Wedel. Wedeler stimmen bald über ein Baugebiet ab. Doch solche Bürgerentscheide sind in Schleswig-Holstein kaum noch möglich. Die Gründe.

Der Omnibus ist Demokratie pur. Das lateinische Wort steht für jeden, für das Ganze, für die Gesamtheit, alle betreffend – quasi für das gesellschaftliche „Wir“. Auf dem Wedeler Rathausplatz steht der große, weiße Omnibus für Direkte Demokratie seit Montag, 31. Juli, und bleibt für die Unterschriftenaktion „Rettet den Bürgerentscheid – Volksinitiative Schleswig-Holstein“ dort noch bis Mittwoch, 2. August.

Dann startet der Doppeldecker mit Werner Küppers, schon seit Jahrzehnten als Galionsfigur demokratischer Prinzipien im Bus auf Weltreise, um 18 Uhr weiter nach Bad Segeberg. „Seit 23 Jahren lebe ich im Bus“, sagt Küppers, der ursprünglich vom Niederrhein stammt – sich aber das ständige Unterwegssein als neues Zuhause ausgesucht hat.

Bürgerentscheid: Haltestelle Wedel: Wie ein Bus die Demokratie retten soll

Bis Mitte September sollen die 20.000 nötigen Unterschriften in Schleswig-Holstein eingesammelt werden, um gegen ein neues Gesetz der Landesregierung zu protestieren.

„Rettet den Bürgerentscheid“ in Wedel: Fahrer Werner Küppers lebt seit 23 Jahren im Bus. . 
„Rettet den Bürgerentscheid“ in Wedel: Fahrer Werner Küppers lebt seit 23 Jahren im Bus. .  © Frederik Büll | Frederik Büll

Die schwarz-grüne Koalition aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen hatte im März ein Gesetz im Landtag verabschiedet, das Instrumente wie das Bürgerbegehren – der erste Schritt, bevor es einen Bürgerentscheid geben kann – schwierig oder teilweise sogar gänzlich unmöglich macht. Das wollen die Aktivisten rückgängig machen.

Der Bürgerentscheid, dieses demokratische Instrument müsse in einem Land, welches im Grundgesetz festgeschrieben hat, dass „alle Staatsgewalt vom Volke“ ausgehe, aus Sicht der Unterstützer dieser Bewegung dringend erhalten bleiben.

Bürgerentscheid: Demokratie-Bus macht Halt in Wedel

Neben den obligatorischen Wahlen müsse es nach Ansicht der Kämpfer für die Demokratie auch ein Abstimmungsgesetz geben, um Sachverhalte basisdemokratisch entscheiden zu können. Von der kleinsten, bis hinauf zur größtmöglichen politischen Ebene.

Momentan sieht es in Schleswig-Holstein anders aus: Nach der Gesetzesänderung ist es Bürgern nicht mehr möglich, den Beschluss eines Parlamentes anzufechten, wenn dieser bereits mehr als drei Monate Bestand hat. Auch ein Bauvorhaben, dass von der Kommunalpolitik mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet wird, ist durch ein Bürgerbegehren nicht mehr zu stoppen.

Wedel: Bürgerentscheid über Wedel Nord ist am 8. Oktober

Genau das passiert gerade in Wedel: Hier steht nach jahrelangen Kontroversen nun ein zweijähriger Planungsstopp des Baugebietes Wedel Nord – bis zu 1000 Wohnungen auf 53 Hektar Fläche im Norden der Stadt – im Raum. Die wahlberechtigten Wedeler werden am Sonntag, 8. Oktober, nach dem Einsatz der Initiative „Nein zu Wedel Nord“ zur finalen Abstimmung gebeten.

Der Bürgerentscheid ist aber nur dann erfolgreich, wenn eine Mehrheit der wahlberechtigten Wedelerinnen und Wedeler entsprechend des Bürgerbegehrens stimmt und mindestens 16 Prozent der Wahlberechtigten im Sinne der BI stimmen. Dann würde ein zweijähriger Planungsstopp für das Baugebiet erreicht. Andernfalls bleibt alles wie bisher geplant.

