Hamburg. „Wir haben eine sehr, sehr angespannte Lage“, sagt die niedersächsische Innenministerin. Fast das ganze Bundesland stehe unter Wasser.

Land unter in der norddeutschen Tiefebene: Nach den lang anhaltenden Regenfällen in den vergangenen Tagen sind fast alle großen niedersächsischen Flüsse über die Ufer getreten: Ob an Aller oder Weser, Ems oder Leine, Hunte oder Hase – vielerorts wurden Rekordpegelstände gemessen. Für insgesamt elf Flussgebiete hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft (NLWKN) inzwischen Warnmeldungen „vor großem Hochwasser“ herausgegeben. Am Freitagmittag hieß es dort für die Weser: „Erneute hochwasserrelevante Niederschläge im Harz und im südlichen Niedersachsen sorgen für einen Wiederanstieg der Wasserstände – vorerst insbesondere in den Oberläufen!“

Am Sonnabend zeichnet sich mancherorts eine leichte Entspannung ab. In anderen Regionen bleibt die Lage hingegen kritisch. Zahlreiche Menschen können weiterhin nicht in ihre Wohnungen zurück. Viele Helfer sind nach wie vor im Dauereinsatz.

Hochwasser: Land unter im Norden – neue Evakuierungen im Serengeti-Park

„Wir haben eine sehr, sehr angespannte Lage“, sagte Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Freitagmorgen im „Deutschlandfunk“. Fast ganz Niedersachsen stehe unter Wasser. Und eine Entspannung ist vorerst nicht in Sicht. Nachdem am Donnerstag kaum Regen fiel, zogen am Freitag neue Wolkenfronten über die Region. Auch wo das Wasser nicht mehr steigt, bleibt die Lage ernst: Denn die durchweichten Deiche müssen noch über Tage hohem Druck trotzen. „Sollten die prognostizierten Niederschlagsmengen fallen, werden die Wasserstände in den Zuflüssen weiterhin auf hohem Niveau gehalten und können wieder leicht ansteigen“, heißt es beim NLWKN für die Aller.

Auch der Hamburger Klima- und Wetterexperte Frank Böttcher fürchtet, dass die Lage schwierig bleibt: „Es gibt nur kurzfristige Entwarnung. In den kommenden sieben Tagen fallen in den Einzugsgebieten von Leine, Aller und Weser 30 bis 100 Liter Regen pro Quadratmeter“, sagte er dem Abendblatt. „Die Rekordwasserstände der Speicher sorgen für eine weiterhin hoch angespannte Lage. Das Problem des drückenden Grundwassers bleibt also bestehen.“

Immerhin: Weiterer Regen ist am Sonnabend in den Hochwassergebieten nicht zu erwarten. Das sagte ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Im Tagesverlauf soll es demnach abseits der Küste in Niedersachsen nur vereinzelt und in geringen Mengen zu Schauern kommen. Zwischen Sonntag und Montag kommt es im Land voraussichtlich verbreitet wieder zu Niederschlägen. Diese Menge werde aber nicht zu einem Anstieg der Pegelstände führen, sagte der Meteorologe. Erst von Dienstag an würden wieder größere Niederschlagsmengen erwartet.

Hochwasserlage verschiebt sich gen Nordwesten

Besonders dramatisch war die Lage im Nordwesten: In den Landkreisen Celle, Oldenburg, Emsland, Osterholz, Verden, dem Heidekreis sowie der Stadt Oldenburg haben die Behörden ein sogenanntes außergewöhnliches Ereignis festgestellt. So können die Landkreise beispielsweise einfacher auf Hilfskräfte zugreifen. Inzwischen sind Tausende Hilfskräfte auch aus benachbarten Bundesländern im Einsatz. Das Land hatte die Bundeswehr angefordert: Mit Hubschraubern halfen die Bundespolizei und die Marine im vom Hochwasser betroffenen Hatten bei Oldenburg.

An einigen Orten konnten die Deiche den Wassermassen nicht mehr standhalten. In Meppen mussten 52 Bewohner aus einem Altenheim an der Ems in Sicherheit gebracht werden. In Langlingen (Landkreis Celle) verließen in der Nacht zum Freitag etwa 120 Menschen ihre Häuser und Wohnungen. Wie der Landkreis mitteilte, hatte die Feuerwehr am späten Donnerstagabend als Vorsichtsmaßnahme eine Evakuierung von mehreren Straßen in der Gemeinde angekündigt.

Problem Katastrophentouristen: Deiche dürfen nicht mehr betreten werden

Vielerorts im Norden sind Straßen überflutet und gesperrt. Aufgrund der Witterung ist die Zugverbindung zwischen Oldenburg und Osnabrück eingeschränkt. Wegen des Hochwassers kann auch die Müllabfuhr derzeit nicht alle Haushalte im Landkreis Oldenburg anfahren. Ein zusätzliches Problem sind Katastrophentouristen: So hat die Stadt Achim im Landkreis Verden ein Betretungsverbot für alle Deiche im Hochwasserbereich der Weser erlassen. „Damit wollen und müssen wir den Hochwasser-Tourismus unterbinden, der trotz aller Appelle unvermittelt anhält“, sagte Bürgermeister Rainer Ditzfeld (parteilos) dem NDR.

