Henstedt-Ulzburg. Claussen ist Disco-Betreiber aus Leidenschaft – auch nach einem Jahr Corona-bedingter Schließung.
Dort, wo Joey Claussen jetzt steht, hat schon lange niemand mehr gefeiert. Genauer genommen, seit dem 13. März 2020. Solange ist die Diskothek „Joy“ in Henstedt-Ulzburg bereits geschlossen. Doch es lebt noch, und Joey Claussen hat nicht vor, aufzugeben.
„Ey Joey, weißt du schon, wann du wieder aufmachst?“, wird er immer wieder im Ort gefragt, wenn er mit dem Smart, den das Logo des Clubs ziert, unterwegs ist. Da könne er nur antworten: „Ich gucke auch nur Nachrichten und glotze wie jeder andere in die Röhre.“ Optimistische und pessimistische Tage wechseln sich ab. „Am Anfang dachte man: Okay, wir schaukeln das irgendwie. Dann kam eine depressive Phase über den Winter, die durch den Lockdown verschärft wurde. Wir gehen alle auf dem Zahnfleisch. Die Leute vermissen eine Alternative, ihre Freizeit zu gestalten, ihre Seele einfach mal baumeln zu lassen. Man lebt vom einen zum anderen Tag, sowohl geschäftlich als auch privat.“
Seinen Traum vom Eigenheim hat Claussen längst vertagt
Vier Jahre habe er fast an jedem Wochenende zwei Nächte im Joy gearbeitet. Das ist Vergangenheit. Binnen kurzer Zeit, die Einnahmen waren weggebrochen, musste er sich darum kümmern, liquide zu bleiben. „Ich bin recht dankbar, eine Diskothek in Deutschland zu haben, die immer alles vernünftig versteuert hat. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass der Staat einen durchfüttert.“ Die Insolvenzwelle sei ansonsten „viel, viel höher“ gewesen. „Das erste Paket war die Soforthilfe, das waren pauschal 9000 Euro Anfang des letzten Sommers. Damit kam ich gerade einmal sechs Wochen weit.“ Da half ihm, dass er die Herbst- und Wintersaison noch mitnehmen konnte. „Mit diesem Polster war es nicht ganz so brenzlig. Sonst hätten wir uns den Umbau nicht leisten können.“
Denn – auch, um enge Mitarbeiter zu binden – man war nicht untätig. Claussen verkaufte eine Immobilie aus einem Erbe, steckte die Einnahmen in den Club. „Wir sind an vielen Ecken und Enden Dinge angegangen, die mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dazu gehört der Umbau unseres Flures, der Lounge, die gesamte Technik ist raus, alle Kabel wurden neu verlegt, wir haben jetzt eine fliegende Traversenkonstruktion. Dafür, dass ich die kleine Henstedter Dorfdisco bin, setzen wir hier neue Maßstäbe.“ Die Kehrseite: „Die Vision, dass ich mir ein Eigenheim bauen kann, ist zehn Jahre in die Zukunft gerückt.“
Im letzten Sommer folgte eine Überbrückungshilfe, die nach den Fixkosten berechnet wurde. „Das hilft mir, da ich eine recht hohe Pacht habe, die ich auch noch weiterzahle. Ein starker vierstelliger Betrag in jedem Monat.“ Ungerecht nennt er das. „Dann ging es mit der November-, Dezemberhilfe weiter.“ Gut für Diskotheken, da dies umsatzstarke Monate sind. „Was ausblieb, war die Kohle. Die Dezemberhilfe habe ich Mitte Februar bekommen, das kam von der Bundeskasse aus Trier. Ende Januar hatte ich noch 2200 Euro auf dem Firmengiro, fast keine Bargeldbestände mehr. Und jetzt stell dir vor, du bist ein kleiner Szeneladen auf dem Kiez oder in der Schanze. Die Leute tun mir so leid. Das wird sich ausdünnen.“
Das Team des Joy hat sich andere Jobs gesucht
