Henstedt-Ulzburg. Brisanter Beschluss: Weil man „Doppelstrukturen“ sah, verweigerten drei Parteien Vertragsverlängerung mit Diakonie. Sozialarbeiter warnen.
Relativ still und leise, beinahe unbemerkt, ist es zu Ende gegangen. „Komplett geschlossen“, steht auf einem Zettel an der Fensterfront des CCU. Rund zwei Jahre war das Zentrum der Hilfe in Henstedt-Ulzburg ein zeitweise elementarer Treffpunkt für Flüchtlinge und Asylsuchende, für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, hier wurden Netzwerke gepflegt und Freundschaften geknüpft. Kurzfristig und unbürokratisch hatte die Gemeinde im März 2022 den Anlaufpunkt geschaffen, als der russische Angriff auf die Ukraine viele Menschen zur Flucht zwang und im Ort Strukturen fehlten, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Nun aber wird die Immobilie für etwas anderes benötigt, hier soll bis 2025 der lange geplante Dritte Ort entstehen, der Bücherei, Kultur und Veranstaltungen auf moderne Art und Weise bündelt, also auch eine wichtige soziale Funktion einnimmt. Nur: Für die Betreuung von Geflüchteten entsteht so eine Vakanz. Mehr noch: Die Schließung gehört zu mehreren Maßnahmen und Entscheidungen, die vieles in der Flüchtlingshilfe in Henstedt-Ulzburg verändern.
Flüchtlingshilfe: Brisante Veränderungen in Henstedt-Ulzburg
Im Sozialausschuss wurde deutlich, wie weit die Meinungen hierzu auseinandergehen. Denn das Gremium entschied mit der Mehrheit von CDU, FDP und BfB, den Vertrag mit der Diakonie Altholstein für die Flüchtlingsberatung nicht zu verlängern. Für 2025 hätte dies 104.300 Euro gekostet, das wären zwei volle Stellen gewesen. Christian Deanovic (CDU), Vorsitzender des Gremiums, erklärte, es ginge darum, „Doppelstrukturen“ abzuschaffen. „Unser Problem war: Wer macht eigentlich was? Es gibt Integrationsberatung, Migrationsberatung, Flüchtlingsberatung.“
Diese sind teilweise ehrenamtlich, teilweise an Dienstleister wie die Diakonie vergeben, und auch im Rathaus verortet. „Wenn man sich die Berichte durchliest, machen alle dasselbe, nur unter anderem Namen.“ Er verweist darauf, dass man im letzten November bereits einen Auftrag an die Diakonie vergeben hatte für eine „Sozial- und Migrationsberatung“, wenn auch nur mit 20 Wochenstunden, also weniger als halb so teuer wie das nun abgelehnte Angebot.
Und da unter anderem aus Sicht der CDU die Verwaltung nicht sagen konnte, was die Unterschiede seien, kam es zu dem Votum. Sollten die Flüchtlingszahlen steigen, könne man ja eine weitere Stelle in der Verwaltung schaffen. „Wir sehen das auch eher in Gemeindehand als bei einem externen Träger.“
Integrationsarbeit: Qualität in Gefahr
Allerdings hat der politisch beschlossene Kostendeckel für Personalausgaben in der Verwaltung dazu geführt, dass eine Sozialarbeiterstelle für das Flüchtlingsmanagement entfällt. Michelle Behrens, sie und Valerij Serdjuk sind die hauptamtlichen Integrationsbeauftragten, legte den Fraktionen in einem ausführlichen Bericht nicht nur dar, worin ihre tägliche Arbeit besteht.
Sie mahnte auch, was Kürzungen für Konsequenzen haben könnten. „Aus Sicht der sozialen Arbeit ist die Zukunft und die Qualität der HilfeIandschaft in Bezug auf die Versorgung von geflohenen Menschen und Obdachlosen mit Sorge zu betrachten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine unzureichende Integrationsarbeit auch auf den sozialen Frieden im Gemeindegebiet auswirkt.“
Kriminalität: Von 2021 bis 2023 fast 15 Prozent Zuwachs in Henstedt-Ulzburg
Mehr noch: Laut polizeilicher Statistik sei die Kriminalitätsrate in Henstedt-Ulzburg um 10 bis 15 Prozent gestiegen, „unter anderem auch durch Menschen mit Migrationshintergrund. Eine Frage, die sich daraus ergibt, ist, inwieweit diese Zielgruppe gut oder weniger gut integriert ist“.
