Quickborn/Itzehoe. Den dringenden Tatverdacht gegen Jens von P. erhält die Schwurgerichtskammer nicht aufrecht. Bleibt der Tod Andre Pionteks ungesühnt?

Es war kurz vor 16.30 Uhr am Freitag, als die Wende im Reiterhof-Mordprozess kam: Jens von P. (42) ist seitdem wieder auf freiem Fuß. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe erhält den dringenden Tatverdacht gegen den Hasloher nicht mehr aufrecht und hat den seit September 2020 gegen ihn bestehenden Haftbefehl aufgehoben. Damit ist sehr wahrscheinlich, dass der Angeklagte am Ende des seit elf Monaten andauernden Prozesses freigesprochen und der Mord an Andre Piontek – zumindest vorerst – nicht gesühnt wird.

Die Freilassung des Angeklagten hatte sich bereits vorige Woche angedeutet. Damals hatte der Vorsitzende Richter Johann Lohmann verkündet, dass die Kammer einen deutlich späteren Todeszeitpunkt Pionteks nicht mehr ausschließen wolle. Zu diesem Punkt war am Freitag Benjamin Ondruschka (37) als Sachverständiger geladen, der ranghöchste Rechtsmediziner Hamburgs und Leiter des Instituts für Rechtsmedizin. Es ging um den genauen Zeitpunkt, an dem Eulenhof-Besitzer Piontek in der Nacht zum 29. Juni 2020 erschossen wurde.

Reiterhof-Mordprozess: Handydaten lassen Zweifel aufkommen

Diese Frage ist wichtig, weil der Angeklagte Jens von P. nachweislich um 1.13 Uhr den Eulenhof verlassen hat. Der in dem Verfahren bisher eingebundene Rechtsmediziner Eric Dietz hatte anhand von Faktoren wie der Körpertemperatur des Toten, der Temperatur am Fundort und der Leichenflecke einen ungefähren Korridor von 21.12 Uhr bis 1.18 Uhr berechnet. Handydaten Pionteks legen jedoch nahe, dass er um 1.06 Uhr noch gelebt haben könnte.

Die Frage war, welche Auswirkung diese Annahme auf die Berechnung des Todeszeitraums hat. In einer Mail kommt Dietz zu dem Schluss, dass sich das Zeitfenster in diesem Fall auf den Zeitraum von 1.06 bis 1.18 Uhr verkürzen lässt. Sein Chef Ondruschka sieht das anders. Das sei zwar eine Möglichkeit, gebräuchlicher sei in diesem Fall jedoch die Anwendung der sogenannten bedingten Wahrscheinlichkeitsberechnung.

Schnelles Ende des Prozesses denkbar

Und die führe in dem Fall, dass das spätere Mordopfer um 1.06 Uhr noch gelebt habe, zu einer Verschiebung des spätestmöglichen Todeszeitpunkts nach hinten. Ondruschka hat für diesen Fall eine neue Zeitspanne errechnet, die nun zwischen 1.06 Uhr und 3.35 Uhr liegt. Die Genauigkeit dieser Berechnung gibt der 37-jährige mit 95,4 Prozent an, sodass es im Ausnahmefall auch einen leichten Spielraum nach vorne und nach hinten geben könnte.

Für den Angeklagten waren das gute Nachrichten. Je größer der Spielraum in dieser Frage ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der 42-Jährige wirklich der Täter ist. Seine beiden Verteidiger Jürgen Meyer und Jakob Struif hatten bereits nach den Ausführungen des Richters aus der vorigen Woche einen Antrag auf Haftprüfung gestellt. Über den wurde dann am späten Freitagnachmittag entschieden – mit dem glücklichen Ende für den Angeklagten.

Jetzt ist auch ein schnelles Ende des seit 17. März 2021 andauernden Prozesses denkbar, da nun ein Freispruch die logische Konsequenz ist. Noch sind drei Termine für den 14., 21. und 28. Februar anberaumt. Möglicherweise könnten bereits beim nächsten Termin die Schlussvorträge von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage folgen.

