Kreis Pinneberg. Viele Autofahrer hat es auf der desolaten Hauptstraße erwischt. Jetzt wird eine Sammelklage gegen das Land erwogen.

Die kaputte Hauptstraße in Appen sorgt für immer mehr Ärger bei den Anwohnern und Arbeitspendlern. Jetzt haben die vielen Schlaglöcher auf dieser stark befahrenen Landesstraße 106, auf der deshalb auf etwa zwei Kilometern Länge seit Jahresbeginn nur Tempo 30 km/h gilt, erhebliche Fahrzeugschäden verursacht.

Einer der Leidtragenden ist Appens Ehrenbürger und Initiator von „Appen musiziert“ Rolf Heidenberger, der mit seinem Auto in ein 15 Zentimeter tiefes Schlagloch gefahren ist.

Heidenberger: Das Schlagloch war 15 Zentimeter tief – das Rad eiert jetzt

„Das Rad eiert und ist völlig instabil“, klagt Heidenberger und fordert, dass der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr (LBV) ihm den verursachten Schaden von 1320 Euro ersetzt, weil der die L106 erst 2027 sanieren will. Doch der LBV weigert sich, das zu tun, und beruft sich auf die Sorgfaltspflicht der Autofahrer, die zur Not abbremsen oder gar anhalten müssten, um Fahrzeugschäden zu vermeiden.

Als er durch dieses fast 20 Zentimeter tiefe Schlagloch in Appen fuhr, sei ihm der Reifen geplatzt, berichtet Andre Treder aus Pinneberg. Er hat das Loch fotografiert. Foto: Treder    
Als er durch dieses fast 20 Zentimeter tiefe Schlagloch in Appen fuhr, sei ihm der Reifen geplatzt, berichtet Andre Treder aus Pinneberg. Er hat das Loch fotografiert. Foto: Treder     © Burkhard Fuchs | Andre Treder

„Zu beachten ist, dass die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit die Nutzenden nicht davon befreit, im Bedarfsfall deutlich langsamer zu fahren oder gar anzuhalten und/oder ein Schlagloch zu umfahren“, heißt es auf Anfrage des Abendblatts dazu. Somit bestehe für die geschädigten Autofahrer „kein Anspruch auf Schadensersatz“.

Es gibt weitere Geschädigte, die über geplatzte Reifen in Appen klagen

Dabei ist Heidenberger nicht der einzige Geschädigte auf dieser maroden Straße. Ulrich Kegel, der ebenfalls in Appen wohnt, berichtet, dass seine Frau Sabine Johannsen Anfang Dezember einen schweren Unfall dort hatte: „Der Reifen ist geplatzt, die Alufelge stark beschädigt und die Spur des Wagens musste neu vermessen und eingestellt werden“, erklärt Kegel. Reparaturkosten von rund 1100 Euro mussten sie dafür in der Fachwerkstatt bezahlen.

Und auch Andre Treder aus Pinneberg ist Mitte Dezember das Malheur passiert. „Ich fuhr in Richtung Uetersen, als mir in Höhe der Hausnummer 46 der Reifen platzte, weil ich plötzlich in ein fast 20 Zentimeter tiefes Schlagloch geriet.“ Treder hat die Ausmaße des Schlaglochs sogleich mit einem Handyfoto festgehalten. 350 Euro habe ihn die Reparatur gekostet, sagt er und verweist auf ein knappes Dutzend weiterer Autofahrer, deren Fahrzeuge in der Appener Hauptstraße ebenfalls stark beschädigt worden seien.

Sammelklage der Geschädigten gegen den LBV ist jetzt im Gespräch

Nun ist eine Sammelklage im Gespräch, die die Geschädigten gegen den LBV anstrengen wollen. Heidenberger hat bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet, der ihm gute Erfolgsaussichten für einen Rechtsstreit einräumt.

Alle drei genannten geschädigten Autofahrer können die Argumentation des LBV nicht nachvollziehen. „Wie soll ich das Schlagloch erkennen, wenn es dunkel und die Straße schwarz ist und es stark regnet?“, fragt sich Ulrich Kegel. „Als Autofahrer muss ich ja noch auf Fußgänger und Radfahrer achten und kann nicht ständig auf die Straße starren.“

Dieser Ansicht ist auch Andre Treder. „Wenn das Schlagloch voller Schnee oder Regen ist, ist es überhaupt nicht zu erkennen. Es ist eine bodenlose Frechheit, was der LBV hier mit uns macht.“ Statt die völlig marode L106 endlich zu sanieren, sollen erst andere Landesstraßen im Land repariert werden, „damit es nicht so schlimm wird wie in Appen“.

Polizeibericht bestätigt das Ausmaß des Schlaglochs auf der L 106

Heidenberger hat den Unfall genauestens dokumentiert und einen Schriftwechsel mit dem LBV angestrengt. Bislang ohne Erfolg. Aber er kann sogar einen Polizeibericht vom späten Abend des 30. November des Polizeireviers Wedel vorlegen, der ihm bescheinigt, dass das Schlagloch in Höhe der Hausnummer 59, in das er geraten war, „eine Gefahrenstelle“ darstellte.