Abgesehen von seinem innersten Team sind fast alle Arbeitskräfte abgewandert. „Mein alter Securitychef ist jetzt Lagerist bei Amazon. Man sieht einen gesellschaftlichen Wandel. Das Nachtleben ist so gut wie ausgelöscht. Zu vielen versuchen wir den Kontakt zu halten, das Know-how zu sichern. Den innersten Kreis musst du halten. Und dann schon drei, vier Monate vor einer Öffnung die Leute wieder anlernen.“
Er ist überzeugt: Nur technisch moderne Clubs können einen Neustart bewältigen. Bald will er die dritte Überbrückungshilfe beantragen, die bis Juni gehen soll. Claussen setzt darauf, unter anderem Förderung für die Investition in Digitalisierung, in Hygienemaßnahmen zu bekommen. „Aber wie man das beantragt und unter welchen Regularien, weiß nicht einmal mein Steuerberater. Da stellen sich 1000 Fragen.“
Feiern mit Schelltest – das wünscht sich die Branche
Er macht sich viele Gedanken darüber, wie eine Partykultur in Zukunft aussehen könnte. Claussen ist Mitglied im Bund deutscher Discotheken und Tanzbetriebe. „Wir sind der Meinung, dass Schnelltests die einzig richtige Lösung sein können, bevor wir durchgeimpft sind. Es müssen pragmatische Lösungen her. Sonst wird wenig bis gar keine Unterhaltungsbranche übrig bleiben.“ Bis die Stammkundschaft des Joy, also junge Menschen zwischen 16 und Anfang 20, immunisiert ist, wird es lange dauern. Claussen blickt auf das Corona-Schnelltestzentrum von „First & Safe“ auf der anderen Straßenseite. Hier könnte er sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Man kenne sich gut. „Die könnten mit einem Team herkommen, und die Leute testen, bevor sie hier reinkommen. Das kann der einzige Lösungsansatz sein. Und drinnen machen wir mit der Luca-App die Kontaktverfolgung.“
600 Personen hatten – vor Corona – im Club Platz. Vielleicht wird in Zukunft zunächst ein Drittel möglich sein, mit Reservierung, „der Plan soll sein, einzelne Ecken zu vermieten“. Getrennt feiern, ohne Pulk auf der Tanzfläche. Keine schöne Vorstellung. Ab welchem Punkt machen Hygienevorgaben und Sicherheitskonzept die Stimmung kaputt? „Vor dem Laden passieren die Schnelltests, vielleicht sind die Leute geimpft, es gibt die Kontaktverfolgung. Aber das Erlebnis im Club muss so sein, als wenn es Corona fast nicht gäbe. Das heißt: Du musst mit starker Lüftungsanlage, mit Desinfektion dafür sorgen, dass die Umstände gut sind.“
Mit Maske tanzen, wäre wohl höchstens für eine Motto-Party in Ordnung. Eine alternative Perspektive wäre, sich je nach Wetter draußen zu treffen. Rund um das Joy wäre dafür zwar kein Platz, aber vielleicht anderswo in der Gemeinde oder in Kaltenkirchen. „Ideen gibt es“, sagt Joey Claussen. Konkret wurde nichts. Er könne es verstehen, wenn Verwaltungen nicht antworten. „Der Bürgermeister, der sich mit einem mutigen Konzept nach vorne traut und es geht schief, der kommt deutschlandweit in die Presse. Und für meine Seite gäbe es wieder die Frage nach dem finanziellen Risiko. Nicht jedes Corona-Konzept ist automatisch ein gutes.“
Wie die gesamte Branche muss er geduldig bleiben – und hoffen, dass dem Staat das Geld nicht ausgeht. „Stellen wir uns darauf, dass der Laden noch ein Weilchen zu sein wird. Die Discos werden die letzten sein, die öffnen. Wenn es mit den finanziellen Hilfen weitergeht, werde ich es aushalten können. Aber ich habe Angst vor der nächsten Wintersaison, davor, dass sie es mit dem Impfen nicht hinkriegen und wir in den nächsten Lockdown stolpern. Und meine Gäste tun mir leid. Es ist eine ganze Partygeneration, die wegbricht. Du bist nur einmal jung.“