Pinneberg/Itzehoe. Die Frau erzählt vor Gericht, was unmittelbar nach dem Messerstich passiert ist. Warum die Plädoyers erneut verschoben werden mussten.
Sieben Monate drückt Jamal H. (22) mittlerweile die Anklagebank des Landgerichts Itzehoe. Und wieder dreht der Prozess um eine beinahe tödliche Messerattacke am Pinneberger Bahnhof eine Extrarunde. Am Donnerstag mussten erneut die Schlussvorträge verschoben werden – bereits zum zweiten Mal.
Verantwortlich war ein Beweisantrag der Verteidiger Lino Peters und Uwe Maeffert. Sie wollen noch einen weiteren Kripo-Beamten zu einer strittigen Zeugenvernehmung hören. Das Gericht gab dem statt, sodass der Zeuge in der nächsten Woche geladen wird.
Bahnhof Pinneberg: Messerstich nach Videodreh – Zeugin schildert Details der Tat
Am Donnerstag sagte kurz vor Prozessende mit Lydia A. (67) noch eine unmittelbare Tatzeugin aus. Sie war an dem 6. Juli 2022 um kurz vor 4 Uhr auf dem Weg zur Arbeit, als sie kurz vor dem Bahnhofseingang auf der Südseite eine lautstarke Auseinandersetzung vernahm.
„Da waren ganz viele Bauabsperrungen, sehen konnte ich nichts“, so die Zeugin. Sie habe große Angst gehabt. „Die haben irgendwas böses gemacht“, sei ihr klar gewesen.
Bluttat am Bahnhof: Zeugin hatte große Angst, setzte ihren Weg aber trotzdem fort
Lydia A. setzte dennoch ihren Weg fort. „Ich musste da vorbei, um über die Treppe oder den Fahrstuhl auf den Bahnsteig zu kommen. Ich nehme immer den ersten Zug, war auch knapp in der Zeit.“
Die 67-Jährige sah noch, wie sich zwei Gruppen trennten. Eine Gruppe ging einige Schritte in Richtung Quellental, eine kleinere Gruppe aus drei Männern blieb am Fahrstuhl zurück. „Einer zog sein T-Shirt hoch, da habe ich gesehen, dass er mit dem Messer geschnitten wurde.“
Der Stich war laut der Zeugin so tief, dass innere Organe sichtbar waren
Der Stich sei so tief gewesen, dass innere Organe sichtbar waren. „Ich habe auch einige Blutstropfen gesehen“, so die Zeugin. Einer der Begleiter sei dann zu der anderen Gruppe gegangen und habe geschrien „Was habt ihr mit meinem Bruder gemacht“.
Der zweite Begleiter sei bei dem Opfer geblieben und habe mehrmals gerufen „Leg’ dich hin“. Lydia A. berichtete weiter, wie sie schnell vorbeigelaufen sei und die Treppe zum Bahnsteig genommen habe. Dort habe sie eine Reinigungskraft aufgefordert, sofort einen Krankenwagen zu rufen, weil vor dem Bahnhof eine schwer verletzte Person liegen.
Zeugin: Ein aggressiver Mann wurde von seinen Begleitern zurückgehalten
Das Opfer sei ein sehr junger Mann mit Pferdeschwanz gewesen, seine Begleiter etwas älter. Die 67-Jährige erinnerte sich auch daran, dass sich in der zweiten Gruppe eine sehr aggressive Person befunden habe. „Er wollte sich losreißen, schrie irgendwas. Seine Begleiter haben ihn zurückgehalten.“
Die zweite Zeugin, Lisa A. (28) vom Kriminaldauerdienst, hatte am Bahnhof einen jungen Mann vernommen, der – laut seiner eigenen Aussage zufällig – bei den Geschehnissen dabei war. Er sei mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit gewesen und habe am Bahnhofseingang in einer Gruppe junger Männer einen flüchtigen Bekannten entdeckt.
