Für die Recherche zu ihrem neuen Buch tauchte Dagmar Seifert tief in ihre Familiengeschichte ein. Auch auf andere Weise beeinflusst ihre Familie das Schaffen der Schriftstellerin aus Groß Nordende.
Groß Nordende/Pinneberg. Wenn Dagmar Seifert für ein Buch recherchiert, dann richtig. Für ihren Roman „Der Winter der Libelle“, in der eine Frau aus guten Verhältnissen alles verliert und sich schwanger auf der Straße durchschlagen muss, schlüpfte sie 2004 selbst in die Rolle einer Obdachlosen. Einen Tag lang bettelte sie in der Hamburger Innenstadt Passanten an. Damit es authentisch herüber kam, arbeitete sie eng mit Verkäufern der Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ zusammen, die sie länger begleitete. „Ich hätte auch Platte gemacht, aber davon hielt mich mein Mann ab“, sagt die Autorin aus Groß Nordende.
Berührungsängste kennt die Schriftstellerin nicht. Sie redet offen, auch wenn es um ihr Privatleben geht. So erzählt sie von ihrem Vater, Journalist, Trinker und „im bürgerlichen Sinne sicherlich ein Versager“. Er sei während der Nazizeit im KZ eingesperrt, später zweimal im Gefängnis gewesen. Ein politischer Anarchist, der es, wenn er wütend wurde, auch mit der Polizei aufgenommen habe. Doch als Vater sei er fantastisch gewesen und ein Quell an Inspiration. „Bei uns zu Hause wurde immer viel geredet“, sagt Seifert. Auch gestritten wurde reichlich. Einig seien sich Mutter und Vater eigentlich nur in der starken Liebe zu ihrem einzigen Kind gewesen.
Das Intuitive habe sie von ihrer Mutter, erzählt Seifert. Ein streitbarer Mensch bis zu ihrem Tod mit 99 Jahren sei sie gewesen. „Und sie liebte schöne Kleider bis ins hohe Alter“, sagt die 59-Jährige. Ihr zum Gefallen trug Dagmar Seifert selbst Rock, wenn sie sie im Altenheim besuchte. Ihre Mutter hätte „Zigeunerblut“ in sich gehabt, sagt Seifert und fügt erklärend hinzu: „Meine Großmutter war ungarische Sinti.“ Und wie das fahrende Volk wechselten auch die Seiferts ständig ihren Wohnort. Als Kind muss sich Dagmar Seifert immer wieder an neue Umgebungen anpassen, wird manchmal von Klassenkameraden verhauen. Doch ihr unerschütterliches Wesen half ihr auch durch schwere Zeiten. „Zum Entsetzen meiner Eltern war ich schon als Kind gläubig“, sagt sie.
Seifert lässt sich oft von ihrer inneren Stimme leiten. Die riet ihr, nach der Scheidung mit ihrem damals 13-jährigen Sohn von Hamburg nach Tornesch zu ziehen. Ihre innere Stimme brachte sie dann auch dazu, in den Schützenverein einzutreten. Dabei hatte sie zuvor weder zum einen noch zum anderen irgendwelche Berührungspunkte. Dort lernte sie den Privatdozenten und Krimi-Autor Delf Schulz kennen und heiratete ihn 1996. „21 Jahre nach dem Kennenlernen bin ich immer noch total verknallt in ihn“, sagt sie lachend.
Seifert arbeitet als freie Journalistin unter anderem für das Magazin „Der Hamburger“. Von 2009 bis 2011 war sie stellvertretende Chefredakteurin für das Internetforum Kulturport, für das sie gelegentlich noch schreibt. Sie verfasste Kolumnen, Märchen, Radio-Features, Gruselgeschichten, Drehbücher und Theaterstücke, auch Kochbücher. Seit 1999 schreibt die in Grömitz geborene Autorin Romane (Die rosa Hälfte des Himmels, 1999, Ein silbergrüner Wasserfall, 2000, Die Lavendelfrau, 2001, Feuervogel, 2002).
Gerade erschien ihre Novelle „Friedensnacht – Wie Lene sich fürs Vaterland opferte“ (Kadera Verlag, 12,95 Euro) mit eigenen Illustrationen. Darin erzählt sie von der 16-jährigen Lene, Tochter eines Offiziers, der 1914 die Weihnachtstage an der Front verbringt, ebenso wie der Bruder. Lene ist mit ihrer jungen Stiefmutter allein daheim in Blankenese und muss Verantwortung für den Haushalt übernehmen, während ihre Stiefmutter mit einem Jüngeren durchbrennen will. Um das zu verhindern, beschließt Lene, sich auf ihre ganz eigene Weise fürs Vaterland zu opfern.
„Das Thema Erster Weltkrieg beschäftigte mich schon lange“, sagt Seifert. Ihr Großvater war Emil Seifert, den sie nur aus den lebhaften Erzählungen ihres Vaters kennt. „Mein Großvater erlebte in Flandern an der Front damals die sogenannte Friedensnacht, die Verbrüderung mit dem Feind während der Weihnachtstage“, sagt Seifert. Beide Seiten ließen die Waffen einige Stunden ruhen und beschenkten sich sogar gegenseitig. Emil Seifert kehrte 1918 aus dem Krieg mit vom Sieger zerbrochenen Degen sowie heruntergefetzten Epauletten nach Hause zurück. Damals strich er seinem siebenjährigen Sohn über den Kopf und seufzte: „Der Krieg ist vorbei, mein Junge. So was wirst du Gott sei Dank nie mitmachen müssen. Nach dieser Hölle sind die Menschen klüger geworden.“ Er irrte sich furchtbar.
Dagmar Seifert stellt ihr Buch am Sonnabend, 20.Dezember, von 14.30 bis 15.30 Uhr im Bücherwurm, Dingstätte 24, in Pinneberg vor. Der Eintritt ist frei. Wer noch eine andere Seite von ihr erleben möchte, hat dazu am Sonntag, 21. Dezember, von
10 Uhr an Gelegenheit in der Klosterkirche Uetersen. Im Mai 2013 schloss Seifert dort in der evangelischen Kirchengemeinde ihre Ausbildung als Prädikantin ab und hält nun gelegentlich Gottesdienste.