Kreis Pinneberg. Wie lebt es sich im Hamburger „Speckgürtel“? In der dritten Folge unserer Serie zur Metropolregion geht es in den Nordwesten.
Das Hamburger Umland ist mehr als einen Tagesausflug wert. Die Randkreise bieten attraktive Reise-, Sport-, Kultur- und Freizeitangebote, die zunehmend auch von Hamburgern genutzt werden. Hier gibt es attraktive Kleinstädte mit verwinkelten Gassen, aber auch großartige Landschaften mit vielen einzigartigen Plätzen.
Für viele Bewohner der Großstadt ist das Umland auch die Chance, den Traum vom Wohnen im Grünen zu verwirklichen. Mieten und Immobilienpreise sind hier oft günstiger als in Hamburg – obwohl die Preise natürlich dem allgemeinen Trend entsprechend anziehen. In der Regel gilt: Je weiter entfernt von der Metropole Hamburg, desto günstiger sind die Immobilienpreise. Viele Städte und Gemeinden kommen dem allgemeinen Wunsch der Großstädter nach und weisen Bauland aus. Interessenten abermüssen sich stets beeilen: Werden neue Baugebiete angekündigt, stehen die Bewerber schnell Schlange.
Landkreise rund um Hamburg: Kreis Pinneberg
Das Hamburger Abendblatt stellt in loser Folge nun die Landkreise rund um Hamburg vor. Von A bis Z werden dabei die jeweiligen Attraktionen beschrieben. Die Leser bekommen dabei einen Überblick und merken schnell, wie die jeweilige Region tickt und was die Menschen dort bewegt. Auf diese Weise gibt es unzählige Hinweise auf Ausflugs- oder sogar Urlaubsziele, die es sich aufzusuchen lohnt.
In dieser dritten Folge geht es um den Kreis Pinneberg. Genau: um den, der immer herhalten muss für den schnellen, billigen Witz, als Projektionsfläche für Spott und Häme über alles Provinzielle. Und das zu Unrecht. Der Kreis Pinneberg steht für Weltklasse-Schiffsbegrüßungsanlagen, Weltklasse-Haferflocken, Weltklasse-Rosen, Weltklasse-Nanoforschung, Weltklasse-Geologie und noch viel Weltklassiges mehr. Und ganz nebenbei bemerkt: Historisch betrachtet sind Blankenese und all die anderen Hamburger Elbvororte auch Pinneberg, seine Herkunft kann man nicht verleugnen. In diesem Sinne: Willkommen bei den PIs!
A: Autokennzeichen sorgt für Häme
Am Anfang steht die Außenwahrnehmung: das Autokennzeichen. Rund 243.500 Kraftfahrzeuge sind im Kreis Pinneberg zugelassen, und ihre Fahrer sind dem Klischee nach die schlechtesten weit und breit. Kennzeichen PI – das ist Pinnebergs Image. Bedeutet es nicht Provinz-Idiot?
Vor allem die Kreisstadt muss Spott und Häme aushalten, schon so mancher Journalist auf der Suche nach der großartigsten Pointe hat sich an der angeblich Belächelnswerten abgearbeitet. „Hinein in diese Stadt, aus der viele andere hinauswollen“, schrieb ein „Zeit“-Autor in einer Art „Reisebericht“. Sein erster Eindruck von der Stadt: „Vor einem Sozialkaufhaus stehen elf Rollatoren, zwei Rentner und ein Campingstuhl. Die zwei Rentner streiten sich um den einen Campingstuhl.“ Böser geht’s kaum.
B: Rund 290 Baumschulen im Kreis Pinneberg
Unbestritten hat der Kreis Pinneberg internationale Reputation. Er gilt zum Beispiel als eines der größten zusammenhängenden Baumschulgebiete überhaupt. Rund 290 Betriebe gibt es, sie bewirtschaften eine Fläche von etwa 3500 Hektar und exportieren ihre Erzeugnisse in alle Welt. Wenn die Fachmesse für Baumschultechnik ihre Pforten öffnet, schauen auch Besucher aus China oder Australien vorbei.
