Bad Bramstedt. Einst ging der Modezar hier zur Schule, das Familienanwesen stand dort: Warum sich Bad Bramstedt mit der Ehrung Lagerfelds schwertut.
Karl Lagerfeld bleibt auch fünf Jahre nach seinem Tod unvergessen, viele Menschen und Orte halten die Erinnerung an den Superstar der Modeszene wach: Hamburg schmückt sich seit wenigen Tagen mit einer Karl-Lagerfeld-Promenade in schicker City-Lage. Viele Begleiter und Zeitzeugen haben Bücher über den vor fünf Jahren verstorbenen Weltstar geschrieben. Arte TV dreht eine Doku über den Mann mit der gepuderten Frisur, und beim Streamingdienst Disney+ ist derzeit der sechsteilige Film „Becoming Karl Lagerfeld“ in den 70er-Jahren mit Daniel Brühl in der Hauptrolle zu sehen – mit einem noch nicht ergrauten Zopf.
Nur die Bramstedter tun sich seit Jahrzehnten damit schwer, den größten Sohn der Kleinstadt zu würdigen. Allzu freundlich waren sie dem späteren Weltstar noch nie gesonnen: Als der kleine Karl Lagerfeld mit seiner Familie in der Stadt lebte, wurde der kunstsinnige und sprachbegabte Sonderling von manchen Mitschülern gehänselt, wenn nicht gar verprügelt.
Seit den 90er-Jahren scheiterten alle Versuche, wenigstens eine Straße oder ein Gebäude nach ihm zu benennen. Lediglich ein Stromkasten mit einem ungelenk gemalten Porträt des Modeschöpfers im Pariser Haus Chanel erinnert seit Jahren am Stadtrand an den Mann, den die ganze Welt kennt. Und heute? Eines der letzten Reste des Lagerfeld-Anwesens liegt in Trümmern.
Peinlich! Bad Bramstedt ignoriert Modezar Karl Lagerfeld
Auf dem ehemaligen Grundstück der Lagerfelds am südlichen Stadtrand ist von der steinernen Bank, auf der einst der kleine Karl in kurzen Hosen saß, nicht mehr viel übrig. Angeblich haben Lastwagen beim Abtransport von Bäumen aus dem Waldstück die Reste der historischen Sitzgelegenheit überrollt.
Von dem ohnehin ramponierten Teil blieb nicht viel übrig. Konsequenz? Bislang keine. Dabei ist der kleine Wald für das Leben Lagerfelds und seine Kreativität von größter Bedeutung. „Ich bin stinksauer“, sagt Bürgermeisterin Verena Jeske über die demolierte Bank und will klären, wer dafür verantwortlich ist. Erst durch die Recherchen des Abendblatts hatten sie von der Zerstörung erfahren.
Die Reste der Bank waren vor wenigen Tagen Schauplatz von Dreharbeiten des Fernsehsenders Arte TV, der sich mit der Jugend von Karl dem Großen beschäftigt und die Eindrücke und Prägungen aus dieser Zeit für die Modewelt thematisiert. Dass der Garten des Anwesens, der eigentlich schon damals ein Wald war, Lagerfeld nachhaltig inspiriert hat, ließ der Weltstar 2011 in einem Interview nach der Präsentation der Herbst-Winter-Kollektion von Chanel im Pariser Grand Palais durchblicken.
Aufgewachsen nördlich von Hamburg, habe er das Grün des Mooses und das Beige mancher Baumrinden als Farben aufgenommen. Er nannte auch das Licht im Winter, das durch den Nebel drang und dabei Strahlen erzeugte wie einst in Fritz Langs Film „Die Nibelungen“, als Siegfried wie eine Lichtgestalt daherkam. Diese Eindrücke und damit auch ein Stück Bad Bramstedt nahm Lagerfeld mit, als er mit 18 Jahren nach Paris ging und dort seine Weltkarriere begann.
Haben die Bramstedter Kinder Karl Lagerfeld traumatisiert?
Die Familie Lagerfeld hatte in den 30er-Jahren einige Jahre in Bad Bramstedt verbracht, kehrte dann nach Hamburg zurück. 1944 führte der Weg des damals zehnjährigen Karls mit seiner Mutter Elisabeth und Vater Otto erneut zurück auf das herrschaftliche Grundstück im Holsteinischen, weil die Familie den Bombenangriffen auf die Hansestadt entkommen wollte. Außer der zerstörten Steinbank und Überresten von dem Tor zum Gut ist nicht mehr viel von der Geschichte des Wäldchens zu sehen. Nur Fachleute erkennen die Bäume, die Vater Otto in den 30er-Jahren aus den USA mitbrachte und auf seinem Grundstück in Bad Bramstedt pflanzte.
Viele Zeitzeugen und Journalisten haben sich mit Kindheit und Jugend Lagerfelds in der Provinz befasst, doch die Schilderungen sind widersprüchlich. Wurde Karl, der Sonderling, von seinen Mitschülern dermaßen drangsaliert, dass er ein Trauma erlitt, wie Alfons Kaiser von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in seiner Biografie und andere Autoren schreiben? Oder verlebte der kleine Karl eine paradiesische Kindheit, in der er tun und lassen konnte, was er wollte? Diese Beschreibung geht zum Beispiel auf seine langjährige Begleiterin bei Chanel, Marietta Andreae, zurück.