Wedel: Bürgerentscheid über Wedel Nord ist am 8. Oktober

Der Erhalt der gelebten Demokratie sei generell immer wichtig, findet Arne Malsch von der Bürgerinitiative. „Wir unterstützen und begrüßen die Aktion des Omnibus in Wedel natürlich sehr, da wir zuletzt unser eigenes Bürgerbegehren eingeleitet hatten und jetzt die geforderten 16 Prozent brauchen“, sagt Malsch.

Auch Vertreter der Politik besuchten schon den Omnibus für Direkte Demokratie: Ratsfrau Valerie Wilms (v.l, WSI), Lothar Kassemek (SPD), Ratsherr Wolfgang Rüdiger (SPD), Fahrer Werner Küppers, Bettina Heck und Holger Grunenberg (beide Rettet den Bürgerentscheid Wedel).  Auch Arne Malsch. vertretungsberechtigtes Mitglied Bürgerinitiative
Auch Vertreter der Politik besuchten schon den Omnibus für Direkte Demokratie: Ratsfrau Valerie Wilms (v.l, WSI), Lothar Kassemek (SPD), Ratsherr Wolfgang Rüdiger (SPD), Fahrer Werner Küppers, Bettina Heck und Holger Grunenberg (beide Rettet den Bürgerentscheid Wedel). Auch Arne Malsch. vertretungsberechtigtes Mitglied Bürgerinitiative "Nein zu Wedel Nord“, ist Sympathisant der Bewegung. © Frederik Büll | Frederik Büll

Es sei gut, wenn solche Initiativen für den Erhalt von demokratischen Entscheidungen viel Aufmerksamkeit bekämen, so Malsch. Auf dem Rathausplatz informieren die Wedel-Nord-Gegner selbst nicht, eine eigene Informationsveranstaltung im Vorfeld des Bürgerentscheids wird es noch rechtzeitig geben.

Wedel: Gesammelt wird am Rathausplatz und in der Bahnhofstraße

An der Wedeler Bahnhofstraße sind aktuell zwei Unterschriften-Sammler im Auftrag des Demokratie-Busses aktiv, Küppers informiert und überzeugt ebenfalls. Auch die Wedeler Bettina Heck (67) und Holger Grunenberg (68) unterstützten das Anliegen und zählen zum Team „Rettet den Bürgerentscheid Wedel“.

„Die Gesamtkampagne ist Ende April in Kiel gestartet und lief nur langsam an“, gibt Heck ehrlich zu. Die Bus-Tour durch Schleswig-Holstein, das bundesweit einzige Land mit dieser Gesetzesreform, startete am 5. Juli.

„Rettet den Bürgerentscheid“: 10.000 Unterschriften sind geschafft

Mittlerweile sind jedoch bereits rund 10.000 Unterschriften eingegangen, davon gut 3000 durch den Informationsbus. Mindestens 20.000 Signaturen ist das Ziel, im Optimalfall weit mehr, da erfahrungsgemäß viele Unterschriften nicht anerkannt werden, wegen Unleserlichkeit der Schrift oder weil die Person doch nicht in Schleswig-Holstein wohnt.

Der Omnibus für Direkte Demokratie setzt sich für den Erhalt von Volksabstimmungen ein.. 
Der Omnibus für Direkte Demokratie setzt sich für den Erhalt von Volksabstimmungen ein..  © Frederik Büll

„Es sind elementare Rechte, die erkämpft wurden. Und diese sind von der Landesregierung einfach durch eine Änderung der Gemeindeordnung weggenommen worden. Das ist eine Unverschämtheit“, ärgert sich Heck, die sich seit drei Jahren im Landesverband von Mehr Demokratie einsetzt.

