Rellingen/Quickborn. Elektroningenieur der DB aus Rellingen hält Oberleitungsbau an AKN-Strecke für falsch. So reagiert das Unternehmen auf die Kritik.

Nachdem das den beiden Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehörende Bahnunternehmen AKN jüngst mit der Botschaft überrascht hat, dass die Bahnstrecke Eidelstedt – Bönningstedt – Hasloh – Quickborn – Kaltenkirchen frühestens in fünf Jahren elektrifiziert sein wird, meldet sich nun ein profunder Kenner aus Rellingen zu Wort. Und er widerspricht der Darstellung.

Bekanntlich hieß es, vor Ende 2028 könnte die S-Bahn ihren geplanten Betrieb nicht aufnehmen, weil bis dahin wichtige technische Voraussetzungen für die fast 1000 Strom-Oberleitungsmasten nicht fertiggestellt werden könnten. Das teilte das Bahnunternehmen aus Kaltenkirchen plötzlich Mitte Oktober mit.

Wegen Elektrifizierung soll Bahnstrecke der AKN erneut ein Jahr stillgelegt werden

Im Quickborner Rathaus wurde diese Nachricht – wie berichtet - mit Entsetzen aufgenommen. Denn dafür soll voraussichtlich von September 2024 an die AKN-Strecke zwischen den Haltestellen Burgwedel in Hamburg über Bönningstedt, Hasloh und Quickborn bis Ellerau erneut für etwa ein Jahr stillgelegt werden, weil erst dann die ersten Masten für die Oberleitungen errichtet werden könnten, hieß es aus Insiderkreisen.

Dabei war diese Strecke gerade erst von Mitte Januar bis Mitte Juli dieses Jahres für ein halbes Jahr komplett gesperrt. Tausende von Bahnpendlern aus Bönningstedt, Hasloh, Quickborn und Ellerau mussten auf Ersatzbusse umsteigen und Zeitverluste von etwa einer halben Stunde in Kauf nehmen.

Elektroingenieur aus Rellingen kennt sich mit Stromschiene und Oberleitung aus

Nun hat sich der Rellinger Elektroingenieur Wolfgang Heichen gemeldet mit der interessanten Botschaft, dass diese baulichen Verzögerungen gar nicht nötig wären. Die Elektrifizierung der Bahnstrecke würde mittels einer Stromschiene viel schneller und weit vor 2028 zu realisieren sein, sagt der pensionierte langjährige Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG.

Heichen ist ein Experte auf diesem Gebiet und kennt sich sowohl mit dem Oberleitungsbau wie mit der Stromschiene gut aus. So hat der Rellinger nach der Wende Anfang der 1990er Jahre die Stromschiene für die S-Bahn in Ostberlin mitausgebaut. Und er war zuvor als Bevollmächtigter für die Deutsche Bahn damit betraut, die Bahnstrecke zwischen Harburg und Bremen mit Oberleitungen zu elektrifizieren. Heichen sagt: „Für Fernbahnverbindungen sind Oberleitungen das richtige Mittel.“ Im Nahverkehr, um den es sich ja hier beim S-Bahn-Projekt zwischen Hamburg und Kaltenkirchen handelt, gelte dies nicht.

Experte: Bau der Stromschiene während des laufenden Bahnverkehrs möglich

Seiner Ansicht nach ließen sich die elektrotechnischen Installationen für die Stromschiene viel leichter und kostengünstiger realisieren als es bei den Oberleitungen der Fall sei. „Und diese Arbeiten können während des fahrenden Bahnverkehrs erledigt werden“, sagt Heichen. Die AKN-Strecke müsste dafür gar nicht gesperrt werden.

Die Bahnpendler könnten also während des Ausbaus weiterhin ihre Ziele zwischen Hamburg und Kaltenkirchen mit dem Zug erreichen, erklärt der Diplomingenieur für Elektrotechnik die Vorteile einer Stromschiene.

Die AKN dürfte über die Triebwagen mit Stromschiene noch verfügen

Bei der AKN wiederum wären dafür sogar schon heute zum Teil die Voraussetzungen vorhanden. „Sie müssten noch nicht einmal neue Züge anschaffen“, sagt Heichen und verweist auf die AKN-Fahrten zum Hamburger Hauptbahnhof, die die AKN fünf Jahre lang zwischen Ende 2004 und Ende 2009 auf genau dieser Strecke angeboten hat.

Für einige tägliche Fahrten mussten damals die Fahrgäste nicht wie heute in Eidelstedt in die S-Bahn umsteigen, sondern konnten bequem im AKN-Zug sitzenbleiben, weil der neben dem Dieselantrieb auch über eine Stromschiene verfügte.

Experte: Die Brücken sind nicht hoch genug für den Oberleitungsbau

Experte Heichen sagt: „Eine Stromschiene spart Platz, ist während des Bahnbetriebes einzubauen und viel kostengünstiger als eine Oberleitung.“ Dafür müssten zwar auch sogenannte Richtwerke geschaffen werden, weiß er. Aber die seien viel kleiner und weniger aufwendig als die für die Oberleitung, weil eine Stromschiene nur zwischen 600 und 1200 Volt Spannung brauche, während in eine Oberleitung mit 15.000 Volt Spannung eingespeist würden.

