Wedel. Politik trifft klares Votum zur Abwahl von Wedels Bürgermeister Gernot Kaser. Valerie Wilms tritt zurück. Harte Kritik vom Personalrat.
Nachdem zuletzt in Wedel wegen der monatelangen Dauerkritik an der Amtsführung des Bürgermeisters Gernot Kaser (62) die Emotionen – vor allem im Internet auf Facebook – hochgekocht waren, war für die entscheidende Ratsversammlung am Gründonnerstag sogar eigens ein Ordnungsdienst engagiert worden.
Weit mehr als 250 Zuschauer, darunter etliche Rathaus-Mitarbeiter, verfolgten die Diskussionen zum Abwahlantrag – teilweise im Foyer vor dem Ratssaal. Doch alle Befürchtungen vor möglichen Zwischenrufen oder Störereien blieben unbegründet. Stadtpräsident Julian Fresch führte souverän durch die brisante Sitzung.
Bürgermeister Gernot Kaser: 38 von 39 Stimmen für Abwahl
Die anwesenden 39 Politiker entschieden sich mehr als deutlich für die Einleitung des Abwahlverfahrens gegen Gernot Kaser, der seit Mai 2022 von den Wedelern für eine sechsjährige Amtszeit als Bürgermeister gewählt worden war: Einzig Valerie Wilms von der Wählergemeinschaft Wedeler Soziale Initiative (WSI) stimmte bei 38 Ja-Stimmen gegen den Beschluss.
Die WSI war als einzige Ratsfraktion nicht Teil des vorab eingereichten interfraktionellen Antrags von CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP und den beiden Ratsmitgliedern der Linken gewesen. Doch auch die vier anderen WSI-Ratsmitglieder sprachen sich für eine Abwahl aus.
Nach dem Abwahlantrag: Geknickter Kaser verlässt Ratssaal vorzeitig
Der geknickt wirkende Kaser verließ noch während der laufenden Sitzung den Saal. Seine Amtsgeschäfte ruhen ab sofort bis zum Bürgerentscheid, der am 9. Juni parallel zur Europawahl durchgeführt wird. In der Mehrheit, die die Abwahl wünscht, müssen dann mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten sein. Das entspricht circa 5600 Stimmen. Scheitert die Abwahl, bleibt Gernot Kaser die folgenden vier Jahre weiter im Amt.
„Es geht um das Amtsverständnis des amtierenden Bürgermeisters in Wedel und nicht um die Person Gernot Kaser“, sagte die Grünenfraktionsvorsitzende Dagmar Süß, die die gemeinsame Begründung des über alle Parteigrenzen hinweg getragenen Antrags vor dem Beschluss vortrug.
Abwahl des Bürgermeisters in Wedel: Appell für mehr Fairness im Umgang miteinander
Dabei war es ihr wichtig zu betonen, dass „ehrverletztende Angriffe auf Herrn Kaser“ auf Facebook oder anderswo gar nicht gehen würden. Doch es sei genauso unerträglich, „was sich Ratsmitglieder, die für die Stadt ehrenamtlich in ihrer Freizeit tätig sind, gerade zurzeit auf Facebook für herabsetzende Äußerungen und Unterstellungen gefallen lassen müssen“. Jeder solle dabei in sich gehen.
Kaser habe sein Versprechen von „frischem Wind und klarer Kante“ nicht halten können, sondern „aus unserer Sicht auf ganzer Linie versagt“. Der Bürgermeister habe laut der Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein „nicht das Sagen“ in der Stadt. Auch die bereits mehrfach öffentlich gewordenen Kritikpunkte an Gernot Kaser waren Teil der Rede.
Vorwurf: Gernot Kaser bereite sich nicht ausreichend vor
„Eine offene Kommunikation findet zwischen den politischen Vertretungen und dem Bürgermeister nicht statt. Ein vertrauensvoller Austausch, im Dialog gemeinsam Lösungen zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen zu erarbeiten - ebenfalls Fehlanzeige“, konstatierte Süß.
Er habe den Rückhalt im Rat verloren und sei oft nicht sprech- und auskunftsfähig, „weil er sich nicht ausreichend vorbereitet und die Angelegenheiten inhaltlich nicht durchdringt“, meint die Grünen-Politikerin. Das Verhältnis zwischen Politik und Bürgermeister sei zerrüttet.
„Maulkorb-Erlass“ für Mitarbeiter gegenüber Ratsmitgliedern
Es ging unter anderem auch um dessen Personalführung in der Verwaltung, die zu schlechten Beliebtheitswerten unter den Mitarbeitenden des Rathauses geführt hatten. Laut Süß seien „willkürliche, intransparente Entscheidungen“ oder „unzuverlässiges, verletzendes und respektloses Verhalten“ Kasers kritisiert worden. Und etwa auch eine fehlende Selbstreflexion. Oder der „Maulkorb-Erlass“, der es Verwaltungsmitarbeitern verboten hatte, direkt mit Ratsmitgliedern sich über Sachverhalte auszutauschen.
Zum Ende richtete sich Süß direkt an die Wedeler: „Die endgültige Entscheidung liegt in Ihren Händen. Wir als ebenfalls von Ihnen gewählte politische Mitglieder des Rates werden das Ergebnis als demokratische Entscheidung selbstverständlich respektieren und danach handeln.“
Gernot Kaser prangert Berichterstattung an – und verweist auf leidende Familie
Kaser sprach in seiner Rede davon, dass die letzten „zwei Jahre beispiellos“ gewesen seien. Er spielte auch auf die Berichterstattung der „klassischen und sozialen Medien“ an, die zu diesem Bild in der Öffentlichkeit geführt hätten. „Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagte er.
