Wedel. Wutreden, Schlammschlacht und harte Kritik an Wedels Bürgermeister. Warum sich die Ratsleute Sorgen um das Image der Stadt machen.

Ein Bürgermeister solle ein Sparringspartner für die Fraktionen sein. Diese Meinung vertrat Wedels Verwaltungschef Gernot Kaser (62, parteilos) vor seinem Amtsantritt im Wahlkampf 2022. Aktuell geht es in Wedel tatsächlich zu wie in einem Box-Ring. Seit Monaten schwelt ein öffentlicher Streit wegen der problematischen Zusammenarbeit zwischen Politik und Bürgermeister sowie der miesen Mitarbeiterstimmung im Rathaus– die verbalen Fäuste fliegen. Und auch einige Regeln des Fair-Plays scheinen längst außer Kraft gesetzt zu sein.

Die eigenen Verwaltungsmitarbeiter geben dem Chef die Schuld an der katastrophalen Stimmung in der Verwaltung, und auch die Politiker würden ihrer Meinung nach regelmäßig von den Alleingängen Kasers entgegen der vorherigen Absprache öffentlich vor den Kopf gestoßen werden.

Wedel: Frustrierte Politiker kritisieren Bürgermeister Kaser öffentlich

Sie können ihren Frust über die schlechte Zusammenarbeit kaum noch zurückhalten. Im Gegenteil: Die Attacken werden immer schärfer und könnten den Bürgermeister mit einigen Wirkungstreffern erheblich unter Druck setzen. So geschehen in der Ratssitzung am Donnerstagabend.

CDU Wedel: Die Fraktionsvorsitzende Julia Fisauli-Aalto führt im Stadtparlament die Christdemokraten an.
CDU Wedel: Die Fraktionsvorsitzende Julia Fisauli-Aalto führt im Stadtparlament die Christdemokraten an. © Oliver Vonberg | Oliver Vonberg

In der Ratsversammlung sah sich etwa Julia Fisauli-Aalto, Fraktionsvorsitzende der CDU, gezwungen, eine Brandrede zu halten. Die Tirade begann mit den klaren Worten: „Sehr geehrter Herr Kaser, so geht es nicht weiter!“ Sie habe nach der Kommunalwahl als Vorsitzende der größten Wedeler Fraktion ihre Arbeit voller Elan und Energie aufgenommen. Die ihr vom Wähler übertragene Verantwortung könne sie so nun nicht mehr tragen.

Wedel: CDU-Fraktionsvorsitzende greift Bürgermeister an

Deshalb verschaffte sie sich im Ratssaal ordentlich Luft: „Die meisten Schwierigkeiten werden im Verborgenen diskutiert. Weil wir als Rat nicht darüber sprechen dürfen. Zum Schutz für Sie, Herr Kaser. Aber wer schützt die anderen? Die Ratsleute müssen es aushalten, dass sie beschimpft werden. Gern auch auf Facebook. Weil sie keine Beweise liefern.“ Denn: Die Politik würde darauf zum Schutze Kasers verzichten.

Einer der Vorwürfe an den Bürgermeister – ebenfalls von vielen Rathaus-Mitarbeitern angeprangert – ist die bevorzugte Kommunikationsweise in Beiträgen, verbreitet in den Wedeler Gruppen in dem sozialen Netzwerk im Internet.

„Ich bekomme den Eindruck, Sie nehmen die Lage überhaupt nicht ernst“

In ihrer Rede zählte Fisauli-Aalto zudem wichtige „massiven Herausforderungen“ der Stadt auf, etwa die finanziellen Probleme oder den Sanierungsstau an Schulen und Sporthallen. Die Fraktionsvorsitzende: „Ich bekomme den Eindruck, Sie nehmen die Lage überhaupt nicht ernst. Und gehen das größte aller Probleme nicht an. Sie streiten lieber weiter mit den Ratsfrauen und Ratsherren um unterschiedlichste Themen, als sich um die Belegschaft zu kümmern.“ Die schlechte Rathaus-Stimmung sei das „Thema Nummer eins“ innerhalb der Stadt.

Wedel Ratsversammlung: Bürgermeister Gernot Kaser (obere Reihe, dunkles Jackett) wurde unter anderem von der CDU-Fraktionsvorsitzenden Julia Fisauli-Aalto (blaues Jackett) scharf attackiert.
Wedel Ratsversammlung: Bürgermeister Gernot Kaser (obere Reihe, dunkles Jackett) wurde unter anderem von der CDU-Fraktionsvorsitzenden Julia Fisauli-Aalto (blaues Jackett) scharf attackiert. © privat | Privat

Dabei bräuchte Wedel die Kraft aller Mitarbeitenden, um die Herausforderungen der Stadt zu meistern. „Sie verschärfen nachweislich die Situation. Sie können es nicht wegwischen, dass Sie ein großer Teil des Problems sind, egal wie viele Nebenschauplätze Sie auf Facebook eröffnen. Ein produktives Arbeiten für Wedel gestaltet sich für uns seit Monaten mehr als schwierig.“ An manchen Stellen sei es sogar unmöglich.

