Pinneberg/Helgoland. Die Künstlerin Gisela Meyer-Hahn aus Pinneberg hört Farben. Auf der Nordseeinsel zeigt sie nun, wie extravagant das aussehen kann.
Sie hört und sieht gleichzeitig Farben. Eine Form von Synästhesie. Bei diesem Phänomen sind verschiedene Sinne miteinander verflochten. „Genetisch ist diese Fähigkeit in jedem Menschen angelegt“, sagt die Pinneberger Künstlerin Gisela Meyer-Hahn. Doch die meisten können diese Kopplung der Wahrnehmungen nicht mehr abrufen.
Ihre Fähigkeit nutzt sie jetzt für eine spektakuläre Aktion auf Helgoland. Am Wochenende, 7. und 8. Oktober, jeweils 20 bis 22 Uhr wird sie den Steilfelsen am Nordstrand der Insel mit Farb-Licht-Kompositionen in ein Kunstwerk verzaubern. Das Lichtkunstprojekt ist ihr Beitrag zum 50. Geburtstages des Kreiskulturverbands Pinneberg.
Gisela Meyer-Hahn beleuchtet Felsen auf Helgoland
Mit 65 Scheinwerfern, auf Paletten montiert, projiziert sie einen riesigen Notenschlüssel auf die Felswand. Dieser umschließt fünf helle Gesteinsschichten, die den Felsen wie fünf Notenlinien durchziehen. „Darin und in deren Peripherie zeigen sich alle analytisch und atmosphärisch erarbeiteten Farben meiner Lichtsprache in immer wieder neuen Gruppierungen“, sagt Gisela Meyer-Hahn, die auch Kuratorin im Deutschen Farbzentrum ist.
Sie ließ sich von Musiken und Texten inspirieren. Sie regten sie an, Synergien zwischen den Künsten zu schaffen. Die Musik von Claude Debussy, Oliver Messiaen, Johann Sebastian Bach, Vytautas Miskinis selbst ist nicht hörbar, sondern sichtbar. Nur die natürlichen Geräusche von Wind und Wellen sind zu hören.
Es soll kein Event werden wie bei einer Lasershow, sondern inszeniertes Licht. Dafür setzt Gisela Meyer-Hahn die ihr so eigene Lichtsprache ein. „Jeder gehörte Ton entspricht einem Farbton“, sagt sie. Alle Farbwerte sind in einem Lichtsteuerprogramm erfasst und können digital abgespielt werden. „Ich höre und sehe gleichzeitig Farbe.“
Pinnebergerin lässt Helgoland in neuem Licht erstrahlen
Schon als Kind kam die Designerin und freischaffende Künstlerin, die in Lauterbach/Hessen geboren ist, mit ihren Eltern nach Helgoland. Oft stand sie am Nordstrand nahe der Jugendherberge, wo der Starnd gegen den Felsen läuft. „Mit dem unterhalte ich mich schon seit Ewigkeiten“, sagt sie.
Nachts sei es kohlrabenschwarz, nur der Strahl des Leuchtturms streife alle paar Sekunden über den Kopf. „Als würde jemand über die Haare streicheln“, beschreibt Gisela Meyer-Hahn das Gefühl, das sie dabei empfindet.
Corona kam einem Berufsverbot gleich
Das Projekt entstand aus eigener Initiative und reifte schon, bevor Corona die Welt lahmlegte. „Ich wollte nicht auf die nächste Krise warten“, so die Lichtkünstlerin, die in Wiesbaden und Salzburg Gestaltung studierte und 1988 von Rheinland mit ihrem Atelier Farbton nach Pinneberg zog.
„Erst Corona-Pandemie, dann Energiekrise – das kam drei Jahren Berufsverbot gleich“, sagt sie. Finanziell lohnt sich das Projekt nicht. Die Fördermittel decken gerade mal die Kosten. Eintritt wird sie trotzdem nicht nehmen.
Lichtprojekt auf Helgoland braucht 25 Genehmigungen
Der Aufwand ist groß. „Ich brauchte insgesamt 25 Genehmigungen, unter anderem vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt, von der Luftschutzbehörde, der Unteren Naturschutzbehörde und vom Bundeskriminalamt“, sagt die Künstlerin.
Hinzu kommen Absprachen mit der Gemeinde Helgoland. Das schwere Equipment muss eine Woche vorher von Cuxhaven mit dem Frachter nach Helgoland verschifft werden. Das allein kostet schon 2000 Euro.
Gisela Meyer-Hahn hat schon 200 Lichtkonzerte gegeben
Auf der Insel muss alles mit Handkarren an den Strand transportiert und aufgebaut werden, erklärt Meyer-Hahn, die seit einem Skiunfall vor zehn Jahren, bei der sie sich die Schulter brach, nicht mehr schwer heben kann. Zwei Lichttechniker aus Bamberg helfen dabei.
Gisela Meyer-Hahn hat in der Vergangenheit unter anderem durch Windpark-Illuminationen, etwa in Uetersen, Dithmarschen oder Raa Besenbek, von sich Reden gemacht. In Pinneberg ist ihre Installation im Rosengarten zu sehen: eine Notenlinie aus farbigem Plexiglas. Es sind die Anfangsnoten des alten Walzers „Rose aus dem Holstenland“. 2010 und 2018 illuminierte die Lichtkünstlerin außerdem die Christuskirche. Mehr als 200 Lichtkonzerte hat sie schon gegeben.
Kunstwerk in Wedel verschollen und völlig zerstört aufgefunden
Ihr Material war lange Jahre Textil für Rauminstallationen. So überspannte sie in der Vergangenheit auch einen Bombentrichter auf dem Oberland auf Helgoland mit Tüchern und nannte die Installation „Nie wieder“. Ihre Kunst hat sich verlagert auf Farbe, Klang und Licht.
Ihre Lichtkunst ist flüchtig. „Lässt sich aber auch nicht zerstören“, sagt Gisela Meyer-Hahn mit Blick auf ein 200 Kilogramm schweres Kunstwerk, das in Wedel verschollen war. Die Auftragsarbeit wurde dann im Keller des ehemaligen Krankenhauses gefunden – komplett zerstört.