Das Kuriose dabei: Wegen der vielen Baumschulen zählt ausgerechnet der Kreis in Schleswig-Holstein die meisten Bäume „in Erde“, der den mit Abstand geringsten Waldanteil hat. Im Gartenbauzentrum in Ellerhoop forschen Baumschuler gemeinsam mit Experten der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein unter anderem am klimawandelresistenten Stadtbaum der Zukunft.
C: Mit der Cessna über den Kreis Pinneberg
Für einen Eindruck vom großen Ganzen bietet sich der Blick von oben an. Mit einer Cessna 172 zum Beispiel. Der viersitzige Flugzeugtyp mit Propellermotor ist im Luftraum über dem Kreis Pinneberg so präsent wie kaum irgendwo sonst. Vom Flugplatz Uetersen/Heist an der Bundesstraße 431 heben die Maschinen ab.
Auf dem ehemaligen Militärgelände haben mehrere Flug- und Segelflugvereine ihre Heimat, stellen betuchte Privatpiloten ihre eigenen Flieger unter, bietet eine Flugschule Unterricht an und können Ausflügler Maschinen für Rundflüge chartern. Wer hier landet, macht das oft auch mit dem Auto oder mit dem Fahrrad, denn von der Terrasse des Tower-Restaurants aus lässt sich das Treiben auf dem Flugfeld mit seinen beiden 1000-Meter-Graspisten bei einem Kaffee gut beobachten.
D: Kreiskulturzentrum Drostei in Pinneberg
Die Drostei in Pinneberg ist das schönste Gebäude in einer Stadt, in der in den 60er- und 70er-Jahren viel historische Bausubstanz der Abrissbirne zum Opfer gefallen ist – weshalb dem damaligen Bürgermeister Hans-Hermann Kath heute der Spitzname Beton-Kath anhaftet. Vielleicht ist der 1767 errichtete Barockbau im Epizentrum der Kreisstadt sogar eines der schönsten öffentlichen Gebäude im Kreis überhaupt.
Einst Sitz des Landdrosten, Statthalter des dänischen Königs, ist das Backsteinhaus inzwischen Kreiskulturzentrum. Hier spielen Musikerinnen und Musiker, lesen Autorinnen und Autoren, stellen Künstlerinnen und Künstler aus. Und: Der Kreispräsident, höchster politischer Repräsentant des Kreises Pinneberg, hat hier, wie einst der Landdrost, immer noch ein Büro.
E: Rund 25 Kilometer Elbufer hat der Kreis
Auf einer Länge von 35 gewundenen Kilometern berührt der Kreis Pinneberg Hamburger Stadtgebiet, gut 25 Kilometer weit begleitet er die Elbe, die gen Nordsee fließt. Bei Flusskilometer 639 liegt in Höhe des Wedeler Kohlekraftwerks mit seinen beiden Schornsteinen die Grenze zu Hamburg, ungefähr bei Kilometer 665, etwas nördlich der Krückau-Mündung kurz vor Kollmar, fließt der Strom dann weiter in den Kreis Steinburg.
Fußgänger können ihm vom städtischen Wedel aus auf dem Landesdeich durch die fast menschenleere Wedeler, Haseldorfer und Seestermüher Marsch folgen. Von Wedel aus gibt es mehrmals täglich Schiffsverbindungen sowohl nach Hamburg als auch auf die andere Elbseite nach Stade und Grünendeich im Alten Land.
F: Auf dem Fahrradschnellweg in den Kreis Pinneberg
Es gibt viele Möglichkeiten, sich Hamburg zu nähern: Mit dem Auto über die A 7 und A 23. Von Pinneberg mit der S-Bahn. Von Elmshorn mit der Regionalbahn. Und aus Richtung Quickborn mit der AKN. Perspektivisch soll noch eine weitere, besonders umweltfreundliche Option hinzukommen: der Fahrradschnellweg.
