Elmshorn/Itzehoe. Wolfgang P. wurde an der Krückau in Elmshorn attackiert. Welche Gewalt der Angreifer ausübte und welches Glück das Opfer hatte.
Immer wieder bemühte Dr. Tobias Huter das Wort Glück. Und je öfter der medizinische Sachverständige vor dem Landgericht Itzehoe diese Vokabel benutzte, desto klarer wurde den Richtern der Schwurgerichtskammer, wie knapp das Opfer einer Messerattacke in Elmshorn davongekommen war.
Seit zwei Monaten muss sich Markus E. (27) für die Bluttat vor Gericht verantworten, die sich am 21. Juli 2023 hinter dem Rewe-Markt an der Westerstraße ereignet hat. Dort befand sich gegen 19.30 Uhr Wolfgang P. (36), der an der Krückau angelte.
Angeklagter soll Angler fünfmal in den Hinterkopf gestochen haben
Ihm soll der Angeklagte mit einem Klappmesser fünfmal in den Hinterkopf, einmal in die linke Schulter und mehrfach in den Rücken gestochen haben. Die Staatsanwaltschaft wertet dies als versuchten Mord und besonders schwere räuberische Erpressung, weil der 27-Jährige seinem blutüberströmten Opfer das Portemonnaie abnahm. Es enthielt 20 Euro.
Die Verletzungen des Anglers begutachtete Dr. Huter vom Hamburger Institut für Rechtsmedizin einen Tag nach der folgenschweren Attacke im UKE in Hamburg. Zu diesem Zeitpunkt war Wolfgang P. nach seiner Notoperation von der Intensivstation auf die normale Abteilung des Krankenhauses verlegt worden.
Landgericht Itzehoe: Bilder im Gerichtssaal waren nichts für schwache Nerven
Die Bilder der Verletzungen, die im Gerichtssaal gezeigt wurden, waren nichts für schwache Nerven. Der gesamte Hinterkopf des Mannes war übersät von tiefen Wunden. „Da war eine ordentliche Krafteinwirkung dahinter“, so der Rechtsmediziner. Mehrere der Einstiche seien bis zur harten Schädeldecke durchgedrungen und hätten quasi an ihr entlang gekratzt.
„Bei einem Stich wurde die Schädeldecke durchstochen, die Messerspitze drang ein bis zwei Zentimeter in das Hirngewebe vor“, so der medizinische Sachverständige. Bei diesem Stich sei die Messerspitze abgebrochen und im Schädel steckengeblieben. „Die Ärzte haben das auf den CT-Bildern sehen können“, berichtet Dr. Huter.
Beim Opfer der Messerattacke hätte es zu einer Hirnblutung kommen können
Die abgebrochene Spitze sei für die Operateure in dem Stichkanal nur schwierig zu lokalisieren gewesen. Letztlich habe sie von außen gefasst und herausgezogen werden können, ohne dass dafür eine Öffnung des Schädels erforderlich gewesen war.
Es sei „großes Glück“ gewesen, dass es nicht zu einer Hirnblutung bei dem Opfer gekommen sei. „Das wäre eigentlich zu erwarten gewesen.“ Nur dem Zufall sei es zu verdanken, dass durch den Einstich in das Gehirn keine Blutgefäße getroffen worden sind. Bei einer Hirnblutung wären laut dem Sachverständigen „schwerste neurologische Folgeschäden“ zu erwarten gewesen. Eine Hirnblutung hätte unter Umständen „auch relativ schnell zum Tod führen können“.
Für den Angler bestand nach der Messerattacke eine potenzielle Lebensgefahr
Das Opfer habe sich nicht in akuter Lebensgefahr befunden, jedoch seien die Verletzungen am Kopf sowie der tiefe Einstich an der Schulter potenziell lebensgefährlich gewesen. Zum einen aufgrund der Infektionsgefahr aufgrund der Verwendung eines nicht sterilen Werkzeugs. Zum anderen habe durch den Stich an der Schulter die Gefahr einer Eröffnung der Brusthöhle oder eines Durchstichs der Lungenflügel bestanden.
Laut dem medizinischen Sachverständigen sei durch den Einstich ins Gehirn auch „ein Verlust an Fähigkeiten des Gehirns“ zu erwarten gewesen. Es sei „reines Glück“ gewesen, dass dies beim Opfer nicht eingetreten sei. Wolfgang P. habe einen Tag nach der Operation einen geistig fitten Eindruck hinterlassen.
Mehrere, eher oberflächliche Verletzungen am Rücken würden Zeugnis davon ablegen, dass der Angreifer auch nach Abbrechen der Spitze mit dem stumpfen Messer weiter auf das Opfer einstach. Sieben solcher Verletzungen zeigte der Experte auf den Bildern.