Es herrsche in der Verwaltung Anspannung, Angst und Verunsicherung: „Herr Kaser, stellen Sie sich endlich den Ergebnissen der Befragungen und zeigen Sie uns wirkliche Lösungen auf. In jedem Wirtschaftsunternehmen wären Ihnen die Aufsichtsgremien schon längst aufs Dach gestiegen.“

„Was haben Sie gemacht, damit sich die Lage entschärft?“

Die ersten schwachen Beliebtheitswerte seitens der Belegschaft gab es bereits im Mai 2023. Da sich Kaser laut Fisauli-Aalto in der Öffentlichkeit gern als „Macher“ präsentiere, frage sie sich: „Was haben Sie in diesen neun Monaten gemacht, damit sich die Lage entschärft?“

Auch nach den weiteren Personalumfragen sei in den vergangenen drei Monaten diesbezüglich nichts passiert. Zudem nutzte sie auch den Begriff „Scherbenhaufen“, vor dem Wedel stehen würde in Anbetracht einer bald zweijährigen Amtszeit Kasers.

Fehlender Informationsfluss zwischen Verwaltungschef und Politik

„Wenn die Stimmung so bleibt oder sich die Situation weiter zuspitzt, werden weitere Mitarbeitende gehen. Was wird dann mit den vielen Aufgaben passieren, die Wedel zu bewältigen hat? An welcher Stelle werden es die Wedeler Bürgerinnen und Bürger zuerst spüren?“, ärgerte sie sich.

Auch der mangelhafte Informationsfluss zwischen Bürgermeister und den politischen Ausschüssen wurde scharf kritisiert: „Informationen erhalten wir Ratsleute oft eher durch die Printmedien, Facebook oder durch den Austausch untereinander als von Ihnen direkt.“

Laut Fisauli-Aalto blockiere Kaser „das Vorankommen wiederholt“

Problematisch sei dabei dessen Dienstanweisung, da die Politiker deshalb nicht direkt mit den zuständigen Verwaltungsmitarbeitern sprechen dürften. „Wiederkehrende Unabgestimmtheit und das nachträgliche Einwirken auf Vorgänge und Prozesse ihrerseits, Herr Kaser, blockieren das Vorankommen wiederholt.“

Auch bei den Treffen im Zwei-Wochen-Rhythmus mit den Fraktionsvorsitzenden sei der Bürgermeister „selten“ dabei. Viele weitere Fragen beschäftigten die Politikerin bezüglich des Bürgermeisters zudem, beispielsweise: Warum es wiederholt zu „Falschaussagen“ käme oder warum nicht auf E-Mails geantwortet werde.

„Sind Sie in der Lage, die drängenden Probleme wirklich anzupacken?“

Abschließend fragte die CDU-Politikerin den Verwaltungschef: „Sind Sie willens und in der Lage, die drängenden Probleme der Stadt wirklich anzupacken und zu lösen? Wenn es schon an der Grundbasis scheitert? Angesichts Ihrer Verhaltensweisen der letzten Monate könnte man daran zweifeln, dass sie es ernsthaft für Wedel wollen.“

Neujahrsempfang Wedel 2024: Bürgermeister Gernot Kaser (2. v. r.) und Stadtpräsident Julian Fresch mit den Preisträgern der Ehrennadel.
Neujahrsempfang Wedel 2024: Bürgermeister Gernot Kaser (2. v. r.) und Stadtpräsident Julian Fresch mit den Preisträgern der Ehrennadel. © Stadt Wedel / Sven Kamin | Stadt Wedel / Sven Kamin

Kaser war sichtlich schockiert und sprach von Anschuldigungen, die „nicht wahr sind“. Er weise diese entschieden zurück, da die Christdemokratin keine Beweise für die Sachverhalte geliefert hätte. Es sei zudem eine Unterstellung, dass er viel über Facebook kommuniziere. Er würde lediglich „mal auf Facebook reagieren“.

Es gehe darum, sich an den Fakten zu orientieren, was in den zwei Jahren geleistet worden sei. „Und sie wollen den Bürgermeister in ein schlechtes Licht rücken“, sagte Kaser ebenfalls wütend, der diese Attacke als Respektlosigkeit empfand.

Stadtpräsident versucht hitzige Stimmung abzukühlen

Und dann griff er seinerseits die CDU-Fraktionsvorsitzende an: „Seitdem sie Vorsitzende sind, haben Sie noch keinen konstruktiven Vorschlag gemacht. Bis heute nicht. Es sind immer nur allgemeine Floskeln. Sie beziehen keine Stellung“, so Kaser.

