind es - vor Corona und möglicherweise bald wieder – 19 Prozent. Die Gastronomen wollen ein verständlicheres System.
Anderswo scheint es mit niedrigen Steuersätzen zu klappen: In 23 anderen EU-Ländern gelten reduzierte Sätze bei der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, In Italien oder Frankreich liegen diese beispielsweise jeweils bei lediglich zehn Prozent. Mit dem Treffen auf der Außenterrasse des Mühlensteins wollen die Gastronomen ein gemeinsames Zeichen für den Erhalt der regionalen Gastronomie setzen – sie möchten die Regierung zum Einlenken bewegen.