Norderstedt/Kiel. Nach Vorfall in Bark bei Bad Segeberg: Heftige Kritik von Sozialverbänden an den bestehenden Regeln. Betroffen sind viele Heime.
Eine einzige Pflegfachkraft ist nachts für ein ganzes Seniorenheim mit 45 Bewohnern verantwortlich. Aber was, wenn der Pfleger plötzlich ausfällt, weil er selbst zum medizinischen Notfall wird? Nach einem Großeinsatz von Rettungskräften in einem Pflegeheim bei Bad Segeberg kritisieren Sozialverbände massiv die bestehenden Pflegeschlüssel. Sie warnen, dass solche Fälle in Zukunft wohl häufiger passieren werden.
„Nur ein Pfleger für 45 Senioren, das ist eine Katastrophe! Aber Fakt, wenn man sich den Pflegenotstand und den Personalmangel ansieht“, sagt Ronald Manzke, Landesgeschäftsführer des Sozialverbandes VdK Nord. Ganz ähnlich klingt Alfred Bornhalm, Landesvorsitzender des Sozialverbandes SoVD: „Es kann sein, dass das getragen wird vom rechtlichen Rahmen. Aber im wirklichen Leben ist das abenteuerlich.“
Ein einzelner Pfleger könne aus seiner Sicht „unmöglich“ nachts für so viele Senioren verantwortlich sein. „Das wird der Situation nicht gerecht. Es müssten mindestens drei Personen sein“, so Bornhalm.
Pflegenotstand: Wegen Kreislaufproblemen kam der Pfleger in ein Krankenhaus
In der Nacht zu Mittwoch waren 80 Mitarbeiter des Rettungsdienstes und Helfer des Roten Kreuzes zum Wohnpark Segeberger Forst in Bark ausgerückt. Ein Pfleger hatte selbst Kreislaufprobleme bekommen und war in ein Krankenhaus gebracht worden. Danach hatte der Rettungsdienst entschieden, dass Verstärkung kommen müsse, um die Senioren zu versorgen.
Zwischen 2 und 6 Uhr morgens hatten DRK und Rettungsdienst diese Aufgabe wahrgenommen, zumal die Heimleitung nicht erreichbar war. Eine Prüfung durch die Heimaufsicht des Kreises Segeberg hatte dann allerdings ergeben, dass das Heim sich im Prinzip nicht regelwidrig verhalten hatte. Grundsätzlich sei eine Besetzung mit einer Fachkraft in der Nacht bei bis zu 50 Bewohner*innen nach den geltenden Pflegeschlüsseln „nicht zu beanstanden“, teilte Kreissprecherin Sabrina Müller mit. Auch die Kriminalpolizei stellte die Ermittlungen ein.
Pflegenotstand: „Fall ist die Spitze des Eisbergs“
Alfred Bornhalm betont, dass der Rettungsdienst „richtig gehandelt“ habe. Aber er sagt auch: „Ich habe die Befürchtung, dass das in anderen Einrichtungen auch so ist.“ Auch Ronald Manzke sagt: „Der Fall ist die Spitze des Eisbergs. Das ist es, was Mangel in der Pflege bedeutet. Ich denke, wir werden leider in Zukunft häufiger solche Fälle bekommen. Denn die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, gleichzeitig nimmt die Zahl der Pfleger ab.“
Auch Michael Saitner, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in SH, sagt: „Der Fall in Bark ist die Spitze des Eisbergs.“ Insbesondere der Nachtdienst in der Pflege sei unattraktiv und es sei „grundlegend schwierig, Stellen in Pflegeeinrichtungen zu besetzen“. Dieser Missstand sei der Politik „seit Jahren bekannt, trotzdem wird nach wie vor viel zu nachlässig reagiert.“
Bessere Personalschlüssel, mehr Geld ins System
Fachkräftemangel einerseits, nicht bedarfsgerechte Pflegeschlüssel andererseits – für Alfred Bornhalm und Ronald Manzke ist es dieses Zusammenspiel, das zu Vorfällen wie in Bark führt. Um die Mängel zu beheben, müssten politische Entscheidungen getroffen werden. Im Prinzip geht es darum, das System besser zu finanzieren.
Ronald Manzke unterscheidet zwei Arten von Pflegeheimen: „Es gibt große Einrichtungen, bei denen der Profit im Vordergrund steht und deshalb am Personal gespart wird. Und dann gibt es die kleineren Unternehmen, die aber auch mit den vorgegebenen Pflegeschlüsseln arbeiten müssen und kein Personal mehr finden.“
Beide sagen, dass „bessere Pflegeschlüssel“ notwendig seien. „Da gibt es dringenden Reformbedarf. Der Gesetzgeber muss das Pflegeversicherungsgesetz reformieren“, sagt Alfred Bornhalm. Aber, so Manzke: „Das kostet Geld. Und für den sozialen Bereich ist selten Geld da.“ Woher welches kommen könnte? „Aus unserer Sicht muss es endlich eine Bürgerversicherung geben, in die auch Selbstständige einzahlen“, sagt Alfred Bornhalm.
Zuwanderung könnte Personalprobleme lösen
Und dann gehe es eben darum, Jobs in der Pflege endlich aufzuwerten. „Der Pflegeberuf ist in den letzten 20 Jahren unattraktiv gemacht worden“, sagt Ronald Manzke. Pfleger müssten sich mit „viel zu viel Bürokratie“ beschäftigen, müssten außerdem besser bezahlt werden. Außerdem seien andere Personalschlüssel nötig, „sonst denkt ja jeder, in den Job gehe ich nicht, da arbeite ich mich ja in zehn Jahren kaputt.“
Manzke sagt, dass man auch die Zuwanderung „besser nutzen“ müsste, um mehr Menschen in Pflegeberufe zu bekommen. „Warum sollen denn zum Beispiel Asylbewerber nicht arbeiten und sich qualifizieren dürfen?“, fragt er.
Nach Einsatz in Bark: Das Ehrenamt funktioniert
Zur Entlastung des Systems sei es außerdem nötig, auf einen ganz anderen Bereich zu schauen. „80 Prozent der zu pflegenden Menschen werden zu Hause gepflegt. Aber viele pflegende Angehörige sind völlig überlastet. Die brauchen viel mehr Unterstützung. Dann wären sie in der Lage, diese Aufgabe länger zu machen und Senioren würden später in die stationäre Pflege kommen. Viele sagen ja: ‚Ich würde gerne meinen Vater weiter selbst pflegen, aber ich schaffe es einfach nicht mehr“, so Manz.
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Immerhin: Der Einsatz in dem Heim in Bark beinhaltet auch eine gute Nachricht. So sieht es zumindest Christian Mandel, Sprecher der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH), der selbst vor Ort war. „Die Tatsache, dass wir so schnell 80 Kräfte mobilisieren konnten aus mehreren Ortschaften, viele davon freiwillige Helfer, ist sehr, sehr positiv. Denn das heißt, das Ehrenamtliche auch nachts zur Verfügung stehen. Das System funktioniert“, sagt Mandel. Zumindest das des Ehrenamtes im Kreis Segeberg, ließe sich ergänzen.