Stadtpräsident Julian Fresch (CDU) versuchte, gleich zweifach die Debatte zu entschärfen, da ein Argument in der Sache stets stärker werde, wenn die Form gewahrt werde. Valerie Wilms (WSI) meinte, dass „Grenzen der persönlichen Beleidigung“ bereits erreicht worden wären.

Kaser habe die „Täter-Opfer-Umkehr“ perfektioniert

Doch die Stimmung schaukelte sich in den folgenden Wortbeiträgen immer weiter hoch. Angela Drewes (Fraktionsvorsitzende der Wedeler Sozialen Initiative) attestierte Kaser eine Perfektion in der „Täter-Opfer-Umkehr“. Es treibe sie verzweifelt um und sie könne die aktuelle Lage kaum noch ertragen.

Sie zog einen Vergleich zu den USA, wo viele „schräg drauf“ seien und spielte damit auf die zahlreichen Anhänger von Präsidentschaftskandidat Donald Trump an. Und dann spannte sie den Bogen zurück nach Wedel: „Alle wissen, was hier passiert.“ Und dann würden unter anderem Begriffe wie „Lügenpresse“ fallen. Drewes appellierte: „Halten Sie bitte einmal inne, schauen Sie bitte nur einmal in den Spiegel“. Sie wünsche sich einfach keinen Bürgermeister in ihrer Heimatstadt, der „um sich schlägt oder Dinge verbreitet“.

„Fake News“ beschädigen Ansehen der Wedeler Ratsleute

Auch Kasers Erklärungsversuche zur schlechten Stimmung im Rathaus blieben nicht ohne vehemente Gegenworte. Während er meine, die Mitarbeiter hätten möglicherweise Angst wegen anstehender Transformationsprozesse innerhalb der Verwaltung, hieß es von der Gegenseite, dass sämtliche Personalumfragen ein klares Bild zeichnen würden. Und zwar: Der Chef wird für die miese Stimmung verantwortlich gemacht.

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Durch „Fake-News“ würde auch der Rat beschädigt werden, es müsse aktiv gegengesteuert werden, meinte etwa Petra Goll (Bündnis 90/Die Grüne). Ihre Fraktionsvorsitzende Dagmar Süß forderte Gernot Kaser auf, „sich nicht auf Nebenschauplätze zu begeben“, sondern endlich auf die Mitarbeiter zuzugehen. Kaser glaube nach wie vor, dass alle anderen Schuld seien. Er möge bei diesem Aspekt doch bitte auch „bei sich anfangen“.

Stadtpräsident Julian Fresch sei „diffamiert und bloßgestellt“ worden

Andrea Petersen (SPD) sorgte sich um das Image der Stadt Wedel, da sie in nördlichen Gefilden immer wieder auf die aktuelle Situation angesprochen werde. Verena Heyer (Die Grünen) erinnerte den Wedeler Bürgermeister in der Debatte um Respektlosigkeiten daran, dass er es selbst gewesen sei, der Stadtpräsident Julian Fresch (CDU) für vermeintliche Fehler in der Kommunikation mit der Kommunalaufsicht öffentlich „diffamiert und bloßgestellt“ habe.

Generell seien zudem viele Prozesse ins Stocken geraten, auch weil vieles erst vom Bürgermeister direkt geprüft werden soll. „Das kann man ja so machen, aber dann muss man es auch alles wirklich schaffen“, sagte Heidi Keck (SPD). Daher verstehe sie persönlich nicht, weshalb sich Kaser gegen die Einführung eines ersten Stadtrats wehre, obwohl dieses Modell auch von der Beraterfirma PD empfohlen werde.

Stadtmarketing: Ratsherr prüft juristische Schritte gegen Bürgermeister Kaser

Neben vielen Diskussionen gab es unter anderem auch eine Entscheidung zum Streit um das Thema Stadtmarketing. Die von Kaser juristisch angefochtene Ratsentscheidung, dass die Stadt Mitglied bei Wedel Marketing werde, ist nun von den Ratsmitgliedern – wie bereits angekündigt – selbst wieder aufgehoben worden.

Doch auch bei diesem Dauerbrenner-Thema wegen einer mangelhaften Zusammenarbeit zwischen Kaser und seinem Stadtmarketing gab es Kritik. Ratsherr Jochen Lüchau (CDU) kündigte an, juristische Möglichkeiten zu prüfen, nachdem er fälschlicherweise in Kasers verbreiteter Begründung zum Einspruch gegen den Ratsbeschluss als Vorstandsmitglied von Wedel Marketing namentlich genannt worden war.

Dass vertrauliche Dokumente wie dieses und etwa auch das Schreiben der Kommunalaufsicht vom Bürgermeister im sozialen Netzwerk publiziert wurden, stieß den meisten Ratsmitgliedern ebenfalls übel auf.