Bad Bramstedt. Marietta Andreae kam dem verstorbenen Weltstar so nahe wie kaum jemand. Was die langjährige Freundin in einem Buch preisgibt.

  • Marietta Andreae hat bei Chanel 25 Jahre lang an der Seite von Modezar Karl Lagerfeld gearbeitet.
  • Die frühere PR-Leiterin pflegte eine enge Freundschaft zu Lagerfeld. Sie hat ein Buch veröffentlicht, in dem sie auch über seine Kindheit in Bad Bramstedt schreibt.
  • Lagerfeld lebte 14 Jahre in Bad Bramstedt, ehe er im Alter von 18 Jahren nach Paris ging.

Als Karl Lagerfeld am 19. Februar 2019 starb, haben sich viele Begleiter und Journalisten an die Arbeit gemacht. Sie schrieben Bücher über das Leben des sogenannten Modezaren, der in Hamburg zur Welt kam, im Bad Bramstedt aufwuchs und in Paris zum Weltstar avancierte. Ein neues Werk kam erst vor kurzem auf den Markt: Lagerfelds langjährige Vertraute und Kollegin, Marietta Andreae, präsentiert eine neue, überraschende Sicht auf Karl, den Großen. Und sie weiß spannende Neuigkeiten über seine Kindheit und Jugend in Bad Bramstedt zu erzählen.

Marietta Andreae kam dem Modeschöpfer und Fotograf so nahe wie kaum jemand. „Mein Geheimrat Lagerfeld“ heißt das Buch der Hamburgerin, die 25 Jahre an seiner Seite gearbeitet und eine innige Freundschaft mit ihm pflegte. Marietta Andreae war 25 Jahre exklusiv für Chanel in Paris tätig. Ihr enger Kontakt zu Lagerfeld entstand, als sie 1983 für die Edelmarke die PR-Leitung in Deutschland und Österreich übernahm.

Karl Lagerfeld: Wie der Modezar wirklich in Bad Bramstedt lebte

Den sonderbaren Titel „Mein Geheimrat Lagerfeld“ übernahm sie von einer scherzhaft gemeinten Widmung Lagerfelds für sie, die er auf ein Foto schrieb. Der Fotograf Helmut Newton hatte das Bild geschossen, das das Cover von Andreaes Buch ziert.

Und was hat Lagerfeld der PR-Fachfrau über seine frühen Jahre im Holsteinischen erzählt? Der Lagerfeld-Gemeinde präsentiert die Marietta Andreae eine andere Sicht auf die Zeit in Bad Bramstedt als manche andere Autoren – zum Beispiel über das Lebensgefühl des kleinen Karl auf Gut Bissenmoor, das sein Vater 1934 gekauft hatte, als der Filius gerade mal ein Jahr alt war. Als britische und US-amerikanische Bomber im Zweiten Weltkrieg regelmäßig Hamburg angriffen, zog die Familie aufs Land in das Gutshaus. Finanzielle Sorgen plagten die Familie nicht. Vater Otto war Inhaber des Dosenmilchkonzerns Glücksklee.

Der kleine Karl genoss eine glückliche, unbeschwerte Kindheit

„In dem beeindruckenden Landhaus mit großem Park genoss Karl eine glückliche, unbeschwerte Kindheit ohne Einschränkungen und konnte im Grunde tun und lassen, wozu er Lust hatte“, schreibt sie. „Er war äußerst neugierig, wissbegierig und liebte es, auf dem Dachboden des Gutshauses zu stöbern.“ Dort fand der junge Lagerfeld Modezeitschriften, darunter auch Ausgaben der „Vogue“ und Ausgaben der Satirezeitschrift „Simplicissimus“, die bis 1944 erschien. Die Zeichnungen und Karikaturen faszinierten und inspirierten ihn.

