Norderstedt. Süßwaren-Riese stellt Produktion an der Straße Am Stammgleis ein. 48 Beschäftigte verlieren ihre Jobs, sie sorgen sich um ihre Zukunft.
- Barry Callebaut kündigt Aus für Werk in Norderstedt an
- Konzern teilt sich Grundstück mit Stollwerck
- Mitarbeiter und Gewerkschaft können radikalen Schritt nicht nachvollziehen
„Die Stimmung ist schlecht, die Beschäftigten sorgen sich um ihre Zukunft“, sagt Anne Widder von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Sie ist zuständig für Norderstedt, und da rumort es gewaltig: Barry Callebaut, einer der nach eigenen Angaben weltgrößten Hersteller von Schokolade, wird seine Produktion in Norderstedt schließen. 48 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden ihre Jobs verlieren.
Schon länger hätten die Betroffenen gehört, dass es im Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und mehrheitlich in Besitz der Familie Jacobs kriselt. „Aber viele haben gehofft, dass sie mit einem blauen Auge davonkommen“, sagt die Gewerkschafterin. Die Beschäftigten verstünden den jetzigen radikalen Schnitt nicht. Ihrer Meinung nach hätte die Unternehmensführung im Vorfeld Maßnahmen ergreifen müssen, um den Konzern zu gesunden, und auf den massiven Stellenabbau verzichten können.
Sozialplan? Transfergesellschaft? Wie geht es für die Beschäftigten weiter?
Laut NGG sind auch Ältere vom Jobverlust bedroht, die kurz vor dem Renteneintritt stünden. „Für sie wird sich die Werkschließung doppelt negativ auswirken: Sie finden nicht so leicht wieder neue Arbeit und bekommen weniger Rente“, sagt Anne Widder. Nun werden Gespräche mit dem Betriebsrat geführt. Dabei gehe es um den Interessenausgleich und einen Sozialplan. Der Betriebsrat habe sich anwaltlichen Beistand geholt.
NGG wird am 7. März mit den Beschäftigten sprechen, die der Gewerkschaft angehören. „Und da sind wir gut aufgestellt“, sagt Anne Widder. Denkbar, aber noch offen sei, ob die Beschäftigten in einer Transfergesellschaft aufgefangen werden. Zumindest für einige könne auch ein Wechsel zu Stollwerck möglich sein – das Süßwaren-Unternehmen hat seinen Sitz auf dem gleichen Gelände an der Straße Am Stammgleis im Norderstedter Gewerbegebiet Oststraße, ist aber von der Schließung nicht betroffen.
Norderstedt: Der Süßwaren-Standort hat eine bewegte Geschichte
Der Standort hat eine bewegte Geschichte. Davon zeugt bereits das Eingangstor. Denn dort ist weiterhin deutlich sichtbar das Logo von Stollwerck zu sehen, während der Name „Barry Callebaut“ nur im Hintergrund auf Lagerhallen prangt. 2002 wurde Stollwerck, 1839 in Köln gegründet, an Barry Callebaut verkauft. Kurze Zeit später wurde das Süßwaren-Unternehmen dann von der Börse genommen und das Werk in Köln geschlossen. Die Produktion in Norderstedt blieb. Vielen Bürgern ist die Fabrik noch unter einem anderen Namen bekannt, nämlich Van Houten, dessen weißes Logo früher über der Zufahrt zum Firmengelände thronte.
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2011 entschied sich Barry Callebaut allerdings, Stollwerck wieder zu veräußern. Neue Eigentümerin wurde die belgische Baronie-Gruppe. Die wiederum verlegte 2016 die Stollwerck-Zentrale von Köln nach Norderstedt. Hier befinden sich seitdem beide Unternehmen auf einem Grundstück. Ob das Aus für den Callebaut-Sitz Auswirkungen auf den Nachbarn hat? Auf Abendblatt-Nachfrage verneint das eine Stollwerck-Sprecherin ausdrücklich.
Herza Schokoladenfabrik in Norderstedt hat sich mit Energieriegeln neu erfunden
Barry Callebaut ist vorrangig ein Zulieferer für Schokoladenprodukte, daher nicht unbedingt als Eigenmarke bekannt. Im Geschäftsjahr 2022/2023 wurde ein Umsatz von 8,5 Milliarden Franken erreicht. Dennoch will der Konzern pro Jahr 250 Millionen Franken (rund 250 Millionen Euro) einsparen, das wären 15 Prozent der Kosten. Das soll insbesondere durch den Abbau von Personal erreicht werden, weltweit sollen 2500 Stellen gestrichen werden, das wäre fast ein Fünftel der gesamten Belegschaft. Sowohl Barry Callebaut als auch Stollwerck pflegen in der Stadt eher wenig Kontakte in die Wirtschaft und die hiesigen Netzwerke. So hat auch die Entwicklungsgesellschaft Norderstedt als städtischer Wirtschaftsförderer von den Entwicklungen nur aus den Medien erfahren, heißt es.
Nachweislich offener agiert hingegen ein drittes Unternehmen in Norderstedt, das sich lange bevorzugt süßen Produkten verschrieben hatte: Mittlerweile jedoch hat die Herza Schokoladenfabrik mit der Herstellung von Energieriegeln einen neuen Schwerpunkt gesetzt – und den Umsatz vervielfacht. Gerade erst hat das Traditionsunternehmen, vor 103 Jahren von Hermann Zapf in Hamburg-Altona gegründet, 16 Millionen Euro investiert, um an der Segeberger Chaussee eine dritte Produktionslinie mit 45 neuen Mitarbeitern für die Herstellung von Proteinriegeln zu schaffen.