Norderstedt. Nina Graf kritisiert schlechte Bedingungen von Popkünstlern in Schleswig-Holstein. Was die Sängerin alles verbessern möchte.
Wie ist es um die Pop-Szene in Schleswig-Holstein bestellt? Gibt es genug Spielstätten, Veranstalter, Auftrittsangebote, Publikum? Können Musikerinnen und Musiker im nördlichsten Bundesland von ihrer Musik leben? Diese und weitere Fragen zu Schleswig-Holsteins Pop-Szene treiben Nina Graf um. Jetzt wurde die Norderstedter Musikerin „Netzwerk-Koordinatorin für Popmusik in Schleswig-Holstein“ des Landesmusikrats.
Dabei hat die Frau genug zu tun. Nina Graf ist Miu, Sängerin, Gitarristin, Bandleaderin, Singer-Songwriterin. 2019 legte sie das Doppel-Album „Modern Retro Soul“ vor. Finanziert hat die kreative Pop-Musikerin das Album mit Crowd-Funding. Jetzt folgt „Crime Alley“. Miu hat nicht nur eine wundervoll warm leuchtende Stimme, einen guten Groove auf der Gitarre und inhaltsreiche Texte. Die Kultur- und Medien-Managerin hat auch früh erkannt, dass ohne ein stimmiges Marketing-Konzept auch in der Musik kaum etwas geht.
Nina Graf: Auch in Norderstedt zu wenig Spielorte für Popmusiker
Und gerade das prädestiniert die Künstlerin aus Norderstedt für den Landesmusikrat in Kiel zur „Netzwerk-Koordinatorin für Popularmusik“. Sie nennt sich lieber Lobbyistin für Popmusik. „Wir haben erst einmal festgestellt, dass es viel zu wenig Informationen über die schleswig-holsteinische Popmusik-Szene gibt“, sagt Nina Graf. Niemand habe sich in Schleswig-Holstein jemals so richtig um die Popmusik gekümmert. Es gäbe viel zu wenig Spielstätten und wenn, dann gebündelt in Städten wie Lübeck und Kiel, eventuell noch Flensburg. Auch in Norderstedt finden Popmusikerinnen und -musiker nicht gerade viele Spielorte.
„Das ist nicht nur schlecht für die Pop-Szene, das ist auch schlecht fürs Publikum“, sagt Nina Graf. Zudem sei die Struktur undurchsichtig. „Nur wenig können von ihrer Musik leben, viele unterrichten auch an Musikschulen, Volkshochschulen, privat oder haben ganz artfremde Brotjobs“, hat die Norderstedterin recherchiert. Außerdem sei die Grenze zwischen Profi- und Hobby-Musikern fließend.
Mehr als 1000 Musikerinnen und Musiker leben in Schleswig-Holstein
Der Landesmusikrat zieht Zahlen der Künstlersozialkasse (KSK) heran, in der freiberufliche Künstlerinnen und Künstler sozialversichert sind, auch bildende und literarische Künstler wie Autoren und Journalisten. 1172 Musikerinnen und Musiker aus den Bereichen Pop-, Rock-, Jazz-, Unterhaltungsmusik und Musik-Ausbildung verzeichnet die Künstlersozialkasse in Schleswig-Holstein. Diejenigen, die eine Fest-Anstellung haben, sind anderweitig versichert.
„Ich weiß, dass Schleswig-Holstein ein tolles Potenzial an Pop-Musikerinnen und -Musikern hat, die aber teilweise gar nicht gebucht werden können, weil niemand von ihnen weiß“, sagt die Soulsängerin. Denn das Land zwischen Nord- und Ostsee hat im Vergleich zu anderen Bundesländern die zweitniedrigste Musikspielstätten-Dichte und eine der niedrigsten Förderquoten.
Schleswig-Holstein hat im Ländervergleich wenig Spielstätten
Eine Studie über die Dichte der Spielstätten in den einzelnen Bundesländern gibt es seit 2021 unter www.initiative-musik.de im Internet. Schleswig-Holstein liegt mit 1,7 Stätten pro 100.000 Einwohnern ziemlich weit abgeschlagen. Die höchste Dichte hat München mit 7,2 Spielstätten pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Hamburg mit 6,6. „Ich wünsche mir eine gesündere Infrastruktur, und dass Schleswig-Holstein Maßnahmen zur Nachwuchs-Förderung ergreift, auch durch das Schaffen von Übungs- und Auftrittsräumen“, sagt Graf.
