Norderstedt. Norderstedt will Voraussetzungen für 60 Bauplätze zwischen Weg am Denkmal und Glashütter Weg schaffen. Warum Anlieger dagegen sind.

Die weiter wachsende Stadt Norderstedt braucht immer mehr Wohnraum. Um die wenigen freien Flächen optimal auszunutzen, will die Verwaltung jetzt in vorhandenen Wohngebieten gezielt nachverdichten. So könnten zwischen dem Weg am Denkmal und dem Glashütter Weg rund 60 neue Bauplätze entstehen, heißt es im Bebauungsplan 250 aus dem Jahre 2010, den die Verwaltung jetzt wieder aus der Schublade geholt hat.

Die Grundstücke weisen hinter den Häusern oft große, lang gezogene Gärten auf. Es gibt offenbar Eigentümer, die auf diese großen Gärten gerne verzichten und dort stattdessen lieber bauen würden.

Aber der Widerstand in der Bevölkerung formiert sich, denn nicht alle der dortigen Anwohner sind davon begeistert. Einige fürchten um ihre Wohnqualität. „Diese komplette Versiegelung macht hier doch alles kaputt“, ärgert sich Anlieger Ernst Hartmann, der hier schon aufgewachsen ist und in dem Haus seiner Eltern von 1962 an der Grootkoppelstraße lebt. „Als Kind konnte man hier noch auf der Straße spielen.“

Landschaftsarchitektin hält Planung für „völligen Blödsinn“

Nachbarin Ursula Zumholz lebt seit etwa zehn Jahren hier. Sie ist selbst Landschaftsarchitektin, hat zum Beispiel die Außenanlagen der Kita Fuchsbau in Norderstedt gestaltet und den Grünordnungsplan für das Garstedter Dreieck entworfen. Sie hält diese Stadtplanung aus fachlicher Sicht schlicht für „völligen Blödsinn“. Wenn jetzt 90 bis 95 Prozent der Flächen bebaut und zugepflastert werden sollten, sei kein Platz mehr für Gärten und Grünflächen, kritisiert sie. Die Natur werde leiden, die Lebensqualität gehe verloren.

Der Bebauungsplan 250 umreißt das Gebiet zwischen dem Weg am Denkmal im Norden und dem Glashütter Weg im Süden.
Der Bebauungsplan 250 umreißt das Gebiet zwischen dem Weg am Denkmal im Norden und dem Glashütter Weg im Süden. © google maps | Google Maps

Schon bei der ersten Vorstellung dieser Pläne vor mehr als zehn Jahren hätten sich die betroffenen Anlieger zahlreich dagegen ausgesprochen, erinnert sich Ursula Zumholz. Dass die Norderstedter Verwaltung sie nun erneut ohne eine Überarbeitung aus dem Hut zaubere, zeige deren Desinteresse für die Anliegen dieser Anwohner. „Der Plan ist fehlerhaft“, sagt die Landschaftsarchitektin und zeigt auf dem Plan auf eine Reihe von erhaltenswerten Bäumen, die zu klein eingezeichnet oder wo die Abstandsflächen falsch dargestellt worden seien.

Anlieger: Insektensterben nimmt zu, Klimawandel schreitet schneller fort

Zumholz hat ausgerechnet, was noch an Natur und Grünflächen übrigbliebe, wenn die etwa 350 Quadratmeter bebaubaren Flächen eines jeden Hinterlandgrundstücks bebaut werden würden: Es wären gerade mal 40 bis 50 Quadratmeter große Mini-Gärten nach Abzug der Hausfläche, Zuwegung, Pkw-Stellplatz oder Garage und Müllunterstand. In manchen Fällen wären es vielleicht sogar nur noch fünf Quadratmeter kleine grüne Inseln. „Das ist für mich keine familienfreundliche offene Vegetationsfläche mehr“, sagt sie.

Erst recht nicht mehr für die Vögel und Insekten. Die Verwaltung trage mit dieser Planung zum weiteren Insektensterben und dem fortschreitenden Klimawandel bei, ärgert sich Ursula Zumholz. Und mit ihr auch Nachbar Ernst Hartmann. „Die Natur geht immer weiter zurück. Es gibt immer weniger Insekten. Wie sollen da die Vögel leben?“, fragt er. Und das fehlende Grün heize die Umgebung unnötig auf, warnt Hartmann. Er wisse von Nachbarn am eng bebauten Schinkelring ein paar Hundert Meter weiter südlich, dass es dort im Sommer zwei Grad heißer als in seinem Garten werde – weil dort auch der Versiegelungsgrad bereits sehr hoch sei.

