Quickborn/Itzehoe. Gericht hält auch einen späteren Todeszeitpunkt von Andre Piontek für möglich. Damit wird unwahrscheinlicher, dass Jens von P. der Täter war.

Am 17. September 2020 wurde Jens von P. verhaftet, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Seit dem 17. März 2021 steht der Hasloher vor Gericht, weil er seinen besten Freund Andre Piontek in der Nacht zum 29. Juni 2020 auf dem Quickborner Eulenhof erschossen haben soll. Das Verfahren gegen ihn nahm Freitag nach mehr als zehn Monaten eine unerwartete Wende. Jetzt erscheint eine baldige Haftentlassung und ein Freispruch für den 42-Jährigen möglich – weil die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe ihre Position zum Todeszeitpunkt Pionteks geändert hat.

Laut dem bisherigen Ermittlungsstand wurde der 44-jährige Besitzer des Reiterhofs zwischen 1.06 Uhr und 1.19 Uhr erschossen. Der Zeitraum ergibt sich aus einer Handynutzung Pionteks um 1.06 Uhr und dem Gutachten des Rechtsmediziners, der mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit den spätesten Todeszeitpunkt auf 1.19 Uhr festgelegt hat. Der Angeklagte war ausweislich der Standortdaten seines Handys von 22.07 bis 1.12 Uhr und 52 Sekunden auf dem Eulenhof.

Am Freitag gab die Kammer eine Einschätzung zum Verfahrensstand – und der Vorsitzende Richter Johann Lohmann überraschte mit der Aussage, dass es „Spielraum nach hinten gibt“, was den Todeszeitraum angeht. Ein Grund für diese Aussage des Gerichts könnten Nutzungsdaten eines Apple-Handys des Toten sein. Laut den vom Provider Vodafone übermittelten Daten ist eine Internetnutzung des Gerätes um 2.18 Uhr verzeichnet, die 6,17 Minuten andauerte.

Handy konnte bisher nicht geknackt werden

Was dort genau passierte, ist unklar. Piontek könnte etwa über den Messengerdienst WhatsApp telefoniert oder im Internet gesurft haben. Möglich wäre aber auch, dass sich eine App auf dem Handy automatisch aktualisiert hat, also keine aktive Nutzung Pionteks stattfand. Der Entsperrcode des Handys ist nicht bekannt. Alle Versuche des Lka, das Gerät zu knacken, blieben bisher erfolglos.

Das Mordopfer könne „um 2 Uhr noch gelebt haben“, so Lohmann. Daher komme es aus Sicht der Kammer aktuell nicht mehr auf die genaue Zeit an, wann der Angeklagte der Eulenhof verlassen hat. Lohmann: „Allein damit wird nichts bewiesen.“ Der Angeklagte und seine Verteidiger hatten bisher die Richtigkeit der Standortdaten des Handys angezweifelt.

Wenn diese nicht mehr entscheidend sind, fällt einer von zwei Punkten weg, die den Angeklagten in dem Indizienprozess belasten. Für eine spätere Tatzeit hätte Jens von P. ein Alibi. Es bleibt der Waffenbesitz. Der 42-Jährige soll in der Tatnacht über eine Waffe verfügt und diese noch in der Nacht zurückgegeben haben. Weil gegen den Besitzer der Waffe und den Vermittler wegen Beihilfe zum Mord ermittelt wird, verweigern sie die Aussage. Was bleibt, sind ihre Vernehmungen bei der Polizei und die Auswertung von Chatverläufen zwischen Viktor S., dem Besitzer, und Florian V., dem Vermittler und Freund von Jens von P.. Mehrere Chats aus der Tatnacht wurden jetzt verlesen. Mehrfach fragt Viktor S. „Hast du sie?“, ehe Florian V. dies am frühen Morgen bestätigt und ein Treffen vorschlägt.

Zeugin schwänzte Gerichtstermin zum zweiten Mal

Freya N. (30), möglicherweise die letzte Geliebte Pionteks, hatte ebenfalls Kontakt zu Florian V. und die Polizei auf die Geschichte mit der Waffe aufmerksam gemacht. Am Freitag sollte sie erneut vor Gericht erscheinen – inzwischen zum fünften Mal. Zuletzt sagte sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus, weil sie angegeben hatte, von mehreren Männern bedroht und auch vergewaltigt worden zu sein. Die im Anschluss an diese Aussage geführten Ermittlungen der Polizei ließen Zweifel an den Angaben aufkommen.

So starke Zweifel, dass die Richter die Angaben dieser Zeugin für wertlos halten. „Auf diese Zeugin kann so gut wie nichts gestützt werden, vor allem nichts den Angeklagten belastendes“, so Richter Lohmann. Er hatte zuvor Chatverläufe zwischen Freya N. und Florian V. verlesen, die zwischen den Auftritten der 30-jährigen vor Gericht stattfanden und in denen sie mit dem Polizeischutz, den sie zwischenzeitlich erhalten hatte, prahlte und mehrfach log. Auch wurde klar, dass sich beide zwischenzeitlich getroffen hatten.

Freitag blieb die Zeugin dem Termin fern – bereits zum zweiten Mal. Erneut belegte sie das Gericht mit einem Ordnungsgeld und ließ sie nachmittags von der Polizei vorführen. Und erneut zeigte sieh Freya N. zunächst bockig, nahm erst nach Aufforderung durch den Richter ihren Kaugummi aus dem Mund. Relevanz für das Verfahren hatte ihre Aussage nicht. Der Prozess wird fortgesetzt.