Pinneberg/Itzehoe. Zehn junge Männer warten am Bahnhof auf die S-Bahn, als die Lage außer Kontrolle gerät. Woran sich einer von ihnen dann doch erinnert.

Die Aufarbeitung der Messerattacke vom Bahnhof Pinneberg – sie wird für die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe zur langwierigen Angelegenheit. Am Mittwoch, Prozesstag Nummer sechs, kam mit Marvin S. erst der dritte Zeuge der Geschehnisse vom 6. Juli vorigen Jahres zu Wort. Damals wurde der Hamburger Mohmen A. niedergestochen und lebensgefährlich verletzt.

Zehn junge Männer standen in den frühen Morgenstunden des Tattages auf einer Treppe, die zum Bahnhofstunnel führt. Die meisten hatten zuvor im benachbarten Parkhaus am Dreh eines Rap-Musikvideos mitgewirkt, dabei konsumierten die Beteiligten Alkohol und auch Drogen.

Pinneberg: Eskalation nach Videodreh – Zeuge sieht vieles, nur Messerstich nicht

Während der langen Wartezeit auf die S-Bahn, die nachts Betriebspause hat, soll die Stimmung gekippt und der Angeklagte Jamal H. (21) dem Kontrahenten Mohmen A. (19), genannt Mo, einen Messerstich in den Bauch versetzt haben.

Der Angeklagte, der sich wegen versuchten Totschlags verantworten muss, hat die Aussage verweigert – ebenso wie das Opfer, das wegen möglichen Drogenkonsums sich nicht selbst belasten muss.

Pinneberg: Hauptzeuge nach Messerattacke muss drittes Mal aussagen

Bleiben acht mögliche Zeugen übrig. Andy T., der Hauptzeuge der Anklage, hat bereits zwei Mal vor Gericht ausgesagt – und wird noch ein drittes Mal kommen müssen. Er ist bisher der einzige, der zugegeben hat, den Messerstich des Angeklagten beobachtet zu haben.

Justin W., der damals ein enger Freund des Angeklagten war und mit diesem nach dem Videodreh zu der Gruppe der am Bahnhof wartenden Männer hinzugestoßen war, will weder die Attacke noch ein Messer bei seinem Freund gesehen haben.

Zwei bis drei Flaschen Wodka wurden bei dem Videodreh konsumiert

Nun musste Marvin S. stundenlang Rede und Antwort stehen – und berief sich auf Erinnerungslücken. „Ich war schon sehr betrunken“, so der Zeuge. Zwei bis drei Flaschen Wodka hätten während des Videodrehs bereitgestanden, den Wodka hätten sich die Beteiligten in Becher abgefüllt. „Ich trinke nicht oft Alkohol“, entschuldigte Marvin S. seine Aussetzer.

Dafür, dass er bei der Polizei angegeben hatte, sich an so gut wie gar nichts mehr zu erinnern, förderte der Zeuge auf beharrliches Nachfragen der Prozessbeteiligten so einige Einzelheiten zutage. Er habe sich am Vorabend gemeinsam mit weiteren Bekannten bei Aaron N. in Pinneberg getroffen, der die treibende Kraft hinter dem Rap-Video gewesen sei.

Pinneberg: Rap-Musikvideo wird mit einem Handy im Parkhaus gedreht

Man habe dann einige Zeit bei einem Kiosk verbracht, ehe man in der Dunkelheit den Videodreh in dem Parkhaus begonnen habe. „Aaron hat gerappt, wir anderen haben uns zu der Musik bewegt.“ Gefilmt worden sei mit einem Handy. Wessen Gerät das war, wisse er nicht, so der Zeuge.

Das fertige Video will Marvin S. nie gesehen haben, „nur ein, zwei Szenen, auf denen ich zu sehen bin.“ Anschließend sei man gemeinsam zum Bahnhof gegangen, um zurück nach Hamburg zu fahren. „Wir hatten uns nicht informiert, wann die S-Bahn fährt, mussten länger warten.“

Bevor der Streit zur Schlägerei wird, greifen Beteiligte ein

Dort seien der Angeklagte und Justin W. („Justin war nicht mit guter Laune unterwegs.“) dazugestoßen. Schnell sei es zwischen Justin und einem Beteiligten zu einem Streit gekommen („Warum, weiß ich nicht.“), es habe sich eine Schlägerei angebahnt. „Wir sind dann alle schnell dazwischen getreten.“

Zu der Prügelei sei es dann nicht gekommen, „weil Mo angestochen worden war.“ Der Messerstich habe sich im Rücken des Zeugens abgespielt. „Ich habe Schreie gehört, dass Mo angestochen worden ist.“ Er habe sich umgedreht und das Opfer zur Treppe laufen sehen. „Er hielt sich die Hand vor den Bauch, ich habe gesehen, dass da irgendwas war.“

Pinneberg: Nach dem Messerstich laufen mehrere Zeugen einfach davon

Daraufhin sei er gemeinsam mit zwei weiteren Beteiligten weggelaufen. „Nach zwei bis drei Minuten wurden wir von der Polizei angehalten.“ Er sei stehen geblieben, die anderen beiden hätten versucht, sich in einem Gebüsch zu verstecken.

Den Angeklagten habe er an dem Abend zum ersten Mal gesehen, vor Gericht sei es das zweite Mal. „Sein Gesicht kommt mir bekannt vor, ich würde das dem Abend zuordnen“, so der Zeuge.

Pinneberg: Opfer der Messerattacke nach Videodreh zeigt Narbe am Bauch

Im Nachhinein – etwa einen Monat nach dem Krankenhausaufenthalt – habe er sich mit dem Opfer über die Tat unterhalten. „Mo hat mir die Narbe auf seinem Bauch gezeigt. Dann sagte er, er möchte über den Abend nicht reden.“

Der Prozess wird am Donnerstag mit weiteren Zeugenvernehmungen fortgesetzt. Noch sind darüber hinaus vier Prozesstage bis Ende März angesetzt. Vermutlich dürften angesichts der noch langen Zeugenliste weitere Termine dazukommen.