Auch die Wedeler Lokalpolitik hat den Omnibus schon aufgesucht

Wie steht es um die Politikverdrossenheit und das Vertrauen in die Demokratie? Laut einer aktuellen Insa-Umfrage gaben 43 Prozent von 10.000 Befragten an, Deutschland nicht mehr als demokratisch zu empfinden.

Zum Start der Omnibus-Aktion in Wedel waren auch Lokalpolitiker der SPD und die Ratsmitglieder Wolfgang Rüdiger (SPD) und Valerie Wilms von der Wedeler Sozialen Initiative (WSI) vor Ort. Die Bewegung hofft perspektivisch auch auf Volksabstimmung auf Bundesebene.

Wilms: „Diese Parteienverdrossenheit gibt es vollkommen zu recht“

„Es gibt eine Parteien-Verdrossenheit, weil die Menschen sich in den etablierten Großparteien nicht mehr wiederfinden. Und diese Parteien-Verdrossenheit gibt es vollkommen zu Recht“, sagt Wilms, die kürzlich nach Jahrzehnten bei den Grünen zur WSI wechselte. Küppers sprach eher von einer personenbezogenen „Politikerverdrossenheit“.

Das Bündnis zum Erhalt des Bürgerentscheids wird von mehr als 50 großen Organisationen wie etwa dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sowie weiteren Verbänden oder auch Parteien aus der Opposition in Schleswig-Holstein unterstützt. Auch der Grünen-Ortsverband St. Peter-Ording ist dabei, der sich damit gegen die Ausrichtung der eigenen Partei stellt.

Entscheidung zur Gesetzesänderung sei nicht nachvollziehbar

Die Entscheidung der Landesregierung empfinden die Demokratie-Befürworter als „Eingriff in die Demokratie“ und nicht nachvollziehbar: „Es heißt, dies sei ein spezielles Anliegen von Daniel Günther und er möchte das wohl auch durchpokern“, munkelt Grunenberg.

Etwa 40 Prozent der Bürgerentscheide gingen für das Anliegen der jeweiligen Bürgerinitiative aus und führten zu einer Aufhebung des Ratsbeschlusses. Verkraftbar, finden die Aktivisten. Laut Mehr Demokratie würden in den gut 1.100 Gemeinden Schleswig-Holsteins pro Jahr im Schnitt knapp 17,3 Bürgerbegehren eingeleitet. Etwa die Hälfte davon führe zum Bürgerentscheid, das heißt, es sind ausreichend gültige Unterschriften gesammelt worden.

Statistisch gesehen gibt es alle 125 Jahre einen Bürgerentscheid

Der Aufwand für Verwaltungen sei laut des Wedelers kein Argument, weil nicht massenweise Bürgerbegehren über kommunalpolitische Fragen gestartet werden würden. Statistisch gesehen werde pro Gemeinde nur alle 125 Jahre solch ein Entscheid durchgeführt.

Projekte würden auch nicht dadurch verlangsamt werden – im Gegenteil: Oft führe laut Grunenberg ein Aufbegehren der betroffenen Bürger schneller zu einer Kompromisslösung.

Wedel: Demokratie-Bus macht Halt am Rathausplatz

Neben der Straßensammlung – der Omnibus ist offiziell von 9.30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet – gibt es im Bio-Markt an der Bahnhofstraße 26 die nötigen Unterlagen und eine Sammelbox. „Das Informationsbedürfnis über kommunale Sachverhalte steigt in der Bevölkerung mit den Bürgerentscheiden“, sagt Grunenberg.

In Wedel geht es um das Baugebiet Wedel Nord – in ganz Schleswig-Holstein um die Rückkehr des „demokratischen Werkzeugs“ Bürgerentscheid. Und weil das eben alle Menschen im Kreis Pinneberg angeht, hält der Bus vom 30. August bis zum 1. September am Alten Markt in Elmshorn.

Weitere Informationen: https://rettet-den-buergerentscheid.de/