Die erste von mehreren Routen in der Metropolregion Hamburg soll im Kreis Pinneberg gebaut werden, weil Gutachter hier das größte Potenzial ausmachen. Und so soll der geplante Fahrradschnellweg sein: von Elmshorn bis Hamburg 32 Kilometer lang, breit, möglichst kreuzungsfrei und mit Anbindung an die Bahnhöfe unterwegs. Wer die gesamte Strecke mit dem Rad führe, sollte eine halbe Stunde schneller am Ziel sein als über die herkömmlichen Radwege.
G: Grünes und Buntes in der Norddeutschen Gartenschau
Da blüht den Besuchern was: Die Norddeutsche Gartenschau in Ellerhoop, eine 18 Hektar große Parklandschaft, zählt zu den schönsten Deutschlands. Entstanden ist sie in den 50er-Jahren auf einem ehemaligen Baumschulgelände, auf dem der letzte Inhaber und ein Gehölzkundler ein Arboretum einrichteten, einen Baumpark. 1980 kaufte der Kreis Pinneberg das Gelände und eine benachbarte Fläche.
Seitdem wandelte sich der Park von einer reinen Gehölzsammlung für Fachleute hin zu einer blühenden Oase für die breite Öffentlichkeit. Rund 6000 unterschiedliche Arten wachsen in der Gartenschau, die in sieben Themengärten unterteilt ist. Ein jährlicher Höhepunkt im Gartenschau-Kalender ist im August die Lotosblüte, die mit einem Fest mit Musik und Vorträgen groß gefeiert wird.
H: Haferflocken und Müsli aus dem Kreis Pinneberg
Wenn es ein Produkt aus dem Kreis Pinneberg gibt, das nahezu jeder Mensch in Deutschland kennt, dann sind es Haferflocken. Die Peter Kölln GmbH & Co. KGaA wurde 1820 in Elmshorn gegründet und ist heute in siebter Generation im Familienbesitz. Interimsweise wird die Firma zurzeit vom früheren CDU-Landesminister Christian von Boetticher geführt. Das Werksgelände am Ufer der Krückau gehört zu den stadtbildprägenden Ensembles.
Das mittlerweile stark verschlickte Flüsschen hat nicht mehr die Bedeutung wie früher, als der Hafer von der Elbe her auf dem Wasserweg angeliefert wurde. Weitere bekannte Firmen sind der polnische Ölhandelskonzern Orlen (Star-Tankstellen), der seine Deutschlandzentrale in Elmshorn hat, und die Haustierbedarfskette Das Futterhaus.
I: Insel Helgoland gehört zum Kreis Pinneberg
150 Kilometer nordwestlich von Pinneberg liegt in der Nordsee eine Insel, die Auswärtige nie und nimmer mit dem Kreis Pinneberg in Verbindung bringen – Helgoland. Grund für diese in den frühen 1930er-Jahren geregelte Zuordnung ist, dass der Kreis Pinneberg damals als derjenige unter allen in Schleswig-Holstein erschien, der aufgrund seiner Nähe zu Hamburg die beste öffentliche Verkehrsanbindung versprach.
Von Hamburg aus ist das 1300-Einwohner-Eiland im Sommerhalbjahr täglich mit dem Hochgeschwindigkeitskatamaran „Halunder Jet“ (Halunder, eine Form des Friesischen, ist die traditionelle Sprache der Helgoländer) erreichbar, Schiffsverbindungen gehen außerdem von Büsum und Cuxhaven aus. Das Ausbooten bei der Ankunft ist nur noch bei einigen Fahrten notwendig.
J: Internationale Stars beim Summerjazz-Festival
Pinneberg ist nicht gerade die Heimat des Jazz, einmal im Jahr aber ist er hier zu Hause. Summerjazz im August gilt als eines der größten Musikfestivals Schleswig-Holstein, es lockt sogar die Hamburger in Scharen in die Stadt. 50 Bands spielen jedes Jahr an vier Tagen auf den Bühnen in der Fußgängerzone. Manche wie Silhouette and Vinx reisen extra aus Kalifornien an, und auch Gospel-Legende Janice Harrington war schon dabei.