Gerade die Bürgernähe sei stets einer seiner wichtigsten Punkte. Dabei würden ihm Fragen gestellt werden: „Herr Kaser, warum tun sie sich das an? Wie halten Sie und ihre Familie das aus?“ Es sei schwer gerade. „Ich habe Fehler gemacht“, meinte er. Bei seinem Fokus, der auf Projekten lag, habe er die Mitarbeiter nicht wie gewünscht mitgenommen. „Das bedauere ich“, sagte Kaser.
Mitarbeiter haben Angst: Kaser davon „bis ins Mark erschüttert“
Dass Mitarbeiter Angst vor ihm hätten, habe ihn „bis ins Mark erschüttert“, da er ein friedlicher Mensch sei. Er möchte die Zeit für die Aufarbeitung nutzen, gemeinsam mit der Kommunalaufsicht, die gerade wegen eines Disziplinarverfahrens gegen ihn ermittelt. „Ich möchte dazu betonen: Ich bin mir keiner Schuld bewusst!“
Einige Kritikpunkte am Amtsinhaber sind bisher in nicht-öffentlichen Sitzungen erörtert worden, da bisher nur der Bürgermeister selbst die Ratsmitglieder von deren Schweigepflicht entbinden könnte (Paragraf 35 Gemeindeordnung). Sie dürfen nach wie vor nicht veröffentlicht werden. Dafür prangerte der Personalrat erhebliche Missstände in Kasers Amtsführung an.
Mitarbeiter bezichtigen Kaser der Lüge in der Öffentlichkeit
Rathaus-Mitarbeiter hätten Probleme im Umgang mit Kasers „Lügen“, die in der Öffentlichkeit getätigt würden. So habe er etwa im November in öffentlicher Sitzung nach den Gründen für die schlechten Umfrageergebnisse gefragt, obwohl diese ihm bereits aus einem nicht-öffentlichen Teil seit einer Woche bekannt gewesen seien.
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Probleme würden nicht erkannt werden, Lösungsansätze negiert. „Herr Kaser lässt sich nicht unterstützen und missachtet elementare Verwaltungsvorschriften“, so das Personalratsmitglied, das namentlich nicht genannt werden wollte. So versuche er, die Tagesordnung während einer Sitzung zu verändern oder erteile Arbeitsanweisungen, die rechtlich nicht haltbar seien.
Kaser wirke bedrohlich in Körpersprache Mimik und Stimmlage
Er wirke gegenüber Mitarbeitenden bisweilen in Körpersprache, Mimik und Stimme bedrohlich, wenn ihm der Inhalt des Gesprächs nicht gefalle. Mitarbeiter würden nur noch zu zweit in Unterhaltungen mit dem Bürgermeister gehen, „zum Schutz und um einen Zeugen dabeizuhaben“. Intern erarbeitete Ergebnisse würden extern überprüft werden, wenn jenes Ergebnis anders „erhofft“ gewesen sei. Auch das unentschuldigte Fehlen bei Terminen wurde angesprochen – und einiges mehr.
„Etwa ein Drittel der Mitarbeiter will gehen, wenn es die nächsten vier Jahre so weiter gehen soll“, so das klare Signal des Personalrats. Dies hätte „katastrophale Auswirkungen auf die Stadt“, weil die bleibenden zwei Drittel dies nicht auffangen könnten. Kaser selbst äußerte sich anschließend nicht mehr.
Valerie Wilms legt ihr Ratsmandat nieder – Applaus brandet auf
Nach erfolgtem Abwahlantrag verkündete Valerie Wilms (WSI), die Vorsitzende des Haupt und Finanzausschusses hatte sich stets klar hinter Kaser gestellt, ihren Rücktritt als Ratsmitglied. Sie sei aus dem politischen Ruhestand zurückgekehrt, um im Zusammenspiel zwischen Ehrenamt und Bürgeremeister notwendige Bedingungen zu schaffen, „um Wedel aus dem Schuldenloch der letzten Jahrzehnte heraus und auf einen zukunftsfähigen Kurs zu bringen“.
Doch nach anfänglicher Hoffnung mit einem neuen Rat nach der Kommunalwahl „kippte die Kommunalpolitik leider immer weiter ab in Richtung eines Kampfes gegen den Bürgermeister, der sicherlich kein Verwaltungsfachmann ist“. Jener habe – wie jeder andere – nicht immer fehlerfrei gehandelt. Diese Fehler rechtfertigten aber nicht, „mit einem letztlich von den Bürgern legitimierten Bürgermeister so menschlich fragwürdig umzugehen“.
Bürgermeister: Julia Fisauli-Aalto und Tobias Kiwitt vertreten vorläufig Gernot Kaser
Der Kampf gegen den mit klarer Mehrheit gewählten Kaser sei „die einzige Richtschnur für das politische Handeln der Mehrheit im Rat“. Dabei wolle sie nicht mehr mitmachen und lege daher ihr Mandat zum 31. März nieder. Nach diesem Satz brandete im gesamten Saal Applaus auf.
Zur neuen stellvertretenden Bürgermeisterin wählten die Politiker Julia Fisauli-Aalto (CDU), die bis zum Bürgerentscheid Kasers Amtsgeschäfte führt. Ihren Job bei der Großstadtmission, dort ist sie Referentin im Fundraising und in der Kommunikationsabteilung für die Jugendhilfe und Teilhabe tätig, kann sie in dieser Zeit auf fünf Wochenstunden reduzieren. Ihr Stellvertreter ist Tobias Kiwitt (Bündnis 90/Die Grünen). Er war Bürgermeisterkandidat 2022, erhielt jedoch zu wenig Stimmen, um die Stichwahl zu erreichen. Diese konnte Gernot Kaser mit gut 58 Prozent gegen Niels Schmidt gewinnen.