Karl trug lange Haare sowie Hemd und Krawatte zu den kurzen Hosen
Fest steht wohl nur, dass sich die wohlhabende Familie des Glücksklee-Produzenten Otto Lagerfeld von der einfachen Landbevölkerung abhob. Sie wohnten auf dem großen Gut. Karl trug lange Haare sowie Hemd und Krawatte zu den kurzen Hosen. Er sprach mehrere Sprachen und beschäftigte sich gern auf dem Dachboden mit Modezeitschriften. Angeblich hatte er bereits als Kind die Sage „Die Nibelungen“ gelesen.
Der Bericht von Arte TV wird in der Reihe „Stadt Land Kunst“ gezeigt und ist voraussichtlich im kommenden Jahr zu sehen. Doch was Journalisten, Künstler und Fans an Relikten des sogenannten Modezaren fasziniert, scheint vielen Bramstedtern egal zu sein. Die Trümmer der Bank und die Reste des Tores zu dem Hof verfallen immer mehr, ohne dass sich jemand um diese einmaligen Kleinodien kümmert.
Ein Porträt auf einem Stromkasten ist der Bürgermeisterin zuwenig
Auch Bürgermeisterin Verena Jeske konnte sich bislang nicht mit der Idee durchsetzen, Karl Lagerfeld fürs Stadtmarketing zu nutzen und es nicht nur bei einem Stromkasten mit seinem Konterfei zu belassen. Die Berichte der vergangenen Jahre im Hamburger Abendblatt über Lagerfelds Kindheit und Jugend in Bad Bramstedt habe sie motiviert, sich noch einmal mit dem Gedenken an den „Modezar“ zu beschäftigen, sagte sie bereits 2021
Dass nur der Trafokasten an Lagerfeld erinnert, sei ihr viel zu wenig, betonte die Verwaltungschefin. „Ich persönlich liebe Mode, und deshalb ist es für mich persönlich auch etwas Besonderes, dass dieser Mann in der Stadt Bad Bramstedt einen Teil seiner Kindheit verbracht hat“, sagte sie. Sie will dafür eintreten, dass eine repräsentative Wohnstraße oder ein kleiner Platz nach ihm benannt wird. Dort könnte zum Beispiel eine Tafel an Lagerfeld erinnern.
Neue Idee: Eine Grundschule soll nach Lagerfeld benannt werden
Jetzt gibt es einen weiteren Vorstoß, einen Ort zu finden, der an Karl Lagerfeld erinnert. Anwohner der Straße Am Bahnhof haben den Vorschlag ins Spiel gebracht, einen Abschnitt der Straße nach dem Modeschöpfer zu benennen. An der Straße liegt die Grundschule am Bahnhof, in der sich zu Lagerfelds Schulzeiten das Jürgen-Fuhlendorf-Gymnasium befand, das er selbst besuchte.
Doch Verena Jeske kann diesem Vorschlag nichts abgewinnen. „So ein kurzes Stück nach Lagerfeld zu benennen ist peinlich und wird Lagerfeld und seiner Geschichte in Bad Bramstedt nicht gerecht“, sagt die Bürgermeisterin. Sie plädiert vielmehr dafür, die Grundschule nach Karl Lagerfeld zu benennen. „Wir sind dafür aufgeschlossen“, sagt dazu Schulleiterin Katja Walter. Eine Entscheidung über eine Umbenennung müsste jedoch von der Schulkonferenz, dem Schulverband und anderen Gremien genehmigt werden.
In Talkshows zog Lagerfeld über Mitschüler her: „Grauenhafte Lustgreise“
Grundsätzlich hält die Lehrerin es für sehr passend, die Schule nach Lagerfeld zu benennen, der sich anders als die anderen Kinder benahm, anzog und auch sprach. Noch heute fördere die Grundschule die Individualität der Jungen und Mädchen. Dazu heißt es auf der Homepage: „Jedes Kind soll sich in unserer Schule gleichermaßen angenommen und willkommen fühlen. Gemeinsam lernen, mit Kopf, Herz und Hand, ohne dabei die Individualität und Einzigartigkeit eines jeden Kindes aus den Augen zu verlieren.“
- Karl Lagerfeld: Warum er über seine Jugend stets schwieg – Blick ins Familienarchiv
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Mit allen anderen Vorschlägen, an Lagerfeld zu erinnern, ist Jeske an der Politik in Bad Bramstedt gescheitert. Manche verübeln dem Verstorbenen immer noch, dass er in Talkshows mit Begriffen wie „grauenhafte Lustgreise“ über einstige Mitschüler hergezogen ist. Andere fürchten, dass die Nutzung des Namens Markenrechte verletzen und die Stadt teuer zu stehen kommen könnte. Mit diesem Hinweis hatte bereits Ex-Bürgermeister und Jurist Hans-Jürgen Kütbach Pläne zunichte gemacht, an Lagerfeld zu erinnern. Das war Anfang der 2000er-Jahre.