Eintritt zahlen die Besucher freiwillig, und sie tun es gern. Der Summerjazz-Pin fürs Revers ist sozusagen die Quittung für eine Spende an den Summerjazz-Förderverein, der Anstecker aus Emaille hat jedes Jahr die Form eines anderen Musikinstruments. Das ruft Sammler auf den Plan, die für die ersten Exemplare aus dem Jahr 1996 tief in die Tasche zu greifen bereit sind.
K: Kreisstadt Pinneberg ohne Kreisverwaltung
Es gibt solche und solche Kreisstädte. Die einen sind Kreisstadt, weil sie es schon immer waren, diesen Titel nun mal haben und er auf ihren Ortseingangsschildern steht; Pinneberg mit seinen rund 43.500 Einwohnern ist so eine. Und es gibt solche, die es eigentlich wirklich sind, so wie Elmshorn, mit knapp 50.000 Einwohnern die größte Stadt im Kreis.
2011 ist die Kreisverwaltung aus der Pinneberger Innenstadt umgezogen ins Elmshorner Gewerbegebiet an der A 23. Dort standen die hochmodernen Büroräume des ehemaligen Telekommunikationsunternehmens Talkline leer. Vor drei Jahren hat mit dem Verkehrsamt samt Zulassungsstelle auch die letzte Kreisbehörde Pinneberg Richtung Elmshorn verlassen. Pinneberg bleibt der Titel – und der Kreistag, der dort noch regelmäßig tagt.
L: Naturschutzgebiet Liether Kalkgrube bei Elmshorn
Dem Tagebau sei Dank: Wo einst Düngekalk gefördert worden ist, bietet sich Besuchern heute eine einzigartige Kraterlandschaft – die Liether Kalkgrube auf dem Gebiet der Gemeinde Klein Nordende. Das Besondere daran sind die geologischen Schichten, die hier wenige Meter unter der eigentlichen Erdoberfläche zutage treten. Vergleichbare Strukturen liegen üblicherweise in sechs bis sieben Kilometer Tiefe.
An den steilen Felswänden kraxeln Ziegen. Im Eingangsbereich gibt es eine kleine Sammlung von Findlingen, die die letzte Eiszeit von Skandinavien nach Norddeutschland gebracht hat. Schilder erklären, wo sie gefunden wurden. Wer, statt in die Tiefe zu wandern, lieber den Überblick von oben behält, kann die Kalkgrube auf einem etwa 1,7 Kilometer langen Panoramaweg umrunden.
M: Möbel und mehr auf der Wohnmeile Halstenbek
Der Durchreisende ohne Blick für die Besonderheiten längs des Weges nimmt sie an der A 23 dennoch wahr: eine Anhäufung von Möbelhäusern, die über die Lärmschutzwand lugen. Halstenbek hat einen etwa einen Kilometer langen Abschnitt seiner Gärtnerstraße Möbelmeile getauft. Pardon, dieses Wort hört man hier nicht gern, Wohnmeile ist korrekt. Weil es eben nicht nur Möbelhäuser gibt, sondern auch: Möbelhäuser.
Und einen Unterhaltungselektronikgroßhandel, einen Babymarkt, einen Stoffladen und einen Autohändler. Der große Rest Halstenbeks zählt auch wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zu Hamburg zu den beliebtesten und entsprechend teuersten Wohnlagen im Kreis. Im Grenzgebiet zu Rellingen lädt der Krupunder See zum Bummeln ein.
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N: Größte Stadt Elmshorn ist "Supernormal"
Normal sind viele Städte, supernormal ist nur diese, die größte im Kreis Pinneberg: Elmshorn, knapp 50.000 Einwohner zählend. „Elmshorn ist eine normale Stadt, in der sich super leben lässt“, hat Bürgermeister Volker Hatje bei der Vorstellung der neuen Stadtmarke gesagt: „Normal ist das neue Super.“ Die Stadt mit ihrer Industriearchitektur befindet sich mitten in einem gesteuerten Umbruch.
Große Teile des Stadtkerns werden überplant, ein neues Rathaus soll gebaut werden. Das Kibek-Hochhaus, einst Sitz des bekannten Teppichhändlers, ist schon in eine hochwertige Appartementanlage verwandelt worden. Für andere Juwelen wie die Knechtschen Hallen, eine ehemalige Lederfabrik, gibt es zwar viele charmante Ideen, doch finden sich bislang keine finanzkräftigen Investoren.