Anliegerin Birgit Wolf hatte schon 2019 Widerspruch gegen die zu enge Bebauung ihres Nachbargrundstücks eingelegt. Das hat sie 300 Euro und zusätzliches Regenwasser auf ihrem Grundstück gekostet.  Sie findet es traurig, wenn hier so gut wie alle Grünflächen verschwinden sollen
Anliegerin Birgit Wolf hatte schon 2019 Widerspruch gegen die zu enge Bebauung ihres Nachbargrundstücks eingelegt. Das hat sie 300 Euro und zusätzliches Regenwasser auf ihrem Grundstück gekostet.  Sie findet es traurig, wenn hier so gut wie alle Grünflächen verschwinden sollen © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Dann kann ich auch wieder nach Hamburg zurückziehen.“

„Dabei hat sich Norderstedt doch bis 2040 zur Klimaneutralität verpflichtet“, wundert sich Nachbarin Birgit Wolf. Sie hatte schon vor fünf Jahren Widerspruch gegen die aus ihrer Sicht zu enge Bebauung ihres direkten Nachbargrundstücks bei der Verwaltung erhoben. Drei Familien lebten dort jetzt auf 900 Quadratmetern dicht an dicht. „Da ist kein Grün mehr, nur noch Mauern und Wände“, sagt sie. „Ich finde das traurig“, sagt die Mutter, die hier seit fast 30 Jahren lebt. „Das passt hier einfach nicht hin.“ Und wenn es stark regne, fließe das Regenwasser vom Nachbarn auf ihr Grundstück, weil es dort nicht versickern könne. Die Antwort der Verwaltung sei nur gewesen, ihren Widerspruch abzulehnen und dafür 300 Euro zu kassieren.

Auch Andreas Büssenschütt, der ein paar Häuser weiter an der Grootkoppelstraße wohnt, kann es nicht fassen. Er sei Mitte der 1990er-Jahre mit seiner jungen Familie extra aus Eppendorf in die Vorstadt nach Harksheide umgezogen, weil es hier so schön grün und naturbelassen gewesen sei. Wenn jetzt quasi jeder Quadratmeter bebaut werden sollte, sei dieses für Norderstedt so wichtige Qualitätsmerkmal weg. „Dann kann ich auch wieder nach Hamburg zurückziehen. Dort ist es an vielen Stellen inzwischen viel grüner als in Norderstedt.“

Werden alle Anlieger eine höhere Grundsteuer zahlen müssen?

Die Anwohner sorgen sich um das Klima, ihre Lebensqualität, die Natur, Flora und Fauna in ihrer Umgebung, wenn alles am Weg am Denkmal, der Grootkoppelstraße und dem Glashütter Weg nach den Plänen der Stadtverwaltung zugebaut werden sollte. Abgesehen von dem zusätzlichen Lärm und den Abgasen, die der zunehmende Verkehr in ihren Wohnstraßen verursachen werde.

Auf einigen Grundstücken ist bereits nachverdichtet worden. Da sei kaum noch Platz für Gärten und Grünflächen, kritisieren die Anwohner.
Auf einigen Grundstücken ist bereits nachverdichtet worden. Da sei kaum noch Platz für Gärten und Grünflächen, kritisieren die Anwohner. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Sie fürchten aber auch, dass diejenigen Eigentümer, die sich dieser Lizenz zum Nachverdichten und Zubauen ihrer Grundstücke verweigerten, trotzdem draufzahlen würden. Die Stadt werde sie dann mit einer höheren Grundsteuer belegen, ist Ursula Zumholz überzeugt.

Dafür sei mit der Steuerreform 2019 eigens die Grundsteuer C eingeführt worden, um Anreize zu schaffen, Gartengrundstücke zu bebauen. Diese neue Grundsteuer können vom nächsten Jahr an alle Kommunen in den Bundesländern erheben, die wie Schleswig-Holstein das Bundesmodell bei der Grundsteuerreform eingeführt haben – also auch Norderstedt. Das könnte die betroffenen Steuerschuldner dann quasi dazu zwingen, ihre Grundstücke dafür herzugeben, warnt Zumholz. „Diese Kröte wollen wir nicht schlucken.“

Stadt betont, den Vorgaben des Landesentwicklungsplans zu folgen

Die Anwohner bekommen Rückendeckung aus der Politik. Reimer Rathje, Vorsitzender der WiN-Freie-Wähler-Fraktion, hat sich vor Ort kundig gemacht. „Das ist schon eindrucksvoll, wie dort nahezu das ganze Gebiet versiegelt werden soll.“ Noch erschreckender sei für ihn, als er hörte, dass die Betroffenen nicht ausreichend darüber informiert worden seien, dass sie nur bis Mitte März Zeit hätten, dagegen Einspruch einzulegen.

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„Das geht natürlich gar nicht“, sagt Rathje und fordert die Verwaltung auf, das Verfahren um vier Wochen zu verlängern und die Anlieger bei einer öffentlichen Veranstaltung umfassend über diese Pläne zu informieren. „Das entspricht unserem Demokratieverständnis. Denn diese Grundstücke sind das Eigentum und die Rentenabsicherung für die dortigen Anwohner.“

Die Stadtverwaltung begründet ihr Vorgehen so: „Die Stadt Norderstedt folgt den Vorgaben des Landesentwicklungsplanes, indem sie durch die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 250 Norderstedt eine wohnbauliche Nachverdichtung im Innenbereich der Stadt planungsrechtlich vorbereitet.“