Kein Wort davon, wie die angeblich rüpelhaften Bramstedter Bauernjungs den feinsinnigen Mitschüler drangsalierten und demütigten, weil sie seine Neigungen nicht verstanden. So hatten andere Autoren Kindheit und Jugend in Bad Bramstedt beschrieben und auch ihre vermeintliche Bestätigung erhalten, als Lagerfeld 2006 in einer Talkshow einstige Schulkameraden als „grauenhafte Lustgreise“ beschimpfte. Alfons Kaiser vom Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb in seiner Lagerfeld-Biografie gar von einer Traumatisierung in Bad Bramstedt und erklärte damit Lagerfelds Pöbeleien.

Karl Lagerfeld inszenierte sich als öffentliche Figur

Lagerfelds Sätze brachten damals viele Bramstedter gegen den berühmtesten Sohn der Stadt auf, doch was genau bezweckte er damit, im Alter verbal auf einstige Mitschüler einzuprügeln? Die Autorin findet eine andere Erklärung: Lagerfeld habe sich als eine öffentliche Figur inszeniert, die nicht immer nett sein wollte, sein privates Leben als umgänglicher und freundlicher Mensch jedoch in vielerlei Hinsicht verborgen.

Lagerfeld hat Marietta Andreae immer wieder gezeichnet. In ihrem Buch
Lagerfeld hat Marietta Andreae immer wieder gezeichnet. In ihrem Buch "Mein Geheimrat Lagerfeld" sind mehrere dieser Werke enthalten. Seine Zeichnung von ihr im gelben Dirndl entstand 1991. © Sammlung Marietta Andreae

Marietta Andreae berichtet auch, wie Lagerfeld ihr sein Leben an der Grundschule schilderte, doch die Botschaft ist auch hier eine andere als in anderen Werken: Ja, der junge Karl war ein Sonderling, aber keiner, den man hänselte und übel mitspielte. Lagerfeld habe schnell gemerkt, dass ihn die anderen Kinder nicht interessierten, dass er keine Lust hatte, mit ihnen zu spielen, „und dass er generell anders sein wollte als sie“.

Er trug Schlips oder Fliege und hatte längeres Haar

Das zeigte sich schon bei seiner Kleidung: Begeistert vom Stil seines Vaters und des Patenonkels eiferte Karl ihnen nach, kleidete sich elegant, trug Schlips oder Fliege und längeres Haar. Außerdem zitiert die Autorin einen Mitschüler mit den Worten: „Karl war kein Outsider, aber schon in der Schule etwas Besonderes und anders, als wir anderen Kinder, was wir ihm aber nicht übelnahmen.“ Andreaes Fazit: „Er war ein Einzelgänger und Tagträumer, lebte in seiner eigenen, ganz anderen Welt, langweilte sich nie und liebte es, zu zeichnen und zu lesen.“

Dieses bislang unbekannte Foto zeigt den jungen Karl Lagerfeld in Bad Bramstedt.
Dieses bislang unbekannte Foto zeigt den jungen Karl Lagerfeld in Bad Bramstedt. © Sammlung Marietta Andreae

Lagerfeld wollte nicht als Kind behandelt werden, sondern als Erwachsener, sagt Marietta Andreae. Sie widerspricht auch den Schilderungen, der junge Karl habe unter seiner gestrengen Mutter Elisabeth gelitten. Vielmehr hätten seine Eltern ihm den Lebensweg ermöglicht, von dem er stets träumte und den er mit gerade mal 18 Jahren realisieren konnte: Lagerfeld ging nach Paris. „Die Eltern gaben ihm absolute Freiheit“, sagt die Autorin. „Dabei wurde er sehr verwöhnt.“ Schon früh sei Vater Otto klar gewesen, dass Karl sich nicht für „Glücksklee“ interessieren und die Firma übernehmen würde.