O: Schwimmen im Naturbad Oberglinde
So wassernah der Kreis Pinneberg liegt: Baden zu gehen ist nicht überall eine gute Idee. Am Wedeler Elbstrand oder ein paar Kilometer flussabwärts an der Hetlinger Schanze kann man zwar prima liegen und beim Sonnen die vorbeiziehenden Schiffe zählen. Ins Wasser sollte aber niemand an der Elbe gehen, nicht mal nur mit den Füßen – akute Lebensgefahr!
Oft unterschätzen Schwimmer die Strömung und die Sogwirkung der Containerriesen. Für die Erfrischung in heißen Sommern gibt es im Kreis Pinneberg bessere Alternativen, etwa das Naturbad Oberglinde bei Moorrege. Die Hartgesottenen unter den Stammgästen aus der Umgebung kommen nicht nur, wenn die Thermometernadel die 25-Grad-Marke übersteigt. Legendär ist das traditionelle Anbaden kurz nach Neujahr.
P: Mit dem "Tiedenkieker" zur Elbinsel Pagensand
Mit seinem Abenteuerroman „Der Schatz von Pagensand“ hat Uwe Timm die winzige Elbinsel 1995 literarisch geadelt. Heute ist dieser Schatz vor allem unberührte Natur, denn seit 1998 ist das knapp sechs mal einen Kilometer kleine Eiland unbewohnt. Zuvor hatte hier eine Bauernfamilie gelebt; ihr Hof wurde aber für Aufspülungen im Zuge der Elbvertiefung benötigt.
Heute werden in den Sommermonaten nur noch Rinder zum Grasen auf die Insel gefahren, deren Hoheitsgebiet dreigeteilt ist: Der größte Teil gehört zum Kreis Pinneberg, ein kleinerer zum Nachbarkreis Steinburg. Und ein bisschen Pagensand ist sogar Niedersachsen. Vom Haseldorfer Hafen aus startet im Sommerhalbjahr regelmäßig das kleine Ausflugsboot „Tidenkieker“ zu Fahrten in Richtung Pagensand.
Q: Quickborn verwaltet gleich vier andere Gemeinden
Quickborn war im frühen 19. Jahrhundert, obwohl es nur rund 1000 Einwohner zählte, ein wichtiger Ort – zunächst als Haltepunkt für Postkutschen auf der Straße von Altona nach Kiel, der heutigen B 4; nach Eröffnung der Bahnlinie zwischen beiden Städten 1844 dann als Station. Die Bahnlinie existiert noch, die B 4 auch. Insbesondere Letztere durchschneidet die mittlerweile auf gut 20.000 Bürger angewachsene Stadt heute wie eine US-amerikanische Einfallstraße.
Die Kompetenzen Quickborns liegen heute anderswo. Im Rathaus hat Bürgermeister Thomas Köppl erkannt, dass Verwaltung Dienstleistung bedeutet. Sein Team verwaltet nicht nur die B-4-Anrainer Hasloh und Bönningstedt und die Nachbarin Ellerau im Kreis Segeberg mit, sondern auch Ascheberg am Plöner See.
R: Schloss, Galerie und Heimatmusem im Rantzauer See
Barmstedt ist mit seinen rund 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die kleinste Stadt im Kreis Pinneberg und seit 2011 auch dessen einziger staatlich anerkannter Erholungsort. Ein echter Fremdenverkehrsort also, insofern gibt es hier auch eine Touristinformation, die gerade eine Geschäftsstelle am Rantzauer See eröffnet hat. Der ist mit seiner Schlossinsel der Besuchermagnet.
Das denkmalgeschützte Gebäudeensemble aus dem 19. Jahrhundert darauf besteht aus Gerichtsschreiberhaus, Schloss, Amtsgericht und Gefängnis. Das Geschichtsschreiberhaus ist heute eine Kunstgalerie, das Amtsgericht ein Heimatmuseum mit spannenden Wechselausstellungen (zurzeit: Barmstedt als Drehort einer der ersten „Tatort“-Folgen), das Gefängnis ein Café. Nur das Schloss ist: privat.