„Vor Ort konnte das etwa 50 Zentimeter breite und 15 Zentimeter tiefe Schlagkoch durch uns auf Höhe der Apotheke in Fahrtrichtung Moorrege festgestellt und mittels Lübecker Hütchen abgesichert werden“, heißt es dazu in dem Vermerk der Polizeimeisterin, die seinerzeit vor Ort war. „Eine Gefahr bestand so vorerst nicht mehr“, schreibt sie weiter. Das Amt Geest und Marsch sei darüber informiert worden.

LBV verweist auf regelmäßige, tägliche Streckenkontrollen

„Zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht führen die Meistereien regelmäßig Streckenkontrollen durch, bei denen festgestellte verkehrsgefährdende Mängel umgehend gesichert oder beseitigt werden“, teilt der LBV weiter mit.

Dies sei aber an jenem verhängnisvollen 30. November nicht geschehen, versichert Heidenberger. Denn an jenem Tag hätten die Beschäftigten des LBV landesweit ihre Arbeit niedergelegt, um den Verdi-Gehaltsforderungen Nachdruck zu verleihen.

Appens Bürgermeister Lütje: „Es ist ein Trauerspiel“

Auch Appens Bürgermeister Hans-Peter Lütje fordert, dass „dieses Trauerspiel“ auf der L106, die von mehr als 7000 Fahrzeugen, darunter zahlreichen Schwerlastwagen, am Tag befahren werde, endlich beseitigt wird. Er selbst habe bislang „Glück gehabt“, dass er mit seinem Auto heil davon gekommen sei. Er und alle anderen Autofahrer müssten „höllisch aufpassen“, dass nichts passiert, sagt Lütje. „Die L106 hätte schon längst saniert werden müssen. Dass dies erst 2027 geschehen soll, da kann man nur mit dem Kopf schütteln.“

Doch solange müssen sich die Autofahrer, die durch Appen fahren, wohl noch gedulden. „Die Landestraße 106 ist bereits im Bauprogramm des LBV.SH aufgenommen und soll voraussichtlich 2026/2027 saniert werden“, teilt der LBV dazu auf Nachfrage mit. Im Erhaltungsprogramm, das im März 2023 veröffentlicht wurde, „ist die Maßnahme für das Jahr 2027 gelistet.“

LBV: Bis zur Sanierung der Straße gilt Tempo 30 auf der L106 in Appen

Weil zugleich auf Wunsch der Gemeinde der Kreuzungsbereich zur Kreisstraße 13 (Appener Straße Richtung Appen-Etz) umgebaut werden soll, wofür der Kreis Pinneberg zuständig ist, sei „eine Bündelung beider Maßnahmen aus finanziellen und baulogistischen Gründen“ geplant, was „eine umfangreichere Bauvorbereitung als ursprünglich vorgesehen“ bedeute, so der LBV weiter.

„Das Tempo-30-Limit auf der L106 bleibt bis zur Sanierung bestehen“, teilt der LBV weiter mit. „Der Straßenbetrieb nimmt diesen Straßenabschnitt täglich in Augenschein und wird bei einer weiteren Verschlechterung weitere Maßnahmen ergreifen.“ Infolge des Frost- und Tauwetters seien zudem „landesweit viele Schlaglöcher entstanden, deren Behebung längere Zeit in Anspruch nehmen wird.“

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Der LBV komme aber „als der Straßenbaulastträger seiner Verkehrssicherungspflicht dadurch nach, dass er mittels Beschilderung auf den schlechten Fahrbahnzustand vor Ort hinweist und zudem die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h herabgesetzt hat“, teilt die Landesbehörde mit und erklärt: „Der LBV.SH bedauert den derzeitigen, unbefriedigender Zustand vor Ort, kann aber nur im Rahmen seiner finanziellen und personellen Leistungsfähigkeit tätig werden.“ Er bitte daher die Autofahrer um eine angepasste, vorsichtige Fahrweise.

ADAC fordert den LBV auf, die L106 endlich grundlegend zu sanieren

Die Amtsverwaltung könnte aber durchaus die Straßensanierung von sich aus selbst in Angriff nehmen, so der LBV weiter. „Gegen diese Lösung bestehen grundsätzlich keine Einwände.“ Das Land Schleswig‑Holstein würde dann die – auf Grundlage einer zu schließenden Baudurchführungsvereinbarung mit Festlegung des Sanierungsumfangs – entsprechenden Kosten tragen. „Eine Vorfinanzierung durch die Gemeinde/ das Amt wäre nicht notwendig.“

Damit wäre aber die Amtsverwaltung völlig überfordert, erteilt Appens Bürgermeister Lütje dieser Idee eine klare Absage, die der damalige Amtsdirektor Rainer Jürgensen im Frühjahr dieses Jahres kurz vor seiner Pensionierung ins Gespräch gebracht hat.

Die Gemeinde Appen bekommt in dieser Sache Zuspruch vom ADAC. Deren Sprecher in Kiel, Rainer Pregla, sagt: „Diese Flickschusterei auf der L106 in Appen muss ein Ende haben.“ Der LBV könnte sich nicht damit aus der Affäre ziehen, dass er eine besonders achtsame Fahrweise von den Autofahrern verlangt. Diese Straße müsste möglichst bald grundlegend saniert werden und dies dürfe nicht bis 2027 warten, fordert der ADAC-Sprecher. Auch wenn nach Untersuchungen des Automobilclubs wohl für etwa 70 Prozent der Straßen in Schleswig-Holsteingelte, dass sie in einem „maroden Zustand“ sind.