Eine brisante Aussage. Auf Nachfrage konkretisiert Colja Peglow, Leiter des Fachbereichs für Ordnung und Soziales: „In Henstedt-Ulzburg wurden in 2023 insgesamt 1.434 Straftaten registriert. Das ist eine Steigerung von 9,2 Prozent gegenüber 2022 (1.314 Straftaten) und eine Steigerung von 14,82 Prozent im Vergleich zu 2021 (1.249 Straftaten).“
Das sei ein Abbild der Gesellschaft. „Die Steigerung der Zahl der Delikte lässt sich eben nicht dadurch erklären, dass wir Zuwächse nur im Bereich der Kriminalität im Kontext von Zuwanderung haben. Allerdings ist es aber so, dass die gestiegenen Kriminalitätszahlen eben auch auf Delikte mit Beteiligung von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte zurückzuführen sind.“
Mehr als 900 Personen werden aktuell von Integrations- und Flüchtlingsberatern betreut
Ohne Flüchtlingsberatung durch die Diakonie und das Zentrum der Hilfe werde etwas fehlen, so Peglow. „Die Arbeit der Diakonie ist ein wichtiger zusätzlicher Baustein bei der Betreuung von zu uns geflüchteten Personen in unserer Gemeinde. Es werden viele Aufgaben abgedeckt, bei denen durch gemeindeeigenes Personal keine Beratungsleistung erfolgt“, sagt er.
Dazu gehöre „die Hilfestellung bei Behördenkontakten – insbesondere in Asylfragen – und in Fragen der gesundheitlichen Versorgung, die Beratung in ausländer- und sozialrechtlichen Fragestellungen, zum Asylverfahren – zum Beispiel im Rahmen einer Klage – und zu den Aufenthaltsperspektiven, die Mitwirkung bei Familienzusammenführungen sowie die Auskünfte zu Rückkehroptionen in das Heimatland.“
Er fasst zusammen: Die Stunden der Diakonie zähle man in den Betreuungsschlüssel. Ohne diese und ohne das Zentrum der Hilfe gelte: Betroffene suchen sich anderweitig Hilfe. „Die Problemstellungen sind ja nicht weg, nur weil die zusätzlichen Beratungsangebote dann nicht mehr da sind.“ Laut Michelle Behrens seien aktuell 927 Personen in Beratung, manche sehr regelmäßig, andere sporadisch. Mit Stand April lebten in Henstedt-Ulzburg 508 Geflüchtete, 61 davon wurden im ersten Quartal aufgenommen.
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Flüchtlinge in Henstedt-Ulzburg: „Richtung kann gefährlich sein“
SPD, Grüne und WHU stellten sich in einer gemeinsamen Mitteilung gegen die politische Richtungsentscheidung. „Es wurden an diesem Abend die Weichen gestellt in eine Richtung, die gefährlich sein kann. Die Glaskugel der FDP wird uns die tatsächlichen Flüchtlingszahlen nicht liefern, das kann niemand. Aber wir wissen, dass wir augenblicklich 508 Geflüchtete im Ort untergebracht haben und verpflichtet sind, weitere aufzunehmen. Aber auch die bereits hier lebenden Geflüchteten benötigen Beratung und Unterstützung, und das jetzt, dank dieser besorgniserregenden Entscheidung, mit noch weniger Personal als bisher.“
Es darf davon ausgegangen werden, dass der Streit im Laufe des Jahres wieder aufflammt. Denn bekanntlich gab es 2023 ein Votum dafür, an zwei Standorten im Gemeindegebiet (südlich des Heidewegs sowie am Kiefernweg) neue Großunterkünfte für jeweils rund 100 Menschen zu bauen. Ein umstrittener Beschluss, denn es ist quasi eine Absage an eine dezentrale Unterbringung. Die Investitionen dürften im zweistelligen Millionenbereich liegen. Betreuungskonzepte liegen noch keine vor. Angedacht ist, die Bewohner vor Ort zu beraten – mit welchem Personal, ist allerdings völlig offen.