Tornesch. Abendblatt-Leser wird geblitzt. Nach Hinweis stellt der Kreis ein weiteres Schild auf – doch ein Eingeständnis soll das nicht sein.

Routinen beim Autofahren können tückisch sein. Wer jeden Tag dieselbe Strecke fährt, schaut vielleicht nicht mehr so aufmerksam auf die Straßenschilder. Und schon blitzt es. Doch was, wenn der Grund für den dann folgenden Bußgeldbescheid gar nicht sichtbar ist?

So erging es Abendblatt-Leser Jörg Langkabel. Der Heidgrabener wurde Ende November in Tornesch geblitzt. Nur warum, das war für ihn nicht ersichtlich. Denn aus seiner Sicht habe er sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde gehalten, sagt er.

Posse um Tempo-30-Schild in Tornesch – sichtbar oder nicht?

Erst nach einem Umweg wurde Langkabel klar: Vor dem Seniorenheim im Tornescher Zentrum gilt Tempo 30. Die Regelung war für ihn nicht nur neu, sondern schlichtweg nicht ersichtlich.

„Das Verkehrsschild ist aber für Autofahrer, die aus Richtung Ahrenloher Straße in die Friedensstraße einbiegen, nicht zu sehen“, sagt Langkabel. Grund genug für ihn, Einspruch gegen den Verwarngeldbescheid einzulegen.

Tornesch: Verkehrssicherheit ja, aber sinnvoll

In seiner Begründung, die dem Abendblatt vorliegt, schildert Langkabel nicht nur sehr detailliert den Abbiegevorgang, sondern macht auch deutlich, dass er gegen die Temporeduzierung vor dem Seniorenheim nichts einzuwenden habe.

„Ich bin absoluter Befürworter der Einrichtung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, wo sie notwendig sind“, schreibt Langkabel. Die Gegend um ein Altenheim müsse verkehrsmäßig geschützt werden. „Aber es muss so erfolgen, dass es sinnvoll ist.“ Ein Schild, das nicht zu sehen sei, bringe nichts.

Tempo-30-Schild vor Seniorenheim nicht richtig platziert?

Ein Argument, dass Langkabel vorbringt: Sein Auto sei mit einer Kamera ausgestattet, welche die Geschwindigkeit überprüfe und bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein akustisches Signal von sich gebe.

Dies sei aber nicht geschehen, die Kamera blieb stumm, schreibt Langkabel. Die Kamera habe das Schild also nicht erfasst. Für Langkabel ein weiterer Beweis, dass das Tempo-30-Schild falsch platziert und nicht zu sehen sei. „Auch bei späteren Fahrten konnte die Kamera dieses Schild niemals erfassen.“

Tornesch: 64 Autofahrer vor dem Seniorenheim geblitzt

Jörg Langkabel war nicht der einzige Autofahrer, der an diesem Tag in Tornesch geblitzt wurde. „Nach der Blitzeraktion an der Friedrichstraße in Tornesch sind 64 Fälle im Fachdienst Verkehrssicherheit des Kreises eingegangen“, sagt Kreissprecherin Katja Wohlers.

Wohlers bestätigt, dass die Tempo-30-Regelung in Tornesch relativ neu ist. „Das Verkehrsschild stand dort seit dem 28. September 2022.“ Es wurde also etwa zwei Monate vor der Blitzeraktion Ende November aufgestellt.

Schulen, Kitas und Seniorenheime haben Rechtsanspruch auf Tempo 30

Grundlage für die „Anordnung der Streckenbegrenzung auf 30km/h vor dem Awo-Heim Tornesch“ sei der sogenannte Schulweg-Erlass. „Danach haben Einrichtungen für besonders gefährdete Personen wie Schulen, Kindergärten und Seniorenheime im Nahbereich faktisch einen Rechtsanspruch auf diese verminderte Geschwindigkeit, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen“, sagt Kreissprecherin Wohlers.

Dass das Tempo-30-Schild aufgestellt wurde, hat also seine Richtigkeit. Aber ist es auch zu sehen? „Im Vorfeld hatten alle Beteiligten den Sichtbarkeitsgrundsatz als erfüllt bewertet“, sagt Wohlers. In der Praxis habe es aber einige Rückmeldungen von Verkehrsteilnehmenden gegeben, die zu einer erneuten Überprüfung geführt hätten.

Das Tempo-30-Schild, das nach Meinung von Abendblatt-Leser Jörg Langkabel für Abbieger von der Ahrenloher Straße, wie in diesem Fall, nicht sichtbar ist. Laut Kreis sei der Standort „nicht optimal“.
Das Tempo-30-Schild, das nach Meinung von Abendblatt-Leser Jörg Langkabel für Abbieger von der Ahrenloher Straße, wie in diesem Fall, nicht sichtbar ist. Laut Kreis sei der Standort „nicht optimal“. © Marvin Mertens

Kreis Pinneberg: Aufstellort des Verkehrsschildes nicht optimal

Das Ergebnis: „Der Aufstellort an der L107 war nicht optimal. Nach erneuter Erörterung ist dann am 9. Januar 2023 ein zweites Schild auf der linken Seite angeordnet worden, um für die Zukunft Zweifel auszuräumen“, teilt Wohlers mit.

Das zweite Verkehrsschild sorgte bei Jörg Langkabel für Freude. In einer E-Mail an die zuständige Bußgeldstelle, die dem Abendblatt vorliegt, schreibt er: „Damit zeigt das zuständige Verkehrsamt Einsicht.“

Tornesch: Zweites Verkehrsschild ein Eingeständnis?

Er gehe davon aus, dass nun kein Verwarngeld mehr erhoben werde, da das Aufstellen des weiteren Schildes ja ein Zugeständnis sei, dass das erste Schild nur unzureichend sichtbar gewesen sei. Doch Langkabel wurde enttäuscht. Schon wenig später trudelte ein Bußgeldbescheid bei ihm ein.

Er habe das Bußgeld von 60 Euro zwar bezahlt, sagt Langkabel, Verständnis habe er aber nicht. „Meiner Meinung nach ist das Aufstellen des zweiten Schildes ein klares Eingeständnis, dass eine Nachbesserung erfolgen musste.“

Tempo 30 in Tornesch: Vielen Autofahrern offenbar unbekannt

Seit er geblitzt wurde, fährt Langkabel in der Umgebung des Seniorenheims besonders vorsichtig, achtet darauf, wirklich nicht schneller als 30 km/h zu sein. „Seitdem bin ich bereits etliche Male von anderen Autofahrern provokativ überholt worden“, sagt er. „Das lässt mich vermuten, dass auch diese Autofahrer das Schild nicht gesehen haben.“

Dennoch, nach Angaben von Kreissprecherin Wohlers habe es infolge der Blitzeraktion in Tornesch bis heute nur einen Einspruch gegeben.