S: Shoppen nach Lust und Laune im Stadtzentrum Schenefeld
Ein Einkaufszentrum von Großstadtformat, das gibt’s im Kreis Pinneberg auch: das Stadtzentrum Schenefeld. Der 1991 eröffnete Shoppingtempel an der LSE – der autobahnähnlichen Landstraße Schenefeld–Elmshorn – am Ortsausgang nach Pinneberg wirbt mit 100 Läden auf rund 32.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Unterm Dach: ein Spielcasino.
In die Jahre gekommen wirkt das sehr schicke Einkaufszentrum auch 30 Jahre später nicht, wenn auch zurzeit einige größere Flächen leer stehen. Ankermieter wie der Designoutlet-Discounter TKMaxx sorgen für unverändert viel Frequenz. Schenefeld, von der breiten LSE zerteilt und durch viele Neubauten zerfasert, sucht unterdessen nach einer neuen Mitte. Die Kommunalpolitik hat sich auf ein Stadtentwicklungskonzept verständigt.
T: Mit der Torfbahn durchs Quickborner Himmelmoor
Die in jeder Hinsicht kleinste Bahnverbindung in der Region ist die Torfbahn durchs Himmelmoor. Auf den Loren dieser Feldbahn wurde gestochener Torf eingefahren, bis es sich nicht mehr rechnete. 2018 war Schluss. Heute betreiben Naturschutz- und Technikenthusiasten die Bahn weiter, um Besuchern die Besonderheiten des Moores bei Quickborn zu vermitteln, das nun sich selbst überlassen ist.
Wer gerade an Herbst- und Wintertagen auf diese melancholisch-schöne Landschaft blickt, muss aber auch das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiter bedenken, die hier zum Teil zu Tode gequält wurden. Der Belgier Henri Goldstein, der viel später den Kontakt nach Quickborn suchte, fand und pflegte, war einer von ihnen gewesen. In seinem Namen soll eine Gedenkstätte eröffnen.
U: Umgehungsstraßen lassen auf sich warten
Mit Umgehungsstraßen, die den Autoverkehr von den Zentren der Städte und Dörfer fernhalten, haben sie es nicht so im Kreis Pinneberg. Immerhin hat die Kreisstadt jetzt eine, Westumgehung genannt. Hat vom Beginn der Planung bis zur Einweihung auch nur 50 Jahre gedauert.
Ganz so weit sind Tornesch und Uetersen noch nicht, hier hat das Verwaltungsgericht Schleswig Kreis und Land für die Planung der neuen Kreisstraße 22, die Entlastung bringen soll, gerade die Rote Karte gezeigt. Sind aber auch erst 40 Jahre ins Land gezogen. Wedel plant die Verlegung der B 431 lieber gar nicht mehr, seit klar ist, dass vom Bund kein Geld zu erwarten ist. Die größte Entlastungsstraße, die A 23 auf der Trasse der alten B 5, soll unterdessen verbreitert werden. Doch es regt sich Widerstand.
V: Vogelstation des Nabu in der Wedeler Elbmarsch
Bekassine und Austernfischer, Reiher- und Tafelente oder auch der Kiebitz sind westlich von Wedel zu Hause – und können an der Grenze von Wedeler und Haseldorfer Marsch aus nächster Nähe beobachtet werden. Seit 1984 unterhält der Nabu Hamburg hier seine Vogelstation. Ihre Holzbauten ducken sich in hohem Gras rund um eine Kleientnahmestelle, die in den 70er-Jahren für den Deichbau genutzt worden ist.
Heute sind die Gruben mit Wasser gefüllt. Hier sind Amateurfotografen mit langen Teleobjektiven vor ihren Spiegelreflexkameras häufig gesehene Besucher, aber auch Familien schauen gern vorbei. Wer keine eigene Profiausrüstung hat, kann sich Ferngläser ausleihen und aus Holzverschlägen heraus die Vogelwelt der Marsch aus der Nähe beobachten.