Viele Popmusiker würden versuchen, über Social-Media-Kanäle bekannt zu werden, um Auftrittsangebote zu erhalten. Das aber sei schwierig, weil „es einfach zu voll ist“. Ihr kulturpolitisches Wissen nutzt sie, um für den Landesmusikrat Daten im Bereich der Popmusik zu sammeln, eine Datenbank aufzubauen und daraus resultierend eine Problemanalyse zu erstellen. Die ständige Bewegung in der Szene mit Band-Gründungen und -Auflösungen bedeute aber, dass die Datenbank stets aktualisiert werden müsse.
Graf lobt Open-Air-Festival Match Börner im Norderstedter Stadtpark
Doch wie erfahren die Musikerinnen und Musiker, dass es die „Netzwerk-Koordinatorin“ Nina Graf beim Landesmusikrat gibt? „Wir konnten bereits über ein Online-Treffen miteinander sprechen und die Idee bekanntmachen, im September soll ein zweites Treffen online oder in Präsenz folgen, vielleicht in Kiel oder auch in Norderstedt“, sagt Nina Graf.
Bei dem Treffen solle die Pop-Datenbank weiter gefüttert und geklärt werden, welche Bedarfe es gibt, wer überhaupt was wo macht. Zudem sei eine Website im Aufbau als Pool für all diese Fragen und Probleme.„Die Kommunen könnten auch mehr kleine Stadtfeste mit Bühnen für Popmusikerinnen und -musiker anbieten“, sagt Nina Graf und lobt das Open-Air-Festival Match Börner, das die Veranstalter Patricia Kahl und Tony Groß mit 13 Bands vor 4500 Gästen im Norderstedter Stadtpark geboten haben. Sie wollen ihr Festival bei norddeutschen Bands noch mehr bekannt machen. „Soviel Elan muss man umarmen“, freut sich Nina Graf über die Initiative von Kahl und Groß.
„Musikmachen und Kulturpolitik gehören bei mir zusammen“
Auch das Impuls-Festival am und im Norderstedter Kulturwerk sei gut für junge Kreative, ihre Musik und ihre Kunst, um sich zu präsentieren und zu vernetzen. „Das Impuls-Festival ist eine Plattform von jungen Menschen für junge Menschen, ein Ort, der individuelle Entfaltung ermöglicht“, schreibt die Kulturstiftung, die drei Musikpreise beim Festival auslobt und den Musik-Nachwuchs in der Region fördern will.
Nina Graf will ihre Auftritte demnächst reduzieren, um mehr Zeit für ihre kulturpolitische Arbeit zu haben. Ab Oktober geht sie mit ihrem neusten Album „Crime Alley“, so heißt auch ihre neuste Wein-Kollektion im Dreier-Set, auf Deutschland-Tour. „Musikmachen und Kulturpolitik gehören bei mir zusammen“, sagt Sängerin Miu. „Ich ärgere mich beispielsweise über schlechte Honorierungen und schlechte Strukturen, deshalb mache ich meinen Mund auf, um das zu ändern.“
Nina Graf: Popmusik ist in Schleswig-Holstein kaum ein Thema
Sie moniert auch, dass „Kulturetats generell zu klein sind, und dass die Konkurrenz nicht in anderen Kunstsparten liegt, sondern dass die Wirtschaft der Kultur zu viel Ressourcen abzieht.“
Gesellschaftliches und soziales Engagement habe ihr schon ihre Mutter vermittelt: „Sie gab mir mit, dass man Leute nicht ausschließt, sondern mitnimmt.“ Seit Jahren ist die Frau, die einst ihren Job in der Werbung schmiss, nach New York düste, um dort im legendären Club „The Bitter End“ Gitarre zu spielen und zu singen, im Vorstand des gemeinnützigen Vereins „RockCity“, Hamburgs Zentrum für Popularmusik, im Vorstand des Bundesverbands Pop und im Hamburger Künstlerinnen-Kollektiv „LadiesArtistsFriends“ aktiv.
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Ohnehin setzt sie sich für mehr Frauen in der Musik ein: „Männer buchen gern Männer und folgen immer noch Vorurteilen wie ‘Frauen machen nicht genug Stimmung’“.
Als Netzwerk-Koordinatorin klopft sie auch beim schleswig-holsteinischen Kulturministerium an, bei dem die Popmusik-Szene relativ unbekannt sei und nur wenig gefördert werden würde. Popmusik sei bei der Kulturförderung in Schleswig-Holstein einfach kaum ein Thema. „Ich habe jetzt mit dem Landesmusikrat eine Stimme, mit der ich die Szene lauter machen kann“, freut sich Nina Graf.
Die Netzwerk-Koordinatorin des Landesmusikrats Nina Graf ist unter graf@landesmusikrat.de per E-Mail zu erreichen. Unter www.landesmusikrat-sh.de oder www.ninagraf.de gibt es weitere Infos.