Bluttat am Bahnhof Pinneberg: Angeklagter gibt Messerstich zu
Den Namen seines Bekannten konnte er laut Lisa A. nicht erinnern. „Mir kam der Verdacht, dass er etwas zurückhält.“ Und auch die Messerattacke will der Zeuge nicht gesehen haben. Er berichtete der Kripo-Beamtin nur von einer „Missstimmung“ – und plötzlich habe die verletzte Person auf dem Boden gelegen. Er habe dann erste Hilfe geleistet, so erzählte es der Zeuge der Kripo-Beamtin.
Jamal H. (22) wird in dem Prozess vorgeworfen, Mohmen A. (19) mit einem Stich in den Bauch lebensgefährlich verletzt zu haben – aus Ärger, weil dieser eingeschritten war und den Angeklagten von einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem weiteren Beteiligten abhalten wollte. Dabei habe er laut Anklage den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen. Angeklagt ist versuchter Totschlag.
Vor der Bluttat am Pinneberg Bahnhof wurde ein Rap-Musikvideo gedreht
Zehn junge Männer hielten sich zum Zeitpunkt der Messerattacke am Bahnhof auf. Die meisten von ihnen hatten zuvor an einem Dreh eines Rap-Musikvideos im benachbarten Bahnhofsparkhaus teilgenommen. Mit Ausnahme eines Hauptbelastungszeugen hatten die meisten Beteiligten angegeben, den fast tödlichen Messerstich nicht mitbekommen zu haben.
Nachdem der aus Pinneberg stammende Angeklagte zu Prozessauftakt geschwiegen hatte, ließ er seine Verteidiger im Laufe des Prozesses eine von ihm verfasste Erklärung verlesen. Demnach räumt Jamal H. den Messerstich ein, will jedoch in Notwehr gehandelt haben.
Angeklagter soll vor dem Stich in den Schwitzkasten genommen worden sein
Ein Indiz dafür könnte die Aussage des Hauptbelastungszeugen Andy T. sein, einem Hamburger Musikproduzenten. Er hatte in seiner mehrfachen Befragung vor Gericht angegeben, dass das spätere Opfer Mohmen A. den Angeklagten kurzzeitig in eine Art Schwitzkasten genommen hatte, um ihn von der sich anbahnenden körperlichen Auseinandersetzung abzuhalten.
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„Ziel der Verteidigung ist nach wie vor ein Freispruch“, so Verteidiger Lino Peters in einer prozessualen Erklärung am Donnerstag. Er reichte zuvor eine Wiedergutmachungsvereinbarung bei Gericht ein.
Demnach haben sich der Angeklagte und sein Opfer auf eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 5000 Euro geeinigt. Diese sei auch bereits erfolgt. Und: Das Opfer bekundet, die Entschuldigung von Jamal H. angenommen zu haben und „keinen Groll gegen ihn zu hegen“.
Bluttat am Bahnhof Pinneberg: Verteidiger streben einen Freispruch an
Sein Mandant habe nicht in Tötungsabsicht gehandelt, so Peters. Und er habe juristisch gesehen einen sogenannten Rücktritt verwirklicht, weil er nach dem ersten Stich nicht mehr weitergemacht habe. Sollte kein Freispruch zu erzielen sei, strebt der Anwalt laut seiner Erklärung „eine ein- bis zweijährige Bewährungsstrafe“ an.
Ob die Kammer da mitspielt, könnte nun am 4. August offenbar werden. Dann will der Vorsitzende Richter Johann Lohmann laut dem neuen Zeitplan das Urteil verkünden. Zuvor stehen am 2. August die letzte Zeugenvernehmung und die Schlussvorträge an.
Bluttat am Bahnhof Pinneberg: Haftbefehl gegen Angeklagten seit einem Jahr in Kraft
Die Kammer hatte bereits während des Verfahrens einen Antrag der Verteidiger, den seit einem Jahr bestehenden Haftbefehl gegen ihren Mandanten aufzuheben, abgelehnt – trotz der Einlassung des Angeklagten. Das könnte bedeuten, dass die Richter nach wie vor von einer Tötungsabsicht ausgehen.