14 Jahre seines Lebens verbrachte Karl Lagerfeld in Bad Bramstedt

Ebenfalls auf Bad Bramstedt und Lagerfelds Kindheit bezieht sich eine Episode aus dem Jahr 1989, als er nach einem Fotoshooting mit seinem gesamten Tross nach Bad Bramstedt fuhr, um das Gelände des inzwischen abgerissenen Gutshauses und des Parks zu besuchen. „Seit Jahrzehnten war er nicht mehr dort gewesen und wusste überhaupt nicht, was ihn erwarten würde.“

Dieses Foto zeigt Karl Lagerfeld mit seinem Tross 1989 auf dem Gelände von Gut Bissenmoor in Bad Bramstedt.
Dieses Foto zeigt Karl Lagerfeld mit seinem Tross 1989 auf dem Gelände von Gut Bissenmoor in Bad Bramstedt. © Hartwig ValdmaniS

Nichts habe vor Ort mehr auf Spuren eines Hauses hingedeutet, heißt es in dem Buch. Und weiter: „Kein Stein war auf dem anderen geblieben. Karl nahm es zur Kenntnis, schien aber nicht sonderlich berührt, da er sowieso alle Details präzise in seinem fotografischen Gedächtnis gespeichert hatte und jederzeit abrufen konnte.“ Danach habe festgestanden, dass dieser Besuch sein letzter in Bad Bramstedt gewesen war. 14 Jahre seines Lebens hatte Lagerfeld dort verbracht.

Auf dem Rückweg von Friede Springer kehrte Lagerfeld im „Bramstedter Wappen“ ein

Offen ist, ob Karl Lagerfeld tatsächlich die wenigen Überreste des einstigen Anwesens im Südwesten der Stadt nicht entdeckt hat. Erhalten sind bis heute zwei Pfeiler für das Tor der Zufahrt und eine Steinbank, die langsam zwischen den Bäumen von Gestrüpp überwuchert wird.

Ein Zeitzeuge erinnert sich an den Besuch in Bad Bramstedt und beschrieb Lagerfeld ebenfalls als Mann ohne Hochmut. 2021 berichtete Horst Ebeling, Seniorchef des Hotels „Bramstedter Wappen“, dem Abendblatt, dass Lagerfeld mit seinem damaligen Star-Mannequin Inès de la Fressange und seinen Mitarbeitern vor einem Fotoshooting auf dem Landsitz der Verlegerin Friede Springer auf Gut Schierensee bei ihm eingekehrt sei.

Lagerfeld: „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber nur das Tor“

„Ich begrüßte Karl Lagerfeld, den ich aus der Zeit am Jürgen-Fuhlendorf-Gymnasium in Bad Bramstedt kannte. Wir hatten in der Theatergruppe der Schule zusammen einige Male im Kaisersaal auf der Bühne gestanden“, sagte Ebeling, der seinem berühmten Gast ein Foto des herrschaftlichen Guthauses Bissenmoor schenkte. „Er war ganz normal und überhaupt nicht arrogant.“

Dass die Lagerfelds nach dem Zweiten Weltkrieg in Armut und frierend erst im Stall und dann im Kornspeicher auf dem Gelände wohnten, ist weitgehend unbekannt. Britische Besatzer hatten das Haus konfisziert und hinterließen es verwahrlost. Danach ging Lagerfeld von Bad Bramstedt nach Paris – getreu seinem Motto und dem seiner Mutter Elisabeth: „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber nur das Tor.“ Bis zu seinem Lebensende habe Karl immer wieder Aussprüche seiner Mutter zitiert, sagt Marietta Andreae, die Lagerfeld auch als Chef schätzte: „Er war immer liebenswürdig und freundlich, ich konnte mich nicht beklagen.“

Dass die Schilderungen Andreaes authentisch sind, lässt sich aus der Enge der Beziehung zu Lagerfeld folgern. Sie schreibt: „Karl und ich verstanden uns hervorragend und es machte mich unendlich glücklich, dass sich mit unseren Produkten, Reisen und Erlebnissen unsere Vertrautheit noch steigerte.“ Sie berichtet mit Begeisterung über ihren verstorbenen Weggefährten: „Er war meine stetige Inspirationsquelle, man konnte unendlich viel von ihm lernen und die eigene Sichtweise schärfen. Er war unglaublich gebildet, belesen, wissbegierig, interessiert, positiv neugierig, aufgeschlossen und frei von Vorurteilen.“

Das Buch kostet 38 Euro und ist bei Felix Jud in Hamburg erschienen. Der Band enthält viele, bislang unbekannte Fotos und Zeichnungen Lagerfelds und hat 280 Seiten.