Einsatzkräfte der Feuerwehr geben auf einem Parkplatz zahlreiche Sandsäcke an die Anwohner im Bereich der Hunte am Achterdiek in Oldenburg aus. Die Hochwasserlage bleibt in vielen Regionen Niedersachsens angespannt.
Einsatzkräfte der Feuerwehr geben auf einem Parkplatz zahlreiche Sandsäcke an die Anwohner im Bereich der Hunte am Achterdiek in Oldenburg aus. Die Hochwasserlage bleibt in vielen Regionen Niedersachsens angespannt. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Brisant bleibt die Lage im Serengeti-Park in Hodenhagen. An den Tierpark grenzt das im Sommer unscheinbare Flüsschen Meiße, das sich nun in einen breiten Strom verwandelt hat. Zudem sind die Seen und Wasserläufe auf dem Gelände des beliebten Parks über die Ufer getreten. Die rund 1500 Tiere können inzwischen nur noch über einen schlammigen Schleichweg versorgt werden. Auf dem 60 Hektar großen Gelände stand das Wasser zwischenzeitlich bis zu 80 Zentimeter hoch.

Am Sonnabendmorgen hieß es, dass sich die Lage leicht entspannt habe. Pumpen auf dem Gelände hätten es geschafft, große Wassermengen hinter den Deich Richtung Meiße zu drücken, sagte eine Sprecherin des Freizeitparks nördlich von Hannover. Auch im Tierhaus der Antilopen und Giraffen sei das Wasser merklich gesunken und wieder aus dem Gebäude hinausgeflossen.

Serengeti-Park bereitet weitere Evakuierungen vor

Mit einem Notfallplan bereitet sich der Freizeitpark auf weitere Evakuierungen von Tieren vor. Sorgen bereite vor allem das von Wasser umschlossene Haus der Antilopen und Giraffen, sagte eine Sprecherin des Tierparks am Freitag. „Diese Tiere müssten für eine Evakuierung narkotisiert werden, das ist ein großes Risiko.“ Für den Notfall werde auch überlegt, wie die Tiere unter Narkose überhaupt durch die Wassermassen transportiert werden könnten. Mit Lastwagen und Pritschen seien die Wege dorthin nicht mehr befahrbar.

Das Haus der Antilopen und Giraffen wird derzeit mit Sandsäcken geschützt. Außerdem haben Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) in der Nacht dort eine weitere Wasserpumpe eingerichtet. So sei das Wasser um die Stallung zuletzt um drei Zentimeter gesunken, auch im Haus selbst befinde sich weniger Wasser. Mitarbeiter des Tierparks hatten zuletzt Stroh am Boden verteilt, um das eindringende Wasser abzufangen.

Große Teile des Freizeitparks meldet „Land unter“

Weite Teile des Geländes sind überflutet und teilweise gar nicht oder nur noch mit Unimogs oder Traktoren zu erreichen. Im Nordosten des Geländes sind unter anderem Verwaltungs- und Versorgungsgebäude, Restaurants, Shops und ein Teil der Lodges von Wassermassen umschlossen. „Dort sind glücklicherweise die wenigsten Tiere untergebracht“, sagte die Sprecherin. Für das ganze Gelände musste der Strom abgestellt werden.

Der Serengeti-Park in Hodenhagen ist überflutet. Inzwischen wurden die ersten Tiere wegen des Hochwassers evakuiert.
Der Serengeti-Park in Hodenhagen ist überflutet. Inzwischen wurden die ersten Tiere wegen des Hochwassers evakuiert. © dpa | Philipp Schulze

Eine solch angespannte Hochwasserlage wie jetzt ist laut Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für Niedersachsen ein Novum. Ein Hochwasser von diesem Ausmaß „hat es hier bei uns zuvor nie gegeben“, sagte Weil am Donnerstag. „Experten warnen seit Langem davor, dass die immer häufigeren Wetterextreme mit dem Klimawandel zusammenhängen.“ Zwar gab es regionale Hochwasser, die noch höher ausfielen, neu aber ist die Größe der betroffenen Gebiete: Aus der Luft wirkt Niedersachsen wie eine Seenlandschaft.

„Ursache war und ist die langanhaltende Westwetterlage mit Rekordniederschlägen“, sagt der Hamburger Klimaexperte Frank Böttcher. So hat Braunlage im Harz mit 261 Liter pro Quadratmeter den höchsten Wochenniederschlag seit Beginn der Aufzeichnungen 1931. Die Folge waren Rekordpegelstände. Böttcher macht auch den Klimawandel für die Unwetter verantwortlich: „Regenreiche Wetterlagen dauern länger und sind intensiver, gerade im Winter. Die Verdunstungsraten auf dem Atlantik sind durch gestiegene Wassertemperaturen stark gestiegen.“ Das führ bei Westwetterlagen zu höheren Niederschlägen.

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Während im Norden die Pegel noch steigen oder auf hohem Niveau verharren, fallen im Süden des Bundeslandes die Pegel inzwischen: Eine leichte Entwarnung gibt es in den Landkreisen Hildesheim und Northeim. Dort wurde das „außergewöhnliche Ereignis“ mittlerweile aufgehoben. An den Harzer Talsperren entspannte sich zuletzt die Situation leicht. Die Füllstände gingen etwas zurück, teilten die Harzwasserwerke mit. Einerseits fließe weniger Wasser in die Speicher und andererseits sei in den vergangenen Tagen deutlich mehr Wasser als üblich an die Flüsse abgegeben worden.