Pinneberg. Tanzflächen sind rar – und immer mehr Club-Betreiber geben auf. Wieso das Land, aber auch die Jugendlichen selbst Teil des Problems sind.
Viel zu feiern haben junge Menschen in Pinneberg nicht mehr – dafür großes Glück, dass die S3 eine so gute Verbindung in die Hamburger Innenstadt ist. Seit Jahren dünnt sich die Clubszene immer stärker aus und Diskotheken müssen schließen, brennen ab oder geben auf. Erst in der vergangenen Woche kündigte etwa das Elmshorner Apollo – einer der letzten verbliebenen Musikclubs – sein Aus an.
Eine Studie der gemeinnützigen Fördereinrichtung Initiative Musik hat Musikspielstätten in Deutschland unter die Lupe genommen und stellt Schleswig-Holstein ein miserables Zeugnis aus. Inwiefern sich das im Kreis Pinneberg widerspiegelt und was das Land sowie die Jugendlichen damit zu tun haben.
Diskotheken müssen aufgeben: Nachtleben im Kreis Pinneberg stirbt aus
In Schleswig-Holstein gibt es 41 Musikspielstätten mit einer Besucherkapazität von mindestens 2000 Menschen und regelmäßigem Liveprogramm. Das macht das Flächenland zu dem Bundesland mit der zweit niedrigsten Musikspielstätten-Dichte bundesweit – so das ernüchternde Ergebnis einer Befragung der Initiative Musik.
Und die Studie lässt wenig hoffen, denn sie zeigt, dass sich die geringe Zahl der Livemusik-Orte künftig noch weiter reduzieren dürfte. Schon jetzt sind 20 Prozent der befragten Betreiberinnen und Betreiber im Rentenalter, weitere 15 Prozent erreichen es bis 2030.
Dass sich dem jungen Tanzvolk auch im Kreis Pinneberg alles andere als blühende Discolandschaften bieten, ist Fakt. Neben dem Shooters in Wedel und dem Eberts in Schenefeld gibt es kaum noch Möglichkeiten, abseits des privaten Bereichs tanzen zu gehen.
„Furchtbar“ – Clubszene im Kreis Pinneberg
„Furchtbar“ so beschreibt der Wedeler Daniel Frigoni, der vor 16 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder den Club Shooters übernahm, den Ist-Stand der Pinneberger Clubszene. Das Shooters mietet und führt mittlerweile ein Kollege Frigonis, der allerdings zugleich in dessen Veranstaltungsagentur Elbmenschen beschäftigt ist. „Das ist ein Leidenschaftsprojekt, weil wir das Shooters schon so lange haben. Es ist unser Baby, wir haben damit angefangen“, sagt Frigoni.
Es handle sich beim Shooters mehr oder weniger um ein Plus-Minus-Null-Geschäft, das nur sehr kleine Gewinne abwerfe. „Unternehmerisch darfst du da gar nicht drüber nachdenken“, sagt Frigoni. Obwohl der Wedeler im Shooters gern deutlich mehr Live-Auftritte sehen würde, müsse er wegen des geringen Budgets Abstriche machen.
Wo bleibt das Geld? Land Schleswig-Holstein fördert Clubkultur kaum
Einer der Gründe für Schleswig-Holsteins maues Clubleben – und auch Frigonis harte Worte – sind fehlende Förderungen für Betreiber. Nach den Daten der Initiative Musik liegt die Förderquote hier Bundesvergleich extrem niedrig.
Laut Studie haben 67 Prozent der Spielstätten in den vergangenen fünf Jahren mindestens eine Zuwendung erhalten, wobei die Initiative Musik und die Kommunen die relevantesten Geldgeber waren. In Hamburg beispielsweise macht auch das Land vermehrt Geldreserven locker. Hier wurden in den vergangenen fünf Jahren ganze 79 Prozent der Spielstätten gefördert.
Clubsterben: Betreibern fehlt es an Fördergeld
Hohe Bedarfe für eine Förderung bestehen nach Informationen der Initiative Musik in Schleswig-Holstein unter anderem bezüglich digitaler Technik, sicherheitsrelevanter Einbauten, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen vor allem in den Bereichen Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit sowie der Rechtsberatung.
„Es gibt hier einfach keine echten Förderungsmaßnahmen. In Hamburg ist das ganz anders“, erzählt Frigoni, der in der Hansestadt unter anderem das Festival 45Hertz unter seinen Fittichen hat. „Gerade während Corona haben wir richtig gemerkt, wie man in Hamburg ganz anders abgeholt wurde, wie einem die Ängste genommen wurden.“ Die Kommune, der Kreis und das Land Schleswig-Holstein hätten die Probleme der Betreiber wiederum „eher belächelt“, so Frigonis Eindruck. Er vermisse Ansprechpartner für das Thema, aber auch eine Lobby.
„In Hamburg gab es an jeder Ecke Förderungen“, sagt Ex-Apollo-Betreiber
Das bestätigt auch Fiete Stamer, bis vor wenigen Tagen Betreiber des Clubs Apollo in Elmshorn, den er nunmehr schließen musste – Privatinsolvenz. Jetzt, nach dem Aus des Clubs, hat die „supernormale“ 50.000-Einwohner Stadt keine einzige Diskothek für jüngeres Publikum mehr. „Aus meiner Hamburg-Zeit weiß ich, dass es an jeder Ecke Förderungen gab. Man ist dort viel, viel leichter an die entsprechenden Pötte gekommen“, sagt Stamer.