W: Willkomm-Höft – Schiffsbegrüßungsanlage in Wedel
Hunderttausende von Schiffen haben in beinahe sieben Jahrzehnten das Willkomm-Höft in Wedel passiert, und jeder Besatzung ist ein blechernes Willkommen durch die Schiffsbegrüßungsanlage zuteil geworden. 1952 ist der maritime Nomenklator in Betrieb gegangen. Am 40 Meter hohen, vollautomatischen Stahlmast vor dem Restaurant Neues Schulauer Fährhaus wehen dann Hamburg-, Schleswig-Holstein- und Deutschlandflagge sowie die Signalflagge UW („Wir wünschen gute Reise“).
Dazu schallen aus einem Lautsprecher die Nationalhymne des Herkunftslandes und ein Gruß in Landessprache. Mehr als 150 Hymnen und Texte sind im Archiv, dazu auf rund 17.000 Karteikarten Informationen über Schiffe. Klar, dass hier nur echte Kapitäne auf der Brücke stehen.
X: European XFEL – Röntgenlaser in Schenefeld
In einem 3,4 Kilometer langen Tunnel, der in Schenefeld endet, befindet sich eine Forschungsanlage der Superlative, die weltweit ihresgleichen sucht: der European XFEL. Die Abkürzung steht für X-Ray Free-Electron Laser, was so viel wie Freie-Elektronen-Laser mit Röntgenstrahlung bedeutet. Und der hat es in sich.
Die 2017 eröffnete Anlage erzeugt 27.000 Lichtblitze pro Sekunde, die milliardenfach so lichtstark sind wie die herkömmlicher Röntgenlaser. Das ermöglicht Forschern aus aller Welt bisher ungeahnte Möglichkeiten. So lassen sich nach Angaben von XFEL atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln, dreidimensionale Aufnahmen aus dem Nanokosmos machen, chemische Reaktionen filmen und Vorgänge wie die im Inneren von Planeten untersuchen.
Y: Unteroffiziertschule der Luftwaffe in Appen
Außer dem Autokennzeichen „PI“ ist im Kreis Pinneberg noch ein weiteres zu Hause: das „Y“ für die Dienstwagen der Bundeswehr. Mit der Unteroffizierschule der Luftwaffe gibt es am Rande Appens einen bedeutenden Standort. Die denkmalgeschützte Kaserne wurde 1935 von den Nazis als Fliegerhorst Uetersen gegründet.
Seit 1975 trägt die den Namen Marseille-Kaserne, benannt nach Hans-Joachim Marseille („Der Stern von Afrika“), einem Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg. Weil dieser Name nicht mehr zum modernen Traditionsbild der Bundeswehr passt, steht eine Umbenennung kurz bevor. Neuer Namensgeber ist Jürgen Schumann, der 1977 in Aden von palästinensischen Terroristen ermordete Kapitän der Lufthansa-Maschine „Landshut“. Er hatte hier fliegen gelernt.
Z: Rosenzüchter sind im Kreis Pinneberg zu Hause
Zum Schluss noch etwas Schönes: die Rose. Mit Rosen Kordes in Klein Offenseth-Sparrieshoop und Rosen Tantau aus Uetersen sind zwei bedeutende Züchter von Weltruf im Kreis Pinneberg zu Hause. Tantaus „Freedom“ etwa gilt nach Unternehmensangaben sogar als die meistverkaufte rote Rose der Welt. Beide Betriebe haben eine mehr als 100-jährige Geschichte, Kordes’ reicht bis ins Jahr 1887 zurück, Tantaus bis 1906.
Was gezüchtet wird, muss nicht nur hübsch sein, gut wachsen und Krankheiten trotzen, sondern auch gut riechen. Mitunter kommen Parfümeure zum Einsatz, um den Rosenduft in Worte zu fassen. Das Rosarium in Uetersen und der Rosengarten in Pinneberg sind bis heute sichtbare Zeichen für die lange Tradition der Rosenzucht in dieser Gegend.