Arzt schildert vor Gericht, was ihm das Opfer zum Tatablauf verriet
Weil der Mediziner mit dem Opfer noch vor der Polizei gesprochen hatte, war für die Richter auch wichtig, was Wolfgang P. über den Sachverhalt geäußert hat. Gegenüber dem Mediziner hatte er angegeben, hinter dem Rewe-Markt an der Westerstraße geangelt zu haben. Dann habe ihn ein Mann angesprochen, mit dem er sich kurz unterhalten habe.
Als es zu regnen begann, habe er sich gebückt, um seine Angelsachen zu verstauen. In diesem Moment habe er Schläge auf den Hinterkopf verspürt. Täter sei der Mann gewesen, der noch kurz zuvor mit ihm gesprochen habe und der noch neben ihm stand. Aus dem Augenwinkel habe Wolfgang P. noch ein Messer wahrgenommen, dann sei ihm das Blut ins Gesicht gelaufen. Er habe auch noch gesehen, wie der Täter weglief und von mehreren Personen verfolgt wurde.
- Messerattacke auf Angler: „Solche heftigen Wunden habe ich noch nie gesehen“
- Messerattacke auf Angler: „Ich habe gemerkt, wie mir Blut übers Gesicht lief“
- Brutale Messerattacke: Täter sticht Angler in Kopf, bis die Klinge abbricht
Dr. Huter hat auch den Angeklagten nach der Tat untersucht, der von couragierten Jugendlichen an der Flucht gehindert worden war. An der rechten Handinnenfläche des Elmshorners befanden sich eine tiefe Schnittverletzung und weitere oberflächliche Schnittwunden.
„Es handelt sich um die messerführende Hand“, so der Mediziner. Das Verletzungsbild bei dem 27-Jährigen sei typisch für ein Abrutschten und ein Greifen in das Messer. Markus E. habe bei der Untersuchung im Klinikum Elmshorn die Angaben zum Sachverhalt verweigert, jedoch angegeben, seit Jahren heroinabhängig zu sein und eine Substitutionstherapie mit Methadon zu absolvieren.
Drogensucht des Angeklagten könnte Tatmotiv für die Überfälle sein
Die Drogensucht des Angeklagten könnte auch ein Tatmotiv sein. Möglicherweise brauchte er Geld, um seine Sucht zu finanzieren. Laut einem Polizisten, der Markus E. nach der Tat gemeinsam mit einer Kollegin festnahm, habe der 27-Jährige sofort ungefragt von seiner Drogenabhängigkeit berichtet.
Demnach habe er um 11 Uhr am Tattag Methadon genommen und zwischen 12 und 16 Uhr drei bis vier Bier getrunken. Ein Alkohol-Test habe bei ihm einen Wert von 0,99 Promille ergeben. Bei der Festnahme fanden die Beamten bei Markus E. das Portemonnaie des Anglers und das blutverschmierte Tatmesser, bei dem die Klinge fehlte.
Zweiter Anklagevorwurf: Markus E. soll auch einen Freund ausgeraubt haben
Anfang April wird sich das Gericht mit dem zweiten Anklagevorwurf befassen. Markus E. soll am 8. Juli 2023, also 13 Tage vor der Attacke auf den Angler, einen Bekannten überfallen und mit einem Taschenmesser bedroht haben. Er forderte Geld und erhielt knapp 180 Euro. Auf der Flucht soll der Angeklagte die Mutter des Bekannten aus dem Weg geprügelt haben.
Im Anschluss an diese Beweisaufnahme hat voraussichtlich am 10. April der ehemalige Chefarzt der Klinik für Psychiatrie in Itzehoe, Professor Arno Deister, das Wort. Er ist mit einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung des Angeklagten beauftragt. Dabei wird es hauptsächlich um die Schuldfähigkeit des 27-Jährigen zur Tatzeit gehen.
Markus E. verweigert im Prozess die Aussage, will sich auch nicht begutachten lassen
Der hatte im Prozess die Aussage verweigert und auch die Untersuchung durch den Psychiater abgelehnt. Deister wird seine Expertise also auf die Aktenlage und den Prozessverlauf stützen müssen.
Er wird dem Gericht auch eine Empfehlung vermitteln, ob für Markus E. eine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie anstelle einer Haftstrafe infrage kommt. Auch der Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt für eine Drogentherapie steht zur Debatte.
Angeklagter war bereits 2018 zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt worden
Der Elmshorner war bereits 2018 nach einem Gewaltexzess gegen einen Bekannten zu vier Jahren Haft verurteilt worden, von denen er zwei Drittel abgesessen hatte. Auch damals war versuchter Mord angeklagt, verurteilt wurde er jedoch nur wegen gefährlicher Körperverletzung.
Aufgrund der einschlägigen Vorstrafe könnte auch eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Mit einem Urteil der Schwurgerichtskammer wird für den 24. April gerechnet.