Heichen zweifelt sogar, dass die vorhandenen Brücken entlang der AKN-Strecke hoch genug seien, damit die mit Oberleitungen ausgerüstete S-Bahn-Züge künftig darunter durchfahren könnten.

AKN-Sprecherin: Die Gleise müssen unter den Brücken abgesenkt werden

Tatsächlich müssen für die S-Bahn „die Gleise unter den Brückenbauwerken abgesenkt“ werden, bestätigt AKN-Sprecherin Maren Brandt. „Es werden aber keine Brücken abgebrochen.“, sagt sie. „Zum Erreichen der Durchfahrhöhe für die elektrischen Züge werden die Gleise unter den Brückenbauwerken abgesenkt. Das geschieht unter allen Brückenbauwerken, die über die Gleise führen.“

Die AKN-Sprecherin verweist auf den Planfeststellungsbeschluss zur Elektrifizierung der Bahnstrecke, der eben keine Stromschiene, sondern den Bau von insgesamt 954 Oberleitungsmasten vorsehe. „Die Lösung über die Stromschiene wurde in beiden Planfeststellungsverfahren immer wieder diskutiert und verworfen“, teilt sie dazu auf Nachfrage des Abendblatts mit.

AKN-Sprecherin: Für die Stromschiene ist es jetzt zu spät

„Die Stromschiene benötigt einen isolierten Oberbau mit Auflagerböcken an jeder achten Schwelle. Die Isolationsverhältnisse sind bei der AKN durch den umfangreichen Einsatz von Y-Stahlschwellen nicht gegeben“, so die AKN-Sprecherin.

Diese müssten ausgetauscht und zugleich im übrigen Bereich jede achte Schwelle durch eine sogenannte Bockschwelle, wie eine normale Eisenbahnschwelle genannt werde, die auf einer Seite etwas länger sei, zum Montieren des Stromschienenstützpunktes getauscht werden. Warum das aufwendiger sein soll als knapp 1000 Oberleitungsmasten entlang der Strecke zu errichten und die Gleise unter den Brücken abzusenken, erklärt sie nicht.

Weiter teilt sie mit, dass wegen der Stromversorgung der mit Gleichspannung zu betreibenden Stromschiene anstatt eines großen Umrichterwerks etwa acht bis zehn kleinere Gleichrichterwerke für die Energieversorgung geschaffen werden müssten. Die Gleichrichterwerke benötigten Platz und eine Bauzeit, die mit der Errichtung des jetzt geplanten Umrichterwerks in Kaltenkirchen vergleichbar sei, so die AKN-Sprecherin weiter. Dazu müsste im Bereich der Bahnsteige ein Schutzraum unter dem Bahnsteig geschaffen werden, damit Personen, die ins Gleis fielen, nicht auf die zum Bahnsteig abgewandte Seite flüchten könnten.

AKN-Sprecherin: Gefahrenpotenzial zu groß – Experte widerspricht

Zudem berge die im Vergleich zum bestehenden S-Bahn-Netz deutlich größere Anzahl an Bahnübergängen zusätzliches Gefahrenpotential, weil sich die Stromschiene in Bodennähe befände und bis an den Bahnübergang heranreiche, sagt Maren Brandt. Das würde die Gefahr erhöhen, dass Fußgänger aus Versehen oder durch illegales Betreten der Bahnübergänge in Kontakt mit den Stromschienen kämen.

„Das Projekt S21 befindet sich seit Anfang dieses Jahres im Bauzustand, dem ein rund zehnjähriger Planungs- und Genehmigungsvorlauf voranging“, so die AKN-Sprecherin weiter. „Eine Änderung wesentlicher Bestandteile des Projekts wie der Wechsel vom Bau einer Oberleitung zum Bau von Stromschienen würde dazu führen, dass die der Planfeststellung zu Grunde liegenden Planungen umfangreich geändert werden müsste und die Plangenehmigung damit unwirksam würde.“

Nochmals neue Planung würde den Zeitplan weiter nach hinten werfen

Der Zeitbedarf für eine dementsprechende Neuplanung sowie ein Verfahren zur Änderung der Planfeststellung würde „mit Sicherheit“ länger als fünf Jahre dauern, sagt sie. „Daher ist ein zeitlicher Vorteil bei einer solchen Änderung nicht zu erwarten. Im Gegenteil, es wäre mit einer zusätzlichen Verzögerung der Gesamtinbetriebnahme zu rechnen.“

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Experte Heichen hält das eher für Nebelkerzen-Taktik. Die Oberleitungen seien wegen der viel höheren Stromspannung gefährlicher als jede Stromschiene. Er glaubt, dass die Konzerne, die die Oberleitungstechnik lieferten, davon nicht mehr abweichen möchten, weil die ihnen eine erheblich höhere Gewinnmarge versprächen als die relativ einfachen Stromschienenanbauten.

Zur Frage, was allein der Oberleitungsbau für das mit 120 Millionen Euro angegebenen S-Bahn-Projekt koste, macht die AKN-Sprecherin trotz Nachfragen keine Angaben.