Pinneberg. Elli Schmalfeldt-Krügerwar während des Zweiten Weltkrieges Schülerin der Pinneberger Helene-Lange-Schule. Sie erinnnert sich an Alarm.
Es ist dunkel im Bunker unter dem Fahlt, die Luft riecht muffig. Licht kommt nur von einigen Taschenlampen. Dicht gedrängt sitzen die Schüler auf einfachen Holzbänken und unterhalten sich. Eben standen sie noch anlässlich des Tags des Führers stramm auf dem Adolf-Hitler-Platz am Kriegerdenkmal vor dem Pinneberger Bahnhof, als es Voralarm gab.
Eine Sirene ertönte, ein wellenförmiger, schnell hoch und wieder tief werdender Ton. Es wurde hektisch, manche Schüler, die in der Nähe wohnten, wurden von ihren Eltern abgeholt, die anderen gingen in den Bunker unter dem Fahlt. Dann gab es Vollalarm – die schwere Bunkertür wurde geschlossen. Etwa 30 Schüler saßen dort, geschützt vor dem Luftangriff der Alliierten.
Diese Beschreibung entstammt den Erinnerungen von Elli Schmalfeldt-Krüger. Sie wurde 1930 geboren und ist seitdem Pinnebergerin. Sie erlebte den Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimatstadt mit. Das Abendblatt berichtete am 4. April über die Weltkriegs-Bunker im Pinneberger Stadtgebiet. Schmalfeldt-Krüger ist eine von denjenigen, die einst darin Schutz suchen mussten. Von einigen Bunkern sind heute teilweise noch die Eingänge zu sehen.
Schmalfeldt-Krüger war zu Kriegszeiten Schülerin der Helene-Lange-Schule, die es heute unter gleichem Namen noch immer gibt. In die Zeit des Nationalsozialismus wurde Schmalfeldt-Krüger hineingeboren, sie erlebte den von nationalsozialistischer Ideologie durchdrungenen Schulunterricht mit, musste die Jugendorganisationen der NSDAP durchlaufen.
Noch immer wohnt die 84-Jährige in Pinneberg. „Ich habe so viel erlebt, dass es auch für zwei Leben reichen würde.“ Sie lebt in einer Wohnung im Stadtteil Thesdorf, schon seit etwa 30 Jahren, ist viel mit dem Fahrrad unterwegs. „Das hält jung und elastisch“, sagt sie lachend. Seit 25 Jahren ist sie in zweiter Ehe verheiratet, ihr Ehemann floh 1956 aus der DDR. Aus erster Ehe hat sie eine Tochter.
Die Pinnebergerin lebte damals im elterlichen Haus an der Ludwig-Meyn-Straße. „Wir wussten, es ist Krieg: Vater ist an der Ostfront in Russland, viele Soldaten sind schon gefallen – Mutter weinte oft“, erinnert sie sich. Als Kind habe sie das alles aber nicht verstehen können. Wenn es wegen drohender Bombenangriffe Alarm gab in der Stadt, habe sie auch keine richtige Angst verspürt, erinnert sie sich. Die Menschen mussten damals häufig in die Bunker, Schmalfeldt-Krüger verband damit Normalität.
Die Kreisstadt wurde während des Zweiten Weltkriegs nie direkt bombardiert. Doch bei Angriffen, die Hamburg galten, wurden vereinzelt immer wieder Bomben über Pinneberg abgeworfen. Nach der Operation Gomorrha, einer Serie von Bombenangriffen der Alliierten auf Hamburg 1943, die vor allem zivilen Zielen galten, sei der Himmel über der Stadt rot gewesen, und es sei deutlich zu sehen gewesen, dass die Stadt in Flammen steht, erzählt die 84-Jährige.
Zum ersten Mal richtig Angst gehabt habe sie, als sie über der Pinneberger Au Tiefflieger sah, die dort auf den Bahngleisen Züge angriffen. Die Bahngleise verliefen schon damals mitten durch die Stadt.
Wenn es während der Unterrichtszeit einen Angriff gab, eilte Schmalfeldt-Krüger nach Hause, um dort einen privaten Schutzraum aufzusuchen. In vielen Häusern wurden damals Keller vertieft und die Decke verstärkt und abgestützt. Ihre Mutter habe immer eine Tasche mit wichtigsten Papieren gepackt gehabt, die in den Keller mitkam. Manchmal war es aber auch so, dass sie es nicht nach Hause schaffte, weil früher Vollalarm gegeben wurde. Dann suchten die Schüler der Helene-Lange-Schule den Schutzraum unter dem heutigen Schulhof auf.
In der Helene-Lange-Schule, mit fast 400 Schülern heute die größte Grundschule Pinnebergs, seien damals einige Lehrer stramme Parteigenossen gewesen. Ein Lehrer, der stets in Parteiuniform unterrichtete, habe eine ihrer Mitschülerinnen einmal am Ohr unter einem Klavier hervorgezerrt, so dass es einriss und stark blutete. Dann musste sie vor die Tür. Der Grund: Die Schülerin hatte sich vorm Vorsingen gedrückt. Schmalfeldt-Krüger vermutet auch, dass das Verhalten des Lehrers etwas mit den Eltern der Schülerin zu tun hatte, die seien Kommunisten gewesen.
Für sie als Kind sei das alles nicht nachvollziehbar gewesen. Anders als für die Nazis sei das Mädchen für sie eine ganze normale Mitschülerin gewesen. Wenn sie an den Vorfall denkt, schaudert es sie immer noch. Der Lehrer sei später an der Ostfront gefallen.
Durch die vielen Bombenalarme sei viel Unterrichtszeit verloren gegangen – bestimmt ein Jahr ihrer vier Grundschuljahre sei verschenkt gewesen, erzählt Elli Schmalfeldt-Krüger. Eines habe sie aus dem Krieg gelernt: „Nichts zählt mehr als die Freiheit.“ Sie habe Glück gehabt, dass sie so alt geworden ist. Einwohner, die den Krieg miterlebt haben, gebe es in Pinneberg nicht mehr viele. Für jüngere Generationen sei es aber wichtig, das Gespräch mit Zeitzeugen zu suchen. Das ist nicht mehr lange möglich. Viele ihrer Mitschüler von früher sind nach Amerika ausgewandert – in das Land, aus dem die Bomber kamen, wegen denen sie viel Zeit in Pinnebergs stickigen, dunklen und engen Bunkern verbrachten.