Er war gewiss kein Neuling in der Branche, als er vor ziemlich genau einem Jahr zur ersten Musikveranstaltung ins Apollo lud. Zuvor hatte Stamer 16 Jahre lang den Posten als Betriebsleiter im Veranstaltungszentrum Markthalle Hamburg inne und erinnert sich an goldene Vor-Corona-Zeiten: „Die Branche hat gebrannt, man wusste gar nicht mehr, was man noch alles anfassen kann. Wir waren ausgebucht bis oben hin.“
Elmshorner Musikclub Apollo: Betreiber gibt noch einem Jahr auf
Das Apollo erschien ihm als vielversprechendes Projekt, so als einziger Club für Jugendliche in ganz Elmshorn. „Das muss funktionieren, das kann gar nicht anders sein“, habe er damals gedacht. Doch nach langen Wirren aufgrund der Bausubstanz und damit verbundenen hohen Krediten – Stichwort Asbest – war sein Puffer aufgebraucht und den Laden bekam er trotz aller Mühen auch nicht voll.
Jugendliche pendeln nach Hamburg, um die Disko zu besuchen
Für junge und jung gebliebene Pinneberger ist es heute beinahe selbstverständlich, Clubkultur in Hamburg zu genießen. Eine auch in den späten und sehr frühen Stunden gegebene Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmittel trägt ihren Teil dazu bei.
Keine Frage, in einer Großstadt wie Hamburg tobt das Nachtleben ganz anders als im Speckgürtel und das ist auch völlig normal. Trotzdem ist die Diskrepanz zwischen der Hansestadt und Schleswig-Holstein auffällig groß.
Wie kann die Clubszene im Norden wiederbelebt werden?
Zum Vergleich: Während in Hamburg jährlich 14.000 Livemusik-Veranstaltungen (rund eine je 135 Einwohner) stattfinden, sind es in Schleswig-Holstein nur 3.900 (rund eine je 757 Einwohner). Und statt 41 Spielstätten wie in dem Flächenland können Hamburger ganze 106 besuchen.
Für die Pinneberger Jugend ist die Nähe zu Schanze, Kiez und Co. zwar ein Glücksfall. Weiterhin Wiederbelebungsversuche für die Szene im Kreis zu unternehmen, hält Veranstaltungs-Experte Frigoni dennoch für sinnvoll. „Es wäre doch supertraurig, wenn man immer eine halbe Stunde zur Reeperbahn fahren muss und das dann die einzige zentrale Anlaufstelle wird“, sagt er.
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Clubszene ist Teil der Pinneberger Kulturlandschaft
Außerdem: Gäbe es das Shooters nicht, hätte Wedel quasi gar kein Nachtleben. Dann würden die Bürgersteige mit dem Schließen der Restaurants um 22 Uhr hochgeklappt. Und ein „Vorstadt-Disko-Feeling“, sagt Frigoni, dürften die Jugendlichen und jungen Erwachsenen doch nicht verpassen. Hier übt die Jugend schließlich für die große Tanzfläche und sammelt erste Party- und Engtanzerfahrungen.
Auch die Initiative Musik fordert im Rahmen ihrer Studie eine „Stärkung der Anerkennung des kulturellen Beitrags und der gesellschaftlichen Bedeutung von Musikspielstätten“. Immerhin würden Clubs, Konzerthallen oder Diskotheken einerseits Kunst und Künstler – insbesondere lokale Nachwuchs-Künstler – fördern, aber auch zur kulturellen Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten beitragen und den gesellschaftlichen Austausch fördern.
Kreis Pinneberg: Jugend hat während Corona das Feiern und Tanzen verlernt
Gerade jetzt, in postpandemischen Zeiten, kann das nur förderlich sein. Denn Daniel Frigoni weiß zu berichten, dass die Jugendlichen das Feiern und Tanzen erst einmal wieder lernen müssen nach einer langen Zeit des Zuhausebleibens und der Isolation, in der Streamingdienste den Diskothekbesuch als Freizeitaktivität der Jugendlichen verdrängten.
Seine letzten Jugendpartys seien überhaupt nicht angenommen worden, erzählt auch der ehemalige Apollo-Betreiber Stamer. Von einer „gesellschaftlichen Trägheit“ aufgrund der Pandemieerfahrung spricht er: „Die Jugendlichen wissen nicht mehr, was Feiern bedeutet. Die Weggehkultur, die ist bei den Jüngeren gestorben.“
Elmshorn: Es gibt wohl noch Hoffnung für das Apollo
Obwohl seine Liveveranstaltungen allesamt mit dem Kulturpass-Budget der Bundesregierung für 18-Jährige besuchbar gewesen wären, habe nicht ein einziger junger Erwachsener die Möglichkeit genutzt.
Ein kleiner Silberstreif verbleibt am Disco-Horizont des Kreises Pinneberg: Es gäbe wohl Interessenten, die das Apollo in Elmshorn als Verein weiter- beziehungsweise wieder betreiben wollen. Stamer wird aber kaum Teil dessen sein, sagt er. Nach seiner Privatinsolvenz müsse er zuallererst sich selbst retten.