Gericht hat Zweifel an Aussage des Hauptbelastungszeugen

Ob es so weit kommt, ist aber noch unklar. So hätte die Staatsanwaltschaft noch die Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen, um doch noch die Schuld von Jens von P. zu untermauern. Allerdings hatte es sich im Laufe des Verfahrens herausgestellt, dass es nur zwei Umstände gibt, die den Angeklagten belasten: seine Anwesenheit auf dem Eulenhof im zunächst vermuteten Tatzeitraum und der Umstand, dass er um den Zeitraum des Todes von Andre Piontek leihweise im Besitz einer Waffe gewesen sein soll.

Der Zeuge, der letztere Angaben bei der Polizei gemacht hatte, machte vor Gericht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, weil in dieser Sache nun gegen ihn selbst ermittelt wird. Und auch der von ihm benannte Waffenbesitzer verweigerte die Aussage. Die Kammer hat nun angekündigt, dass sie Zweifel an der Aussage dieses Hauptbelastungszeugen hat.

Die Glaubwürdigkeit des Angeklagten, der den Mord an Andre Piontek von Beginn an bestritten hat, gewann Freitag durch die Angaben eines LKA-Beamten an Substanz. Torsten S. (51) hat die Standortdaten des Handys von Jens von P. im Tatzeitraum nochmals einer genaueren Prüfung unterzogen und stützt damit die Angaben, die der 42-Jährige zu Beginn des Prozesses gemacht hat.

Handydaten belegen von P.s Fahrt zum Eulenhof

Bereits Mitte Januar hatte der LKA-Mitarbeiter schon einmal dem Gericht Rede und Antwort gestanden und war dabei von den Verteidigern auf mehrere offenkundige Fehler in seiner Auswertung hingewiesen worden. Daraufhin hatte der 51-Jährige seinen Auswertebericht überarbeitet – es ist mittlerweile die dritte Version.

Anhand der Standortdaten des Mobiltelefons und der Standorte der Funkmasten auf der Strecke lässt sich belegen, dass Jens von P. am späten Abend des 28. Juni von seinem Wohnort Hasloh aus zum Eulenhof fährt, der an der Ulzburger Landstraße in Quickborn liegt. Dort trifft er um 22.02 Uhr ein, sein iPhone empfängt bis 22.18 in der Tatortfunkzelle Daten. Dann ist das Gerät nicht mehr erreichbar – laut Aussage des 42-Jährigen war es defekt und ist ständig ausgegangen. Als Nächstes loggt sich das Gerät wieder um 1.13 Uhr in diese Funkzelle ein, es sind eine Datenverbindung und eine eingehende SMS auslesbar.

Sieben Minuten später befindet sich das Handy dann in einer anderen Funkzelle, die einer Adresse am Harksheider Weg zugeordnet werden kann. Zu Florian V. war der Angeklagte nach eigenen Angaben nach seinem Besuch auf dem Reiterhof gefahren. Dort, so zumindest die Aussage des Hauptbelastungszeugen Florian V., soll der Angeklagte noch in der Tatnacht die Waffe zurückgegeben haben.

Eine andere Frage, die am Freitag dem zweiten LKA-Beamten Andre B. (35) gestellt wurde, ließ sich an diesem Tag nicht klären. So sind auf dem Handy des Opfers, das bislang nicht ausgewertet werden konnte, in der Tatnacht mehrere aufeinanderfolgende Internetverbindungen verzeichnet – die letzte um 2.18 Uhr mit einer Dauer von genau 6:17 Minuten. Handelt es sich dabei um eine aktive Nutzung durch das spätere Opfer oder automatisierte, vom Handy angestoßene Prozesse? „Beides ist möglich“, betonte der Zeuge.